Keiner zwischen uns. Carolin Hristev

Keiner zwischen uns - Carolin Hristev


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lackierten Gang ins Halbdunkel. Erst spielt der DJ sich rauf und runter durch die Charts, aber gegen ein Uhr macht der Hip-Hop-Floor auf, und dann ist es auf einmal richtig voll. Mitten im Gedränge tanzen Hamza und ich. Die Musik ist gut.

      Es sind auch viele Mädchen da heute. Eine mit ganz langen braunen Haaren fällt mir auf. Aber sie hat einen Typen dabei.

      Schade.

      Irgendwann will Hamza rauchen, also gehen wir nach draußen. Ich rauche ja nicht. Da bleibe ich hart. Mein Papa ist an Krebs gestorben, den Scheiß muss ich mir nicht antun. Und wenn Hamza mich aus Spaß auch auslacht, in Wahrheit akzeptiert er es und findet es sogar gut.

      »Wie fandst du die mit den langen braunen Haaren?«, frage ich Hamza, als wir vor dem Club stehen und die schrägen Typen beobachten, die um diese Zeit auf Sankt Pauli unterwegs sind.

      »Die in dem silbernen Top?«

      »Ja genau. Die.«

      Hamza grinst. »Ich dachte, du stehst auf blond, Digga!«

      Ich fühle mich ertappt. »Und?«, sage ich dann lässig. »Vielleicht ist sie ’ne Streberin, aber sie ist auch echt süß irgendwie.« Und dann frage ich das, was mich schon seit einer ganzen Weile interessiert: »Wie findest du sie denn?«

      »Marie?« Hamza grinst wieder. »Musst dir keine Sorgen machen, Nelson. Ich steh nich auf Streberinnen.«

      Ich bin nicht sicher, ob mich das wirklich beruhigen soll! Wenn es ein Junge aus der Klasse mit Marie aufnehmen könnte, also, vom Schlausein her, dann fällt mir eigentlich nur Hamza ein. O. k., Akif ist auch schlau. Aber Akif ist so schlau, dass ihm in der Schule die ganze Zeit nur langweilig ist, und davon ist er gleich selber langweilig geworden. Hamza ist zwar schlau, aber er weiß jetzt nicht alles, sodass man wie bei Akif Angst hat, sich überhaupt mit ihm zu unterhalten. Und es ist auch nicht so, dass Hamza ständig damit angibt. Und – was noch viel wichtiger ist –, kaum einer wird so respektiert wie Hamza. Darauf stehen doch Frauen!

      »Du sagst das doch jetzt nur so, oder, dass du nicht auf Streberinnen stehst?! Du hast doch selber mal gesagt, dass dich nervt, wenn Mädchen sich nur für Make-up interessieren! Marie wäre doch genau das Richtige für dich, oder?!?«

      Hamza grinst, als ob er die Situation superlustig findet. Es macht mich fast aggressiv, dass er sich so amüsiert!

      Aber bevor ich noch mehr sagen kann, hören wir eine Mädchenstimme kreischen. Das Mädchen mit den langen braunen Haaren und dem silbernen Top kommt aus dem Club gestolpert, daneben ihr Typ. Er hält sie am Oberarm fest und brüllt sie an.

      »Scheiße, was geht hier ab?«, sagt Hamza.

      Der Typ lässt den Arm des Mädchens los und schlägt ihr kurz und hart ins Gesicht. Sie schreit auf und versucht, ihn zurückzuschlagen. Er fängt ihren Arm ab, schubst sie gegen die Hauswand, spuckt auf die Straße, steigt in seine Scheißkarre und fährt davon.

      Zwei, drei Besoffene stehen glotzend drum herum.

      Das Mädchen lehnt laut heulend an der Wand.

      Ich gehe hin.

      »Hey«, sage ich, »der is weg …«

      Ich rieche ihr Parfüm. Der süße Geruch mischt sich mit dem Gestank von Pisse zwischen Hauswand und Bürgersteig.

      »Du brauchst keine Angst mehr haben … Das Arschloch is weg …«

      Sie hebt ihr mit Make-up verschmiertes rot geweintes Gesicht und heult weiter.

      »Der kommt nicht wieder …«

      Heulen und Schniefen. »Hat er dir sonst noch was getan …?«

      Mit Mühe kann ich sie verstehen.

