Die Brücke nach Ispahan. Wilhelm Ernst Asbeck
Irans, Arabiens und des Orients für den gesamten Norden in die Hände bekommen.“
„Sollten da andere Staaten nicht auch mitzureden haben?“
„Portugal und Spanien sind längst ausgeschaltet, Italien hat nie bei uns festen Fuss fassen können; eine Zeitlang besassen Frankreich und England grösseren Einfluss in Ispahan. Jetzt ist ihnen in Holland ein neuer Wettbewerber entstanden. Es hat aber an den Südstaaten des Abendlandes ein hinreichend weites Absatzgebiet. Nun steht es bei mir, Ihnen Mittel- und Nord-Europa zu überlassen. Wohlverstanden, Ihnen allein!“
Die Gespräche währten bis tief in die Nacht. Brüggemann stand dem Vorschlag nicht ablehnend gegenüber, aber zu einem Vertrag konnte er sich nicht sofort entschliessen. Er wünschte jedoch mit Operchi in Verbindung zu bleiben.
Stadler erhob sich. Sein Gesicht glühte vor Erregung. „Bietet sich in Ispahan auch Gelegenheit für einen tüchtigen Uhrmacher, um vorwärtszukommen?“ fragte er.
Der Perser antwortete: „Selbstverständlich! Es dürfte sogar möglich sein, am Hofe Abbas eingeführt zu werden; ich selbst würde meinen ganzen Einfluss bei dem Schah geltend machen!“
Tullae hörte diesen Vorschlag ungern; es handelte sich um seinen tüchtigsten Gehilfen. Auch Barbara liess den Kopf hängen. –
Aufregende Tage folgten. Im Hause Tullae fand Doppelverlobung statt. Stadler sollte Operchi nach Ispahan begleiten und später seine Braut holen. Sie zeigte sich jetzt voll kindlicher Freude; denn auch sie hatte die Reiselust ergriffen; fremde Menschen und Städte wollte sie kennenlernen und schliesslich an der Seite des geliebten Mannes im Märchenland ein neues Heim finden. Sie war jung und unerfahren, glaubte, da draussen müsse alles leuchtender und schöner sein, als hier oben im Norden; dort im Süden werde ihrer eitel Glück und Freude warten.
Brüggemann bestärkte die beiden in ihrem Vorhaben, bat aber gleichzeitig seinen zukünftigen Schwager, ihm über alles Wissenswerte ausführlich zu berichten, besonders die Augen offenzuhalten, welche Handelsmöglichkeiten sich boten. Auch sollte er die europäischen Niederlassungen auskundschaften und bei der weiten Entfernung das Für und Wider einer solchen Verbindung sorgfältig abwägen.
*
An einem schönen Sommertag des Jahres 1626 verliess in aller Frühe ein stattlicher Zug das Steintor. Zwei Reisewagen, mit allen Bequemlichkeiten der damaligen Zeit ausgestattet, mehrere hochbeladene Plangespanne und eine grosse Anzahl Landsknechte traten die Reise nach Lübeck an. Man tat gut daran, vorsichtig zu sein; denn Unruhe und Feindschaft beherrschten die Welt. Der Heerweg durch den Sachsenwald galt schon in Friedenszeiten wegen der adligen Strauchritter als nicht geheuer. Nun, diese Herren würden sich besinnen, allzu lüstern nach der kostbaren Beute zu greifen: denn sie könnten mit blutigen Köpfen heimgeschickt werden!
Brüggemann ist grosszügig gewesen. Er hat den fremden Gast mit vielen kostbaren Geschenken bedacht, und dieser versprach, ihm aus Ispahan seine Dankbarkeit zu beweisen. Der Kaufherr solle bei der Gelegenheit auch gleichzeitig die wichtigsten persischen Handelsartikel kennenlernen.
Ohne Unfall wurde das Reiseziel erreicht. Es traf sich gut; eine Bark lag zur Abfahrt nach Reval bereit.
Den Abschied empfand Stadler schwerer, als er dachte. In dieser Stunde spürte er, wie tief er mit den aufrechten nordischen Menschen verbunden war, und welchen Gefahren und welcher Ungewissheit er entgegenging. – –
Brüggemann, auf der Hinfahrt der unterhaltendste Gesellschafter, zeigte sich auf der Rückreise still und in sich gekehrt. Ein grosser, kühner Plan begann Gestalt zu gewinnen: immer drückender wurde der Gürtel, den der Dänenkönig Christian IV. um Hamburg legte. Hatte er vordem schon durch seine Kriegsschiffe in der Elbe eine unerträgliche Überwachung und Belastung der Schiffahrt ausgeübt, so prahlte er jetzt ganz offen, die Festung Glückstadt nur deshalb erbaut zu haben, um den Handel der ihm verhassten Hansastadt zu lähmen und nach seiner Neusiedlung zu leiten. Unter solchen Umständen ergab sich die Notwendigkeit, rechtzeitig einen Gegenstoss zu unternehmen. War’s mit dem Schwert in der Faust nicht möglich, so musste ein anderer Weg beschritten werden. Durch den Handel mit Persien glaubte Brüggemann ihn gefunden zu haben. Seine angeborene Vorsicht hielt ihn jedoch davon ab, selbst ein solches Wagnis zu unternehmen. Ihm schwebte ein gewaltiges Unternehmen vor Augen; er dachte dabei an die Ost- und Westindischen Kompanien, wie sie in Frankreich, England und Holland bestanden.
