Wir sind der Verein. Alina Schwermer
Eintrittsgelder und Anhängerschaft generieren; gerade der von Wirtschaftsinteressen durchdrungene Fußball war paradoxerweise viel unabhängiger von einzelnen Großsponsoren als die meisten Randsportarten. Die großen Geldflüsse haben es möglich gemacht, dass Spieler aus Arbeiterfamilien die Chance hatten, sich dem Fußball zu widmen, sie haben die meisten technischen und taktischen Entwicklungen ermöglicht, und der große Boom der 1990er rettete den Fußball aus der tiefen Krise der 1980er Jahre.
Viele Anhänger von Randsportarten schauen bis heute mit einem gewissen Befremden auf den Kommerzhass der Fußballfans, ein Erste-Welt-Problem, wenn andere Sportarten um jeden Cent ringen müssen. Im Fußball aber hat der rapide Investitionsboom einen Kulturschock ausgelöst. Es herrscht eine diffuse Krisenstimmung in den Fankurven bei gleichzeitig anhaltend wachsenden Geldströmen und den bekannten positiven und negativen Konsequenzen. Und das schafft die ideologische Erzählung für viele fangeführte Vereine.
Produkt des Investitionsbooms
Ihre Entstehung aber speist sich aus einer anderen Entwicklung. Denn ein Szenario, bei dem Fans aus Frust über den modernen Fußball massenhaft abwandern – eine seit zwanzig Jahren populäre These – ist nie eingetreten. Der Fußball ist noch nicht aus der Balance geraten. Zwar werden die nationalen Ligen Westeuropas seit Jahren von einigen wenigen Klubs dominiert, aber neue Player wie RB Leipzig, Paris Saint-Germain oder Manchester City halten das Kräfteverhältnis in beständigem Wandel; ergänzt wird die Entwicklung durch den Investitionsboom etwa in China.
Beschwerden über die sogenannte Kommerzialisierung gehören an den meisten Orten zum guten Ton, aber auf den Stadiongang hat das kaum sichtbaren Einfluss. Die meisten Fans scheinen sich weiter gut zu amüsieren. Und die Großklubs akkumulieren immer mehr Fanmasse. Die Abwanderung in die kleinen Ligen, wo alles gefühlt echter, näher, ursprünglicher ist, fand als größere Bewegung nie statt. Es wäre auch kaum sinnvoll, denn offenkundig sind kleine Vereine genauso Teil des kapitalistischen Systems; die Abhängigkeit von einem einzelnen Sponsor oder Mäzen ist in den unteren Ligen sogar oft viel größer als im Profibereich. Fanvereine entstehen also nicht, wie gern suggeriert wird, weil das Publikum sich entfremdet fühlt und abwendet. Fanvereine sind ein Produkt des Investitionsbooms. Aber ein indirektes.
Entfremdung reicht nicht, damit Anhänger einen Fußballverein übernehmen oder einen eigenen Verein gründen. Nur in den seltensten Fällen entstehen Fanvereine, wie etwa der FC United of Manchester, als direkter Protest gegen einen Investor. Sie entstehen vor allem bei Insolvenz des Muttervereins. Und an dieser Stelle kommt die Investition ins Spiel. Durch die gestiegenen Geldmengen im Profifußball sind Vereine gezwungen, zunehmendes wirtschaftliches Risiko zu gehen, um erfolgreich zu sein. Ein Erfolgsdruck, der aus der Fankurve häufig noch verschärft wird. Fans sind Opfer und Täter zugleich in diesem System. Nach ein paar Niederlagen in Folge sind es viele Fans, die reflexartig nach neuen Spielern rufen, nach Entlassung des Trainers, nach mehr Geld. Viele Anhänger werten Erfolg über Langfristigkeit. Solides Wirtschaften wird im Fußball selten belohnt, Risiko aber verspricht schnelle Erfolge und hohe Popularität.
Die Folgen für Profiklubs sind enorm: Nach Recherchen von Jim Keoghan im Buch „Punk Football“ waren Insolvenzen in England bis in die 1980er Jahre in den ersten vier Ligen fast unbekannt; ab 1982 bis 2010 aber gab es 67 Insolvenzverfahren in weniger als zwanzig Jahren. Gleichzeitig schossen Gehälter und Investitionen in die Höhe. Die Vereine, die 1997 noch 47 Prozent ihrer Umsätze für Spielergehälter ausgaben, investierten im Jahr 2012 schon 70 Prozent in die explodierenden Spielergehälter. Die deutsche Bundesliga hat abgeschwächt eine ähnliche Entwicklung erlebt. In der Saison 1994/95 wurden umgerechnet 55 Millionen Euro in Spielertransfers investiert, von allen Vereinen insgesamt, in alle Transfers. Heute entspricht das zwei mittleren Einkäufen des FC Bayern oder einem Viertel von Neymar.
In Deutschland sind Fanvereine aufgrund verschiedener Faktoren trotzdem die Ausnahme geblieben. Und damit auch Fanvereine. In England und Spanien, wo das Insolvenzproblem besonders massiv ist, sind sie es nicht. Denn wenn der wirtschaftlich hoch pokernde Verein in eine existenzielle Krise gerät oder vor dem Aus steht, kommen die Fans in eine Situation, die es bis vor zwei Jahrzehnten kaum gab. Sollen sie den Verein untergehen lassen – oder sich aufmachen, ihn mit eigenen Händen zu retten.
