Die Brücke nach Ispahan. Wilhelm Ernst Asbeck

Die Brücke nach Ispahan - Wilhelm Ernst Asbeck


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in Erstaunen setzte, auch einige Holländer, Engländer und Franzosen. Alle wetteiferten, ihrer Freude Ausdruck zu verleihen. Dicht vor den Toren gesellte sich ein besonders prunkvoll gekleideter Trupp zu ihnen. Es war der Poslanik Alexei Sawinowitz, der Gesandte des Zaren, mit seiner Begleitung. Zwischen ihm und Operchi schien ein besonders herzliches Freundschaftsverhältnis zu bestehen. Am höchsten stieg aber Stadlers Verwunderung, als auch ein Mönch den Kaufmann bewillkommnete. Der Pater war ein rüstiger Mann von einigen dreissig Jahren. Er wandte sich an den Schweizer und sprach: „Ich heisse Joseph à Rosario. Die Güte des grossen Abbas hat es uns Augustinern gestattet, in den Mauern seiner Stadt unser Kloster zu errichten. Ich versuche mich seines hohen Schutzes dankbar zu erweisen, indem ich ihm als Übersetzer diene. Solltet Ihr in irgendeiner Lage einmal des Rates oder Beistandes bedürfen, so erinnert Euch meiner.“

      „Ehrwürdiger Pater, gern werde ich von Eurem hochherzigen Angebot Gebrauch machen, falls es die Umstände erfordern sollten.“ Dankbar drückte Stadler die Hand des portugiesischen Mönches. Seine Worte taten ihm wohl. Sie waren aus hilfsbereitem Herzen gesprochen. –

      Fürsten gleich zogen Operchi und Stadler in Ispahan ein. In den Strassen drängten sich zahllose Schaulustige. Der Uhrmacher erkannte mit Staunen, welches Ansehen sein Freund genoss.

      Durch breite Alleen führte der Weg; zu beiden Seiten standen palastähnliche Bauten inmitten grosser Gärten. Behäbige Herren, mit langen, wohlgepflegten Bärten, gingen vorüber. Auf dem Kopf trugen sie den Mendil: grosse, dicke, von Seide oder Kattun hergestellte Binden, die übereinandergewunden ihr Haupt bedeckten. Andere wieder hatten rauhe Mützen aufgesetzt, innen und aussen mit krausen bucharischen Schaffellen überzogen. Alle waren in lange, bis auf die Waden reichende Röcke gehüllt, die, meistens mit farbenfreudigen Blumen bedruckt, aus bunter Seide oder Kattun bestanden. Wohlhabende Leute liessen ihre Kleidung von Künstlern bemalen. Fast alle trugen grüne Strümpfe. – Frauen und Mädchen sah er vorüberschreiten, mit langen, vom Kopf bis zu den Füssen herunterhängenden weissen Tüchern bedeckt, die nur zwei Augenschlitze offenliessen.

      Endlich ward Operchis Faktorei erreicht. Der Schweizer bewunderte die ausgedehnten Lagerplätze, Schuppen und Häuser, die dazugehörigen zahlreichen Bedienten und die vielen Lasttiere: Kamele, Dromedare, Pferde, Esel und Maulesel.

      Etwas abseits stand inmitten eines ausgedehnten, sorgfältig betreuten Gartens ein grosses, vornehmes Gebäude. Hier wohnte der Handelsherr. An reichgedeckter Tafel wurde gespeist. Schöne Sklavinnen, in leichte Gewänder gehüllt, bedienten. – –

      Wie betörende Träume verrannen Tage und Nächte. Rausch, Pracht, Wohlgerüche und all der ungekannte Zauber des Morgenlandes hielten Stadlers Sinne umfangen.

      Überall wurde er mit überschwenglicher Liebenswürdigkeit aufgenommen. Sowohl die Perser als auch die in Ispahan ansässigen Armenier wetteiferten, ihm zu Ehren Feste zu veranstalten. Doch wie so anders verliefen diese Abende als jene in Reval! Hier fanden Kunst und Wissenschaft keine Stätte; herrliche Speisen und schwere Weine bildeten den Auftakt; Sklavinnen, oft im kindlichen Alter, füllten mit sinnberückenden Tänzen die Nächte.

      Die ortsansässigen Europäer hatten Stadler anfangs mit Misstrauen betrachtet; als sie aber feststellten, er wolle nur seinem Handwerk nachgehen und kümmere sich nicht um kaufmännische Dinge, fand er auch dort überall offene Häuser.

      Wochen vergingen. Nervenaufreizende Nächte, verträumte Tage. Junge Sklavinnen, stets ein verheissungsvolles Lächeln im Gesicht, waren seine Dienerinnen. Alle Genüsse dieser zauberhaften Umwelt kostete er aus. Sie lähmten seine Willenskraft und Schaffensfreude.

      Noch immer weilte Stadler als Gast in Operchis Haus. Freundschaft verband die beiden Männer.

      An einem herrlichen Herbstnachmittag raffte sich der Schweizer auf, um einen Rundgang durch Ispahan zu machen. Von den breiten Alleen bog er ab in ein Gewirr schmaler Gassen und enger Strassen, die von einer bunten Volksmenge belebt waren. Durch dieses Menschengewühl kam ihm plötzlich eine aus zwanzig hochbeladenen Kamelen und wohl ebensovielen Mauleseln bestehende Karawane entgegen. Die Tiere trotteten im langen Zug gemächlich eines hinter dem anderen. Die Treiber schrieen, die Menge wich scheltend zur Seite; es entstand ein fürchterliches Gedränge und ein ohrenbetäubender Lärm. Der junge Uhrmacher stand diesem unerwarteten Ereignis ratlos gegenüber, und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre er unter die Hufe eines Dromedares geraten. Im letzten Augenblick fühlte er sich zurückgerissen. Der Mönch stand neben ihm.

