Die Brücke nach Ispahan. Wilhelm Ernst Asbeck

Die Brücke nach Ispahan - Wilhelm Ernst Asbeck


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Wissenschaften nicht weniger als Ihr; wenn aber mein Haus brennt, so lösche ich erst das Feuer und verschiebe alle übrigen Dinge auf eine Zeit, in der die Gefahr vorüber ist!“

      Friedrich blickte eine Weile schweigend zu Boden; dann entgegnete er: „Mit dem Schwerte dreinzuschlagen, haben sie alle im Laufe der Jahre gelernt; aber es muss auch in Kriegszeiten Fürsten geben, bei denen Kunst und Wissenschaft eine Zufluchtsstätte finden und deren Blick über die engen Grenzen der Heimat hinausreicht.“

      Eine grosse Ruhe schien über Kielmann gekommen zu sein. „Ihr jagt einem Trugbild nach. Je mehr ich über Eure phantastischen Pläne nachdenke, um so mehr erachte ich es als Euer Freund und Berater für meine Pflicht, Euch vom Abgrund zurückzureissen, bevor es zu spät ist. Wie ein böser Geist ist Brüggemann in Euer Schloss eingedrungen. Denkt an die Zeit zurück, wo Ihr ihn nicht kanntet. Eure Untertanen liebten und verehrten Euch, und heute? Man wendet sich ab, wenn Ihr naht; Hass, Tränen und Flüche sind die Frucht seiner Saat.“

      „Glaubst du, ich leide weniger darunter als du? – O nein, mein Freund; aber das Harte, was jetzt geschieht, muss eintreten, um das grosse Werk reifen zu lassen. Der Hass, die Tränen und die Flüche meiner Untertanen sind der Boden, aus dem die Frucht der Freude, des Glückes und des Reichstums für alle meine Landeskinder erblühen wird! Es kommt der Tag, an dem sie mich verstehen lernen und meine Taten segnen werden. Wer ein grosses Ziel vor Augen hat, muss alle kleinlichen Bedenken beiseiteschieben!“

      „Nein und abermals nein! Wer ein grosses Ziel verfolgt, darf deswegen nicht zum Henker seines Volkes werden! Er muss warten lernen, bis die Zeit der Reife da ist; Ihr aber wollt die unreife Frucht vorzeitig vom Baum pflücken! – Oh, dass ich Euch die Binde von den Augen reissen könnte! Seht um Euch! Die nordfriesischen Inseln werden von den Dänen gebrandschatzt; die Westküste hinauf ziehen Wallensteins Truppen, sengend, brennend und raubend; und, anstatt ihnen ein Heer entgegenzustellen, bilden die von Euch entlassenen Landsknechte Räuberbanden, die das flache Land heimsuchen. Nacht für Nacht färben Feuersbrünste den Himmel blutigrot! Was von diesem Gesindel verschont bleibt, das treiben Eure Büttel von der Scholle, weil der kleine Bürger, Bauer und Handwerker nicht mehr in der Lage ist, die ungeheuren Abgaben zu zahlen, die Ihr in Eurer Verblendung von ihnen fordert!“

      *

      Im Hause Tullae herrschte Freude! Ein Brief aus Ispahan war eingetroffen.

      „Geliebte Barbara! Denke Dir, welche Ehre mir zuteil geworden ist. Durch Operchis Vermittlung wurde ich am Hofe des Schahs eingeführt und fand eine äusserst gnädige Aufnahme. Der Weg zu unserer Zukunft steht offen. Ich hoffe, es wird ein märchenhaftes Glück werden, wie in diesem von der Natur so überreich gesegneten Land alles einem Märchen gleicht. Sowenig aber ein Rosenstrauch ohne Dornen, das Licht der Sonne ohne Schatten denkbar ist, so dürfte es kaum ein Paradies auf Erden geben, dessen Freude nicht durch die Schuld der Menschen getrübt würde. Trümmerstätten einst blühender Städte sind hierfür traurige Zeugen. Kriege mit Türken und Tataren, sowie der weite, beschwerliche und gefahrvolle Weg lassen es ratsam erscheinen, von der geplanten Reise nach Ispahan Abstand zu nehmen. Du würdest ausserdem den persischen Menschenschlag nicht verstehen; sie denken, handeln und empfinden anders, als wir. Manches dürfte Dich abschrecken und abstossen.

      Nun, geliebte Barbara, sei bitte nicht über diese Zeilen betrübt. Freue Dich, dass mir Glück und Ehre beschieden ist. Ich lebe unter dem Schutz des Schahs und der Freundschaft des einflussreichen Operchi sicherer und ungefährdeter, als Du und die Deinen hinter den Wällen Hamburgs. Nur wenige Jahr trennen uns noch, dann kehre ich, mit irdischen Gütern reich gesegnet, zurück.“

      Immer und immer wieder las Barbara den Brief. Sie war enttäuscht, in der Heimat bleiben zu müssen. Furcht vor Gefahren war ihr fremd. Zwischen den Zeilen stand etwas Geheimnisvolles zu lesen, das sie ängstigte. Sie sorgte sich um das Leben des geliebten Mannes, und, ganz heimlich, fürchtete sie, er könne ihr die Treue brechen. Sooft sie sich auch eine Närrin schalt, hartnäckig kehrte der Gedanke wieder.

