Die Brücke nach Ispahan. Wilhelm Ernst Asbeck
Zähne verloren, so beginnen sie ihn zu umschleichen und warten darauf, ihn im Schlaf zu zerreissen.“
Abbas zuckte zusammen. Ein unheimliches Feuer brannte aus seinen Augen: „Das gleiche dachte ich. Wer sind diese Hyänen? Sprich!“
„Ich könnte mich täuschen, auch möchte ich nicht Misstrauen säen zwischen dich und die, die deinem Herzen am nächsten stehen.“
„Meinem Herzen am nächsten stehen? – Es war ausser dir nur einer, und er fiel, ein Opfer hämischer Verleumdung.“
„Du tatest, was in deinen Kräften stand, seinen Tod zu rächen, und es liegt in deiner Macht, dereinst an Sefis Sohn die Schuld abzutragen, die pflichtvergessene Chane auf dein Haupt geladen haben.“
„Isachan, du sprichst aus, was ich seit langem erwäge.“
In diesem Augenblick wurde hastig die Tür aufgerissen, und herein traten zwei prunkvoll gekleidete Männer von etwa vierzig Jahren. Sie verneigten sich tief und blieben, wie abwartend, an der Tür stehen. Weder der Schah noch sein Vertrauter taten, als ob sie die Eintretenden bemerkt hätten. Zornesröte färbte die Wangen der Wartenden. Kurze Zeit noch verharrten sie in der demütigen Stellung; dann wechselten sie einen Blick des Einverständnisses und traten auf Abbas zu. Dieser schnellte vom Sitz empor. Ihm schwollen die Adern auf der Stirn, und blitzschnell riss er sein Schwert aus der Scheide. Auch Isachan hatte ein gleiches getan.
Der ältere der beiden Eindringlinge sprach: „Wozu das, Vater, sind wir deine Söhne oder deine Feinde?“
Der Gefragte entgegnete finster: „Das eine weiss ich, das andere weiss ich nicht, Chodabende!“
„Du würdest es wissen, wenn du uns, deinen Kindern, das Vertrauen schenktest, das du an jenen dort verschwendest!“ Ein hasserfüllter Blick traf Isachan.
Der Schah hatte sich gefasst. Er antwortete mit ruhiger Stimme: „Vertrauen will erworben sein, nicht ererbt!“
Da trat sein jüngster Sohn, Imanculi, an ihn heran und erwiderte: „So gib uns Gelegenheit, es zu erringen; wir warten seit langem darauf!“
„Es ist ausserordentlich gefährlich, einen Teil der Macht aus den Händen zu geben. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass dann in mehr als einem Fall das eigene Fleisch sich gegen seinen Erzeuger empörte.“
„So leihe künftig deinem Ohr wenigstens unseren Rat! Dreiundvierzig Jahre hast du nun allein geherrscht, wir beide sind heute keine Kinder mehr, und es würde deinem Lande nicht zum Schaden gereichen, wenn sich zu der Weisheit des Alters die Kraft der Jugend gesellte!“ rief Chodabende unbedacht.
Sein Vater betrachtete ihn eine Weile schweigend, warf ihm einen vielsagenden Blick zu: „Bist auch du dieser Ansicht?“
„Ich bin der Meinung, dass uns die Vorsehung in einem königlichen Bett zur Welt kommen liess, damit wir als Prinzen geachtet werden und eine unserer Abkunft würdige Betätigung erhalten.“
Langsam erhob sich der Abbas: „Ich verstehe euch besser, als ihr denkt! Ihr könnt euer ungebärdiges Blut nicht mehr zügeln. Erzwingen und ertrotzen wollt ihr euch Rechte, die zu erteilen nur von meinem Willen abhängt. Ihr glaubt, der Baum sei morsch geworden; ihr versucht, die Axt daran zu legen und hofft, ihn mit einem Streich zu Fall zu bringen. Längst schon habe ich eure dunklen Gedanken durchschaut! Nehmt euch in Acht!“
Chodabende bebte vor Erregung. Er rief: „Soweit also konnte es kommen, dass unser guter Wille als Verrat gedeutet wird! Ich sehe wohl, wem wir diese Behandlung zu verdanken haben. Vater, hüte du dich, den Einflüsterungen eines Mannes niederer Herkunft mehr Glauben zu schenken als deinem eigenen Fleisch und Blut!“
Imanculi bekräftigte: „Mein Bruder hat recht gesehen und richtig gesprochen! Denke daran, wie du schon einmal heimtückischen Chanen dein Ohr geliehen hast, wie dein Sohn Sefi auf ungerechtfertigten Verdacht hin nach deinem Befehl ermordet wurde!“
Die Hand Abbas hatte eine Glocke ergriffen. Schrill, wie ein wütender Aufschrei, klang ihr Schall durch den Raum.
