Die Brücke nach Ispahan. Wilhelm Ernst Asbeck
lag es glatt zurückgekämmt. Ein schmaler, zusammengekniffener Mund und eine hervorspringende Hakennase gaben seinem Antlitz das Aussehen eines Raubvogels. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, wenn man seine nachtdunklen Augen betrachtete. Er hatte einen ruhelosen, stechenden Blick. Sein Körper war untersetzt und breit. An den Fingern seiner klobigen Hände trug er kostbare Ringe. Sein Wesen setzte sich zusammen aus einem Gemisch von aalglatter Unterwürfigkeit, Rücksichtslosigkeit und Geschäftsklugheit.
Er hatte in lässiger Haltung auf einem Stuhl Platz genommen, während Mynheer im Sofa sass. Beide Herren schmauchten Pfeife.
Vor dem Holländer lagen mehrere Empfehlungsbriefe ausgebreitet, die er mit grosser Aufmerksamkeit las; dann faltete er sie sorgsam zusammen und gab sie seinem Gegenüber zurück, indem er fragte: „Sie sind also Perser?“
„Jawohl, mein Herr, aber erzogen bin ich in europäischem Sinne. Mein Vater liebte die Kultur des Abendlandes, und Sie werden aus meiner Kleidung und Sprache feststellen, dass ich bald mehr Holländer als ein Kind meines Geburtslandes bin.“
„Leben Ihre Eltern nicht mehr?“
„Nein. – Dort unten sieht die Welt anders aus, als im geruhsamen Holland. Es ist nicht ungefährlich, ein Würdenträger am Hofe Abbas zu sein. Vater fiel in Ungnade. Ein unbedachtes Wort genügte. Er und meine Mutter wurden enthauptet.“
„Sie sprechen über diese Dinge, als berichteten Sie die alltäglichsten Begebenheiten“, unterbrach ihn der Handelsherr.
„Würden Sie im Iran leben, so wüssten Sie, dass jedermann, der sich in der Umgebung des Schahs befindet, damit rechnet, eines Tages eines gewaltsamen Todes zu sterben. Niemand bei uns sieht etwas Besonderes darin.“
„Wirklich, ein verlockendes Land, in dem Sie zu Hause sind!“
„Unser Glaube lehrt uns, eines jeden Menschen Schicksal sei ihm von Gott vorgeschrieben.
„Ich würde jedenfalls versuchen, mein Geschick zu meistern“, konnte van Scheijten nicht unterlassen zu bemerken.
„Ich tat ein gleiches; hielt mich vom Hofe fern und wurde Kaufmann.“
„Und Abbas?“
„Er ist ein grosszügiger Herrscher, der dem Sohn nicht nachträgt, dass einst sein Vater in Ungnade gefallen ist. Er sieht es gern, wenn ich Beziehungen zu fernen Ländern anknüpfe, und er unterstützt mich in meinen Bemühungen weitgehendst.“
„Ja, Sie versprechen sich also aus der Verbindung mit meinem Hause guten Nutzen für sich und – – mich?“
Mit der ganzen Leidenschaft des Südländers schilderte der Gefragte den Reichtum seiner Heimat und die vielseitigen Möglichkeiten, mit den Erzeugnissen Persiens grosse Geschäfte zu machen. Ein leichtes würde es für ihn sein, die Franzosen und Engländer aus dem Felde zu schlagen und das Alleinhandelsrecht für fast alle Staaten des Abendlandes in die Hände Mynheer van Scheijtens zu lenken.
Als die beiden Männer spät in der Nacht schieden, war der Vertrag unterzeichnet, und das Handelshaus David van Scheijten erklärte sich bereit, in Ispahan eine Faktorei zu errichten, deren Leitung in Operchis Hände gelegt wurde.
Lange, nachdem der Perser gegangen war, dachte van Scheijten noch darüber nach, ob er richtig gehandelt habe. Ein Vermögen legte er dort draussen fest!
*
Fünf Gäste weilten eines Abends in Otto Brüggemanns Heim in der grossen Reichenstrasse: die Familie Tullae und der Schweizer Stadler.
Andreas Tullae galt als ein Künstler in seinem Beruf. Ratsherren, Grafen und Fürsten zählten zu seinen Kunden. Vor vielen Jahren war einer seiner Vorfahren von Reval nach Hamburg übergesiedelt und als Uhrmacher zugelassen worden. Das Handwerk hatte sich von Geschlecht zu Geschlecht, von dem Vater auf den Sohn vererbt. Christine, die Gattin Tullaes, entstammte einer reichen Kaufmannsfamilie. Beide lebten in glücklicher Ehe, die nur dadurch getrübt wurde, dass der Name Tullae mit ihnen aussterben würde; denn sie besassen keinen Sohn, sondern nur zwei Töchter. Auf diese konnten sie allerdings stolz sein; in ihnen fanden sich Anmut, Geist und Schönheit vereint. Barbara hiess die ältere. Ein stattlicher junger Mann von fünfunddreissig Jahren hatte neben ihr Platz genommen, Johann Rudolph Stadler, des Uhrmachers erster Gehilfe, der wegen seiner Kunstfertigkeit einen guten Ruf genoss. Sein offenes Gesicht, die weltgewandten Umgangsformen, sowie sein bescheidenes und doch sicheres Auftreten gewannen ihm alle Herzen. Er stammte aus Zürich. Tullaes jüngere Tochter, Elisabeth, kaum neunzehn Jahre alt, sass Brüggemann zur Seite.