      *

      Alle Post ging durch van Scheijtens Hände. Auch Brüggemann hatte durch ihn einen langen Brief bekommen. Der Schwager forderte ihn auf, endlich den Handelsvertrag mit Operchi – dem er da draussen so vieles zu verdanken habe – abzuschliessen. Der Perser hatte auch ein ausführliches Schreiben beigefügt, und zwischen den aalglatten, verbindlichen Zeilen las man deutlich das beginnende Misstrauen.

      Schweigend reichte Brüggemann den Brief Elisabeth.

      In seinem Innern kämpften Unrast und Zweifel, schon seit seiner vor wenigen Tagen erfolgten Rückkehr von Gottorp. Der Empfang beim Herzog hatte durchaus freundschaftlichen Charakter getragen. Die Vorbereitungen waren weiter gediehen, als er zu hoffen wagte. Dennoch konnte er seines Erfolges nicht froh werden. In Gegenwart des Fürsten kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und Kielmann, die schliesslich in offene Feindschaft ausartete. Freilich, er blieb Sieger. Seiner Beredsamkeit gelang es, alle Bedenken zu zerstreuen; aber er fühlte wohl heraus, welch unbeugsamen und einflussreichen Gegner er in dem Minister gefunden hatte. Und was noch schwerer wog als alles andere, er konnte sich nicht verhehlen: das Recht lag auf Seiten des aufrechten Mannes!

      Mit guter Absicht hatte er zur Rückreise den Landweg gewählt, allen Gefahren zum Trotz. Dank der starken Eskorte kam er unangefochten nach Hamburg zurück; er sah jedoch unterwegs so namenloses Elend und so furchtbare Greuel, dass sein Gemüt aufs tiefste erschüttert wurde und Gewissensbisse ihn plagten.

      Elisabeth brach das Schweigen: „Es ist richtig gewesen, Rudolf nicht von unseren Plänen zu unterrichten. Halte Operchi auch ferner bin. Er wird sich wundern, wenn du eines Tages mit grossem Gefolge in Ispahan eintriffst und ihm zeigst, dass wir seine Hilfe nicht benötigen, sondern selbst das Heft in die Hand genommen haben!“

      Der Kaufherr war an seine Frau herangetreten. Seine Stimme bekam einen seltsamen Klang; Müdigkeit und verhaltene Seelenqual sprachen aus seinen Worten: „Ich habe es mir reiflich überlegt; ich werde jetzt doch den Weg über Operchi wählen,“

      Elisabeth starrte ihn an. Sie vermochte vor Staunen keinen Laut hervorzubringen.

      „Schon um Stadlers willen“, fügte er nach einer Weile wie entschuldigend hinzu.

      Höhnisch kam es zurück: „Seit wann bist du so auf das Wohl deiner Verwandtschaft bedacht? Im übrigen dürfte er Manns genug sein, sich ohne deine Rücksichtnahme durchzusetzen.“ Ihre Blicke bohrten sich in die seinen. Er schlug die Augen zu Boden. „Weil du feige bist, darum! Nenne das Kind doch beim rechten Namen! Jahre hindurch haben wir gehofft und gebangt, um dein grosses Werk in die Tat umzusetzen, und nun, wo wir uns am Vorabend des gewaltigen Ereignisses des Erfolges befinden, wird dir angst vor deiner eigenen Grösse, und du wirfst vor Kielmann die Flinte ins Korn!“

      Brüggemann bewahrte seine Ruhe und antwortete: „Wäre ich feige, so hätte ich zur Rückfahrt den sicheren Seeweg gewählt, und würde nicht von Schleswig nach Hamburg geritten sein. Fürchtete ich den Kanzler, so hätte ich längst die Angelegenheit ruhen lassen können.“

      „Nun also?“

      In Brüggemanns Augen trat ein Glanz, den Elisabeth bei diesem sonst so kalt berechnenden Mann nie zuvor gesehen hatte. Ein tiefes Erleben musste seine Seele bis ins Innerste getroffen haben. Er sprach mit einer Stimme, aus der zum erstenmal in seinem Leben Mitleid und Herzensgüte klangen: „Würden deine Augen gesehen haben, was diese hier erblickten, du möchtest anders reden. Zeuge war ich, wie Gerichtsbeamte armen Handwerkern ihr Werkzeug nahmen und damit die Möglichkeit, leben zu können; gesehen hab’ ich, wie der Herzog durch seine Schergen den Bauern das Vieh aus den Ställen treiben liess, wie elende Menschen mit Weib und Kind vom Hof gejagt wurden. Halbverhungerte Familien durchzogen das Land, schutz- und obdachlos, die im Elend verkommen müssen. Sterbende und Verhungerte fand ich am Wegrand liegen. Einsame Katen und ganze Dörfer traf ich, ausgeraubt und ausgeplündert von entlassenen Landsknechten. In den Trümmern der niedergebrannten Häuser, vor den Türen, in den zertrampelten Gärten und auf der Gasse lagen die Leichen Erschlagener oder Verbrannter. Nicht Greis noch Säugling, nicht Mann noch Weib waren verschont geblieben. Wohin ich kam, Grauen und Schrecken überall, Hunger und bitterste Not in den Städten und auf dem Lande. Und warum das alles?


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