      Stadler sagte lächelnd: „Ehrwürdiger Pater, Euch hat mir der Himmel gesandt!“

      Dieser entgegnete mit einer seltsamen Betonung: „Ich glaube auch, mein Freund, und hoffe, dass Ihr den Wink Gottes richtig verstehen werdet.“

      Er geleitete ihn nach den Bazaren hinüber, die ein ganzes Stadtviertel ausfüllten. Hier herrschte eine wohltuende Kühle; denn die Strassen waren zum Schutz gegen die sengenden Sonnenstrahlen überdacht. Alle Herrlichkeiten des Morgenlandes fand man hier aufgestapelt. Ein Gewirr fremder Sprachen schlug an das Ohr der beiden Männer. Neben Persern hatten Armenier, Georgier, Türken, Tataren, Juden, Afghanen und Abendländer die Erzeugnisse ihrer Heimat ausgestellt. Besonders stark waren die Inder vertreten, von denen derzeit mehr als zwölftausend in Ispahan lebten.

      Der Portugiese geleitete seinen Freund aus dem bunten Treiben heraus zum Maidan; das war ein von einer Doppelreihe prächtiger Bogenhallen im Halbkreis umgebener Platz, wie Stadler ihn in einer solchen Ausdehnung nie zuvor gesehen hatte. Die Gewölbe dienten den verschiedensten Handwerkern – jede Zunft streng von der anderen getrennt – als Werkstätten und Verkaufsräume. Juweliere und Goldschmiede verrichteten dort ihre kunstvollen Arbeiten und boten ihre Kostbarkeiten feil. Seiden- und Baumwollzeuge wurden gewebt, Teppiche geknüpft, Waffen aus Eisen, Stahl und Bronze geschmiedet; Schneider, Schuhmacher und Sattler gingen ihrem Gewerbe nach; Holzschnitzer, darunter Künstler in der Herstellung wundervoller Pfeifenköpfe, Lackmaler, Glasbläser übten ihre Tätigkeit vor aller Augen aus. Dann folgten die Tzerra, die Wunden heilten, chirurgische Eingriffe und vor allem die Beschneidung vornahmen. In ihrer Nähe weilten die Dellaks, die den Männern den Kopf kahl schoren und den Bart pflegten. Aus Furcht vor Ansteckung brachte jeder Kunde sein eigenes Messer mit. Besondere Stände hatten auch die Schriftkundigen und die Wahrsager. Endlich befanden sich da noch Händler mit Lebensmitteln, Früchten, Gemüsen, sowie Fleischer und Bäcker.

      Stadler verwirrten all die neuen Eindrücke, und die lebhafte Art, wie der Handel vor sich ging. Rosario bemerkte es und führte ihn zum Südteil des Maidans, wo der Riesenbau der Mestrid Mehedi Schebesemân Moschee im Rohbau vollendet stand, Irans grösstes und schönstes Gotteshaus. Seit Jahrzehnten wurde schon daran gebaut. Noch immer sah man zahlreiche Handwerker beschäftigt; denn nun begann die Arbeit der Bildhauer, und auch im Innern der Kirche gab es vollauf zu tun.

      Auf einer hinter Buschwerk und Bäumen versteckten Bank liessen sich die beiden Männer nieder. Der Pater sprach: „Wohin Ihr kamt, habt Ihr fleissige, regsame Menschen gesehen, vom Künstler bis zum armseligen Treiber. Und was tut Ihr, der Ihr zu Grossem auserlesen seid!“ Die Augen des Mönches richteten sich auf Stadler und schienen bis in seine tiefste Seele zu dringen. „Haltlos lasst Ihr Euch treiben, Ihr versinkt in Sünde und in eine Eurer unwürdige Lebensweise. Rafft Euch auf! Vergesst nicht, weswegen Ihr hergekommen seid! Operchi nannte Euch einen unübertrefflichen Meister Eures Gewerbes; nun wohl, so liefert den Beweis Eures Könnens! Schafft Werke, die Euren Namen unvergänglich machen!“

      Der Uhrmacher gedachte der Stunde, als er in Reval den Totentanz der Petrikirche bewunderte und so hohe Pläne fasste. Wie war es nur möglich gewesen, dass er im Sinnesrausch alles vergessen konnte – – selbst Barbara!?

      Rosario fuhr im Sprechen fort: „Haltet Euren Lebenswandel makellos, so wird auch Eure Kunst sich rein und edel gestalten. Schafft nicht um des Geldes oder um des Ruhmes willen, sondern lasst es eine Schöpfung werden, die aus dem tiefsten Drang Eures Herzens heraus entsteht, die Ihr Eurem Gott in Dankbarkeit und Ehrfurcht widmet.“

      Stadler erhob sich. In seinen Augen brannte das Feuer edler Begeisterung. Er antwortete: „Ehrwürdiger Pater, es soll sein, wie Ihr sagtet. Auch ich will der Menschheit die Vergänglichkeit alles Tun und Treibens auf Erden in meinem Werke zeigen, will ihr


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