Wir holen uns unseren Verein zurück
Warum tun sie das? Aus Liebe, gewiss. Aber geholfen hat etwas anderes: ein neues Verständnis davon, was ein Fan ist. Vor den 1990er Jahren wäre ein Fanverein nicht denkbar gewesen. Fanaktivismus, das war oft eher ein Plakat. Eine Prügelei. Eine Spendenaktion, um dem Verein in schlechten Zeiten auszuhelfen. Und in Ländern wie Deutschland und Österreich die Mitgliederversammlung. In den 1990ern aber, mit der Verbreitung der Ultrakultur, änderte sich das Selbstverständnis vieler Anhänger vom Konsumenten zur Interessenfraktion. Fanzines, soziokulturelle Fußballmagazine und eine ganze Sparte, die sich dem neuen Begriff Fankultur widmet, prägen die Vorstellung davon, was ein Fan ist. Sie fassen das Wort Fan weiter, intellektueller, sozial aktiver, etwa im Engagement gegen Homophobie und Rassismus. Sie werden zum Gesprächspartner für Klubs.
Und es entsteht Reibung. Teilweise, weil Fans sich überschätzen. Weil sie sich zum Richter machen wollen über Spieler, Trainer, Funktionäre. Und weil auf der anderen Seite oft Vereine stehen, die den kritischen Fan fürchten, die um jeden Preis Einmischung verhindern wollen. In diesem schwierigen Spielraum zwischen zu viel Macht der Basis und zu wenig bewegen sich auch viele Fanvereine. Der lokale Fan hat durch die Globalisierung des Spiels an Bedeutung verloren. Er ist sich dessen sehr bewusst. Gleichzeitig war der Fan in der Öffentlichkeit und in Gremien nie so präsent wie heute. Dass Fans derzeit an vielen Orten mit am Tisch sitzen, dass es Fanbeauftragte und Fanprojekte und Fanvertreter gibt, ist eine Entwicklung der letzten 25 Jahre.
Anhänger sind länderübergreifend organisiert; der Mythos, Fans würden „immer mehr marginalisiert“, greift viel zu einseitig. Es sind eher zwei entgegensetzte Entwicklungen: Ein Bedeutungsverlust des Fans als ökonomischer Faktor. Weil Profiklubs seit dem Boom der 1990er deutlich weniger abhängig von Einnahmen aus Eintrittsgeldern sind, weil Investoren im Verein massiver ihre Interessen durchsetzen, weil der Zuschauer in China das Trikot sowieso kauft, unabhängig von politischen Diskussionen im Verein. Lokale Anhänger von Großklubs sind in diesem Sinne Globalisierungsverlierer. Eine kleine Stimme bei einer globalen Marke.
Parallel gibt es eine Gegenentwicklung: den massiven Bedeutungsgewinn von Anhängern als Interessenfraktion, als organisierte Stimme im Geschäft, wie sie früher kaum denkbar war. Die fordert, freiwillig hilft und debattiert, deren Bedeutung sich in den Medien widerspiegelt, aber auch in der eigenen Wahrnehmung und manchmal in Selbstüberschätzung. Aus dem gleichzeitigen Bedeutungsverlust und Bedeutungsgewinn entsteht der Konflikt, der sich heute an vielen Orten abspielt, ein Ringen um eine vermeintlich alte Machtposition, die eigentlich eine neue Machtposition ist. Und als letzte Konsequenz eine radikale Steigerung: von Fans gegründete oder übernommene Klubs. Wir holen uns unseren Verein zurück.
Community Owned Clubs
Es gibt im Jahr 2017 in Großbritannien nach Angaben der Organisation Supporters Direct über 50 Community Owned Clubs. In Europa arbeitet der Ableger Supporters Direct Europe mit schätzungsweise 90 Vereinen und Initiativen zusammen. Es gibt noch einige mehr, die nicht mit der Organisation kooperieren. Der Community Owned Club hat sich innerhalb von zwei Jahrzehnten rasant über den ganzen Kontinent verbreitet. Unbemerkt von vielen Medien, die nur auf die großen Ligen schauen und nicht darauf, was sich darunter tut. Eine Gegenbewegung, die den Fußball zurück in die Gemeinschaft geben will.
Der Name Community Owned Club wird im Deutschen meist übersetzt mit Fanverein oder fangeführtem Verein. Aber das führt in die Irre, denn natürlich gibt es auch konventionelle Vereine, die von Fans geführt werden. Bei Union Berlin etwa sitzt mit Dirk Zingler jemand aus der Kurve auf dem Präsidentenstuhl, umgekehrt gibt es auch Klubbesitzer, die sich als Fans verstehen oder sogar selbst in der Kurve stehen. Supporters Direct also definiert den Community Owned Club so: „Ein Verein, bei dem mindestens 50+1 Prozent der Stimmrechte von einer demokratischen Einheit kontrolliert werden, die offene und inklusive Mitgliedschaft bietet.“ In Großbritannien, wo der Fußball viel früher und heftiger von Wirtschaftsinteressen dominiert wurde, ist schon diese Form der Mitsprache