Wir sind der Verein. Alina Schwermer
der letzte Ausweg“, sagt Niamh O’Mahony, die sich bei Supporters Direct Europe für Fanvereine engagiert und selbst beim fangeführten irischen Verein Cork City aktiv ist. „Aber dann wurde es allmählich zu einer ernstzunehmenden Alternative. Ich werde immer als Erstes gefragt: Wie soll Fanführung funktionieren? Es ist kein Geheimnis dabei. Man heuert Leute an, die Erfahrung haben und den Klub führen können, so wie es ein Privatbesitzer täte. Und dann führt man den Verein nachhaltig.“ Meist geht das über einen Supporters’ Trust, eine Faninitiative, die Anteile am Klub hält oder ihn komplett besitzt. Anhänger können dann ihren Anteil kaufen und damit eine Stimme erwerben. „Die Leute warten darauf, dass jemand vorangeht“, sagt O’Mahony. „Wenn ein Klub in einem Land etwas anstößt, kommen die anderen nach. Sie sagen: Ach, das ist ja wirklich möglich.“
Noch ist jedes Stadion Übergangslösung. Erst 2019 soll es zurück in die neue, alte Heimat Plough Lane gehen.
In Northampton und Bournemouth brodelt es zum ersten Mal. Aber die erste Neugründung, der erste wirkliche Fanverein, das ist der AFC Wimbledon 2002. Entstanden aus dem Trauma, dass der eigene Verein in eine völlig fremde Stadt verlagert wird; entstanden aus Wut und Trotz und jahrelangem Streit. Der ursprüngliche Verein geht 2002 nach Milton Keynes und trägt bald den Namen Milton Keynes Dons. Und etwa 4.600 Fans, rund ein Drittel der Anhängerschaft, besuchen in ihrer Heimatstadt das erste Spiel des neuen AFC Wimbledon, der keinem Investor, sondern seinen Anhängern gehört.
„Fanführung ist nicht für jeden“
Die Geschäftsstelle des AFC Wimbledon sieht immer noch amateurhaft aus. Sie liegt versteckt im kleinen Stadion Kingsmeadow, wo der Verein 2017 seine Heimspiele austrägt, bis es 2019 in die neu gebaute, alte Heimat Plough Lane gehen soll.
Es ist ein heißer Nachmittag im Mai. Ein paar Kinder kommen gerade in Sportklamotten vom Training, und in der engen Geschäftsstelle, die in die Stadionkatakomben gequetscht ist, arbeiten noch Freiwillige. Kleine Büros, die unerwartet im Gang auftauchen, wenig Licht, familiäre Atmosphäre vor schmucklosen weißen Mauern. Von Hand beschriebene Whiteboards. Das Gebäude ist Fußballprovinz. Aber der AFC Wimbledon selbst, der 2002 in der Combined Counties League von fast ganz unten startete, ist wenig provinziell. Der Fanverein ist mittlerweile ein Drittligist, ein Profiklub. Sie planen den Weg in die zweite Liga, sobald das neue Stadion genug Publikum zieht, und das ist nicht unrealistisch: Für 11.000 Zuschauer ist es gedacht, und alles andere als regelmäßiger Ausverkauf wäre eine Überraschung.
Der AFC Wimbledon, das ist die Fangeschichte aus dem Drehbuch. Bisher ist kein englischer Fanverein sportlich so erfolgreich gewesen wie Wimbledon. Sie haben den Durchmarsch von den Niederungen des Amateurfußballs in die dritte Liga geschafft. Einen neuen Landesrekord von 78 Spielen am Stück ohne Niederlage. Aufstieg um Aufstieg um Aufstieg, Zuschauerrekord um Zuschauerrekord. Und vor allem hat keiner es geschafft, sich so gut zu vermarkten. Zig Bücher sind über die erst fünfzehnjährige Vereinsgeschichte erschienen, Dokumentationen, Bildbände, ungezählte Zeitungsartikel im In- und Ausland. Der AFC Wimbledon ist jedem Fanverein ein Begriff und vielen ein Idol.