Die Tür wurde aufgerissen. Darugo Chosrow und die Leibwache standen mit gezückten Schwertern im Rahmen.
„Ergreift sie!“ rief der Schah.
„Im nächsten Augenblick waren die Brüder entwaffnet und gefesselt.
Der Herrscher sprach, und kalter Hohn klang aus seinen Worten: „Ihr beide erzähltet mir von dem, was ihr zu sehen vermeintet. Es ist nicht gut, die Dinge im falschen Licht zu schauen. Da eure Augen Unheil anrichten könnten, so ist es besser, ich befreie euch von ihnen.“ – –
Am anderen Morgen wurden die Brüder von rohen Kriegsknechten vorwärtsgestossen. Sie, die gestern noch glaubten, die Vorstufe zum Thron des mächtigen Perserreiches betreten zu haben, sanken heute in tiefstes menschliches Elend. Ketten klirrten an ihren Händen und Füssen. Endlos schien den Geblendeten die Wanderung, da sie nicht wussten, ob es Tag oder Nacht sei. Endlich, nach zehn Tagen, erreichte der traurige Zug die Bergfeste Alamuth, drei Tagereisen hinter Caswin, wo beide in ein tiefes Kerkerverliess geworfen wurden.
*
Wenige Tage nach diesen Ereignissen ging der Schah, als einfacher Mann aus dem Volke verkleidet, über den Maidan. Da hörte er, wie ein armer Tagelöhner zu einem anderen sprach: „Wohin sind die Zeiten, als unser grosser Abbas noch ein Herz für die Unterdrückten besass, und er selbst nach dem Rechten sah? Damals wagte kein Bäcker sich zu weigern, Brot zu den festgesetzten Marktpreisen abzugeben; kein Fleischer hätte sich unterstanden, falsche Gewichte zu führen.“
Der Verkleidete fragte: „Kommt so etwas vor?“ Da lachten die beiden und riefen: „Bruder, woher stammst du eigentlich, dass du nicht weisst, was jedem Kind in Ispahan bekannt ist!“
„Steht es so schlimm hierzulande mit der Gerechtigkeit? – Könntet ihr mir wohl den Stand solcher Männer zeigen, damit ich mich hüte, von ihnen übervorteilt zu werden?“
Sie gingen zu den Gewölben, wo die Bäcker ihre Waren feilboten. Ein wohlgenährter Meister erregte die Aufmerksamkeit des Schahs. Er ging mit unterwürfiger Miene an den Stand und bat bescheiden, ihm ein Brot zu verkaufen.
„Kannst du haben, aber nicht zu den Preisen, die der Unverstand festgesetzt hat; denn ich verspüre nicht die geringste Lust, einst so heruntergekommen umherzulaufen, wie ihr drei Taugenichtse.“
„Der grosse Abbas hat doch befohlen, dass Ihr für diese Münze den Laib abgeben sollt.“
„Der grosse Abbas ist kein Bäcker und versteht nichts von unserem Gewerbe; zudem muss ich mit meinen Getreidevorräten sparen, damit ich seinen Soldaten den Hals füllen kann, wenn es ihn wieder einmal gelüstet, Krieg zu führen.“
„Ihr weigert Euch also, nach seinem Befehl zu handeln?“
„Schert Euch zum Teufel, elendes Bettelgesindel!“
Nichts verriet, was in des Herrschers Seele vor sich ging. Wie ein geschlagener Hund schlich er von dannen.
„Da hörst du es selbst, wie sie die Vorschriften des gerechten Abbas missachten, der ein Freund des kleinen Mannes ist!“
Bei den Verkaufsständen der Metzger blieben die drei stehen.
Der Schah verlangte Rinderfleisch und fragte, ob Preis und Gewicht der Marktordnung entsprächen. Der Schlachter blickte ihn boshaft an und sagte höhnisch: „Bist du vielleicht selbst der grosse Abbas, dass du den Mut hast, solche Frage an mich zu richten?“
„Ich will mein gutes Recht!“ war die Antwort.
„Wir von der Fleischerinnung müssen wissen, welchen Nutzen wir benötigen. Wer nicht bei uns kaufen will, mag sich trollen.“
„Ist das Euer letztes Wort?“
„Hier hast du mein letztes Wort, alter Bettelsack!“ Wütend erhob der Grobian die Hand zum Schlag; da richtete sich der vermeintliche Arme plötzlich aus seiner demütigen Haltung empor. Er riss den falschen Bart herunter, schlug den Mantel zurück und mit Entsetzen gewahrte