Anfangs versuchte er eine Vereinigung der reichsten Hamburger Handelshäuser zustande zu bringen; die Herren fanden indessen heraus, dass Brüggemann auf jeden Fall sein Schäfchen ins Trockne bringen würde, sie aber gar leicht in die Lage versetzt werden könnten, eintretende Verluste allein zu tragen. Sein Anerbieten fand keine Zustimmung.
Nun wandte er sich an den Rat der Stadt. Man lachte ihn aus. Nein, da werde das Geld aus der Staatskasse denn doch zu wichtigeren Dingen benötigt. In diesen unsicheren Kriegszeiten legte man einen höheren Wert darauf, die Festungswälle instandzuhalten und Landsknechte anzuwerben, als sich auf zweifelhafte Geschäfte mit unbekannten Ländern einzulassen.
Je höher aber sich die Schwierigkeiten türmten, die sich seinem weitblickenden Plan entgegenstellten, um so unbeugsamer reifte in Brüggemann der Entschluss, seinen Gedanken in die Tat umzusetzen. Mit zäher, verbissener Willenskraft richtete er sein ganzes Denken und Sinnen darauf, von Persien das alleinige Handelsrecht für seine Heimat, Dänemark, Schweden, Norwegen und die Küstengebiete der Ostsee zu erlangen; später hoffte er dann auch noch Holland und alle übrigen Wettbewerber aus dem Felde schlagen zu können.
Otto Brüggemanns kühner Gedanke bedeutete für die damalige Zeit etwas Ungeheuerliches. Man schüttelte den Kopf und begann ihn als Sonderling zu verspotten. Niemand glaubte an ihn – bis auf eine: seine Braut Elisabeth Tullae. Sie stärkte sein Zutrauen und zweifelte nicht daran, dass der Tag kommen werde, wo sein Name als der eines der grössten und geachtetsten Kaufherren aller Zeiten genannt werden würde.
Der Gedanke reift zur Tat
Wieder war ein schöner Sommertag. Zwei Jahre vergingen, seitdem Operchi und Stadler Hamburg verlassen hatten.
Andreas Tullae schritt hoch erhobenen Hauptes durch seinen Laden. Nicht ohne Grund suchten ihn die hohen Herren von nah und fern auf; wo fanden sie sonst auch solch eine reiche Auswahl auserlesener Kunstwerke?
Vor einem mächtigen, in Ebenholz gefassten und mit Silber verziertem Uhrwerk blieb er stehen. Es handelte sich um eines seiner herrlichsten Schaustücke; aber es dürfte nicht leicht halten, einen Käufer zu finden, der in der Lage war, den Preis zu zahlen.
Und doch befand sich ein noch kostbarerer Gegenstand in seiner Ausstellung. Da stand auf einem Tisch ein vollständiges, künstliches Bergwerk aufgebaut, in dessen Mitte ein grosses Zifferblatt und im Innern eine Uhr mit Schlagwerk angebracht waren. Mit dem Glockenschlag zwölf belebte sich ein darunter angebrachter Hohlraum. Figuren tauchten aus der Tiefe hervor, und vor den Augen der Beschauer zog in beweglichen Bildern die bekannte Geschichte des verlorenen Sohnes vorüber. Gleichzeitig ward es im Bergwerk lebendig, ein eifriges Hämmern, Arbeiten und Pochen entstand. Mit dem zwölften Glockenschlag fielen die kleinen Bergleute wieder in ihre Erstarrung zurück; das letzte Bild der biblischen Legende verschwand in der Versenkung. –
In des Meisters Werkstatt betätigten sich ein halbes Dutzend Gesellen; aber keiner von ihnen vermochte Stadler zu ersetzen. Tullaes Gedanken weilten bei ihm.
Mitten aus seinem Denken wurde er herausgerissen. Ein Wagen hielt vor der Tür. Eilfertig wollte er dem vermeintlichen Kunden entgegengehen, als Brüggemann – seit Jahresfrist sein Schwiegersohn – und Elisabeth eintraten. Ihnen folgten zwei Angestellte, die Pakete herbeischleppten, eine ganze Fuhre!
„Um Himmels willen, Otto, was soll das? Du versperrst ja jeden Durchgang! Vorsicht! Vorsicht!“
Der Gefragte zeigte ein so stolzes und frohes Lachen, wie der Meister es nie zuvor von ihm gehört hatte.
Tullaes Frau und Barbara eilten herbei; sie schlugen staunend die Hände über dem Kopf zusammen.
„Grüsse aus dem Morgenland“, rief übermütig Elisabeth.