      »Schlüssel im Auto … Mama beim Wellness-Wochenende …«

      »Hey … das kriegen wir schon hin …«

      Und jetzt liege ich hier mit diesem Mädchen im Arm. Sie atmet tief, und manchmal seufzt sie im Schlaf.

      Im Gegensatz zu ihr habe ich die ganze Nacht nicht geschlafen. Wie auch, wenn ich ihren warmen Rücken an meinem Oberkörper spüre und ihre weichen Haare an meinem Gesicht?! Und an meinem Arm, durch das T-Shirt, das ich ihr zum Schlafen gegeben habe, ihre Brüste. Ich berühre sie zwar nur ganz leicht mit der Innenseite von meinem Unterarm. Aber es ist das krasseste Gefühl ever. Schlafen ist da definitiv nicht drin.

      Es wird langsam hell. Ich konzentriere mich auf das Gefühl von glattem braunen Haar an meinem Gesicht und streichle vorsichtig ihre Schulter.

      Sie wacht erst auf, als ihr Handy klingelt. Verschlafen setzt sie sich auf.

      »Hallo Mama …«

      Die Frau am anderen Ende spricht so laut, dass ich mithören kann. »Katharina, was geht hier vor sich? Warum bist du nicht zu Hause?«

      »Ich hab bei einem Freund übernachtet.«

      »Bei Jonas?«

      »Nee … mit Jonas hab ich Schluss gemacht … Ein anderer Freund.«

      »Und wann kann ich mit dir rechnen?«

      »In zwei Stunden, denke ich …«

      Katharina legt auf und lächelt mich an.

      »Morgen«, sage ich verlegen. »Ich geh dann mal … duschen.«

      Katharina gähnt. Sie kuschelt sich wieder unter die Decke. »Alles klar.«

      »Ich hab ’ne Freundin hier übernachten lassen«, sage ich zu Mama, als ich aus dem Bad komme. Sie guckt erstaunt.

      »Erklär ich später.«

      Dann bringe ich Katharina ein Handtuch und stelle Frühstück auf den Küchentisch. Als sie unter der Dusche ist, ruft Hamza an.

      »Und? Hat die echt bei dir gepennt?«

      »Jep. Und in meinem Arm einschlafen wollte sie außerdem. Sie hat darauf bestanden.«

      Hamza lacht sich kaputt. »Also endlich nich mehr Jungfrau, Digga?«

      »Red kein Schwachsinn«, sage ich.

      Er lacht so sehr, dass ich schon leicht genervt bin.

      Katharina kommt in die Küche und guckt neugierig zu mir.

      »Hau rein, Bro«, sage ich zu Hamza und lege auf.

      Zu dritt essen wir Frühstück und ich höre verwundert zu, wie Mama und Katharina sich über Eiskunstlauf, glutenfreies Brot und Genmanipulation unterhalten.

      »Ich muss jetzt leider los«, sagt Katharina nach dem Frühstück, und es klingt, als fände sie das total schade.

      Ich finde es auch total schade. Katharina ist richtig nett, und voll süß. Die ganze Zeit lächelt sie mir zu, und es macht derbe Spaß, ihr zuzuhören. Dabei interessiert mich Eiskunstlauf nicht einmal!

      Ich hätte nichts dagegen, die nächste Nacht genauso zu verbringen wie die letzte. Und alle anderen Nächte. Wenn ich dann auch nie mehr schlafen könnte. Aber egal, oder?!

      »Soll ich dich zur Haltestelle bringen?«

      »Das wäre superlieb!«

      Als wir auf der Straße stehen, hakt sie ihren kleinen Finger in meinen. Mein Herz schlägt ein bisschen höher und vorsichtig gucke ich sie von der Seite an. Sind wir jetzt zusammen?

      Sie dreht den Kopf zu mir und grinst. »Was ist?«

      »Nichts …«

      »Du bist echt süß, Nelson.«

      Das hat mir noch nie jemand gesagt. Also, außer Mama, und Tante Luisa vielleicht. Und es bringt mich ziemlich durcheinander. Ich wüsste gerne, was ich darauf antworten soll. ›Findest du?‹, ›Danke für das Kompliment‹, ›Du auch‹?

      Weil ich keine Ahnung habe, ob irgendetwas davon die passende Antwort wäre und wenn ja, welche, sage ich einfach


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