Im Kingsmeadow Stadion sind sie Anfragen von Journalisten gewohnt; ein Buch über Fanvereine mit einem Wimbledon-Kapitel? Ah ja, na klar. Aber sie nehmen sich die Zeit, als wäre es die erste Geschichte, nicht die hundertzwanzigste. Werden sie des Hypes nie müde? Sie sind sich ihrer Vorbildfunktion bewusst. „Wenn Leute wissen wollen, wie Fanvereine funktionieren, kommen sie zu uns“, sagt Erik Samuelson schlicht. Er ist Geschäftsführer des AFC Wimbledon. Sein Wirkungskreis ist ein kleines, stickiges Büro, sparsam eingerichtet mit Schreibtisch und ein paar Stühlen. Auf einem hockt eine einigermaßen gelangweilt aussehende Schülerpraktikantin. Der Präsident versucht, sie mit ein paar Späßchen zu unterhalten – und hat Erfolg. Charme und Humor kann Samuelson. Er stellt schnell eine Illusion von Nähe her, und er erzählt persönlich. Ein Rahmen mit Fotos hängt an der Wand: Aufstiege, Torjubel, Siegesfeiern des AFC Wimbledon. Auf einem der Fotos ist sein Sohn bei der Aufstiegsfeier zu sehen, auch der natürlich Wimbledon-Fan. Während der Feier schrieb er seinem Vater eine SMS: „Gut gemacht, Papa“. Es ist Samuelsons schönste Erinnerung. Er sagt, er sei gerne hier im Büro. Jeder finde die Kammer furchtbar, stellt er vergnügt fest, vor allem die Luft, aber er nicht so sehr. 60 bis 70 Stunden pro Woche arbeitet Samuelson hier unentgeltlich für seinen Verein. Er hat Geld genug, sich das leisten zu können. Zu ihm kommen die Leute aus halb Europa, um über Fanführung zu reden – ein Trikot eines israelischen Fanvereins liegt neben ihm auf dem Stuhl, Hapoel Katamon, irgendwann mal ein Geschenk, aber Samuelson erinnert sich nicht wirklich. Er sei bei Fanvereinen nicht so bewandert, sagt er. Er unterscheidet auch nicht zwischen fangeführt und nicht fangeführt. „Ich versuche nicht, irgendjemanden zu bekehren. Jeder Verein muss selbst seinen Weg finden. Und Fanführung ist nicht für jeden.“
Für wen ist sie dann? Erik Samuelson ist ein ungewöhnlicher Mosaikstein in der Erfolgsgeschichte des AFC Wimbledon. Wer an Fans im Präsidentenstuhl denkt, stellt sich nicht Samuelson vor; einen älteren, intellektuellen Herrn mit Charme und rhetorischem Geschick, der auch als Geschäftsführer von Manchester United funktionieren würde. Samuelson ist Haupttribüne, nicht Stehplatz. Viel zu bildungsbürgerlich, um als einer von der Basis durchzugehen, aber mit einer gewissen Bescheidenheit, die ihm Zugang verschafft zur Kurvenklientel. Das Geld, das es ihm offenbar möglich macht, seine Zeit nach Lust und Laune beim AFC Wimbledon zu verbringen, hat er in seinem früheren Leben gemacht; er war mal Wirtschaftsprüfer bei einem großen Unternehmen.
Jetzt steht er auf der anderen Seite, ein Pragmatiker, der sich nicht Revolutionär nennen will und nicht viel von Ideologie hält, aber einiges von Moral. „Unser Verein war ein Weg, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen“, sagt Erik Samuelson. „Damit die Anzugträger – und ich war einer von ihnen – nicht noch mal kommen und uns den Verein wegnehmen. Das ist einfach falsch. Ich habe das sehr starke Gefühl, dass wir recht haben und sie etwas Falsches tun.“ Er trägt nicht mehr gern Anzug. Höchstens zu Auswärtsspielen zieht er einen an, wenn es sein muss. „Dann fühlt es sich wie Arbeit an“, sagt er. „Den Rest zähle ich nicht als Arbeit.“
Erik Samuelson ist ein Teil der Bodenständigkeit des neuen Fanvereins, wenn auch auf andere Weise als Ivor Heller. Wo Heller temperamentvoll und ideologisch und laut ist, ist Samuelson leise und nachdenklich. Immer mit einer Spur von selbstironischem, distanziertem Amüsement. Er ist ein Intellektueller aus Sunderland, Ivor Heller ein Mann mitten aus der Londoner Fanszene. „Wir sind völlig verschiedene Menschen“, sagt Heller. Und doch führen sie seit fünfzehn Jahren gemeinsam den Klub; Samuelson aktuell als Geschäftsführer, Heller als Finanzdirektor. Fragt man Heller, hat der AFC Wimbledon „eine sehr sozialistische Atmosphäre“. Er mag den Geschmack von Revolution und Aufruhr, die Widerborstigkeit. Auch Samuelson mag die Widerborstigkeit; aber auf seine eigene, bürgerliche Art. „Meine Art von Revolte ist es, das zu tun, was ich hier tue. Ich bin niemand, der auf Demos läuft oder Flugblätter verteilt.“ Er klingt, als fände er das völlig abwegig. Zu Hellers Worten wie Punk-Fußball oder Sozialismus schüttelt er lächelnd den Kopf. „Wir sind doch kein Punk. Ich führe den Verein sehr kommerziell. Wir sind kein soziales Experiment. Auch wenn einige Fans vielleicht glauben, wir wären das.“ Dann überlegt er kurz. „Vielleicht sind wir es doch. Aber jedenfalls war das nicht die ursprüngliche Absicht.“
Der AFC Wimbledon entsteht aus der Not einer verlorenen Liebe, nicht aus Anti-Establishment. Aber natürlich ist die Außenwirkung auch ein Stück weit kalkuliert. „Den Leuten gefällt unsere Geschichte vom Kampf des kleinen Mannes gegen die Maschine“, gibt Samuelson freimütig zu. Im kleinen Stadion in Süd-London, das den Namen eines Sponsors trägt, haben sich Pragmatismus und Idealismus verflochten. Manchmal so sehr, dass nicht klar ist, ob sie die Verflechtung spüren. „Wenn man uns mit manchen anderen Fanvereinen vergleicht, dann, ja, sind wir weniger ideologisch“, sagt Erik Samuelson.
Der AFC Wimbledon findet seine Balance mit leichtfüßiger Intuition. Und es ist der innere Strang dieses Vereins, dass hier so unterschiedliche Leute wie Erik Samuelson und Ivor Heller zusammenkommen, ihre Fähigkeiten zusammentragen und beide ihren Sinn finden in einer unterschiedlichen Projektion. Obwohl sie beide etwas völlig Unterschiedliches sehen. Aber beide werden von