Die Unterhaltung verlief lebhaft. Hier spürte man nichts von den Schrecken und dem Elend des furchtbaren Krieges, der seit fast acht Jahren die deutschen Lande überzog. Frohes Lachen und Gläserklang hallten durch den Raum.
Draussen hörte man einen Wagen anfahren und vor dem Hause halten. Unwillkürlich verstummte das Gespräch. Wenige Augenblicke später ward die Tür geöffnet; der treue, wortkarge Diener Steen Jenson trat ein, überreichte seinem Herrn eine Karte und flüsterte ihm etwas zu.
Brüggemann horchte auf und sah sich die Karte an. Unter fremden, ihm unbekannten Zeichen stand in lateinischen Buchstaben: „Nicolaus Jacob Operchi, Kaufmann, Ispahan, Persien.“
Unwillkürlich hatte der Hausherr mit halblauter Stimme gelesen. Nun war allseitig das Interesse erweckt. Ein persischer Kaufmann in Hamburg, das gab es nicht alle Tage!
„Ich lasse bitten!“ – Gleich darauf geleitete Jenson den Fremden hinein.
Operchi machte eine weltmännische Verbeugung, begrüsste die Anwesenden in gebrochenem Deutsch und fragte, ob man ihn verstehen werde, wenn er Holländisch rede, da er diese Sprache besser beherrsche. Brüggemann und Stadler bejahten.
„So bitte ich gütigst zu entschuldigen, dass ich so spät noch um eine Unterredung ersuche. Da ich aber weiss, dass ein Handelsherr am Tage stets sehr beschäftigt ist und einer Sache von grosser Wichtigkeit nicht die erforderliche Zeit widmen kann, so nahm ich mir die Freiheit, nach Feierabend vorzusprechen. Dabei ahnte ich allerdings nicht, dass ich störend in den Familienkreis eindringen würde.“
Brüggemann machte ihn mit den Anwesenden bekannt, forderte ihn auf, an der Tafel teilzunehmen und sein Gast zu sein.
Bald kam ein lebhaftes Gespräch in Gang. Der Perser erzählte von der Schönheit seiner Heimat, von Gebräuchen und Sitten, von Land und Leuten.
In Stadlers Augen begann das Feuer der Abenteuerlust zu leuchten. Sein unruhiger Geist hatte ihn schon mit kaum zwanzig Jahren in die Welt hinausgetrieben; er kannte die Schweiz, Oberitalien, Südfrankreich, den Rhein und Holland, wo er ein Jahr in Amsterdam verbrachte.
Operchi nannte den Namen van Scheijten. Ja, den Mann schätzte auch Stadler sehr; er war bei Mynheer aus- und eingegangen und ob seiner Kunstfertigkeit hoch angesehen gewesen. Diese gemeinsame Bekanntschaft schlug schnell die Brücke zu einem herzlichen Ton.
Mit grosser Spannung folgten der alte Tullae und die Damen der Unterhaltung. Brüggemann und Stadler übersetzten ihnen den Inhalt.
Der Perser erzählte, dass er bisher den Landweg gewählt habe, um die Völker und die Möglichkeit neuer Verbindungen an Ort und Stelle zu studieren. Dann fuhr er fort:
„Oft, sehr oft, bin ich auf Ihren Namen gestossen, und ich freue mich Ihnen sagen zu können, dass ich nur Gutes hörte. Überall rühmt man Ihren tatkräftigen Unternehmungsgeist. Weitschauend, wie Sie sind, beschränken Sie sich nicht nur auf den Holzhandel, sondern verleiben immer neue Zweige Ihrem Geschäft ein. Das gibt mir den Mut, Sie aufzusuchen. Ich will Ihnen den Weg bahnen zu ungeahnten Verdienstmöglichkeiten!“
Der Hamburger lehnte sich lächelnd zurück. Er betrachtete alle Dinge nüchtern und sachlich. So fragte er denn: „Und welchen Vorschlag wollen Sie mir unterbreiten?“
„In Ispahan eine Faktorei zu errichten.“
„Unter Ihrer Leitung natürlich?“
„Gewiss; denn ich kenne die Eigenarten des Landes und seiner Märkte wie kein zweiter. Zudem besitze ich das