Die Brücke nach Ispahan. Wilhelm Ernst Asbeck

Die Brücke nach Ispahan - Wilhelm Ernst Asbeck


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rief der beleidigte Herrscher: „Ich will dir Achtung vor den Gesetzen beibringen; du sollst anderen Wucherern ein abschreckendes Beispiel sein!“

      Der Sünder wurde an einem eisernen Schlachterhaken aufgehängt.

      „Drei Tage und drei Nächte soll er zur Schau gestellt bleiben! Wer ihm Nahrung oder Trinken reicht, ist des Todes!“

      Schmähungen, Drohungen und Spottrufe wurden aus der Menge gegen den Metzger laut. Das arme, hintergangene Volk pries den Gerechtigkeitssinn seines Landesherrn. Dieser wandte sich indessen dem Bäcker zu. Er richtete einige Worte an die Schergen, worauf der Brotwucherer ergriffen und bei lebendigem Leibe in seinen eigenen Backofen gesteckt wurde.

      Ein lähmender Schrecken hatte die Händler gepackt. Auf lange Zeit hinaus würde es niemand wagen, sich gegen die Gesetze aufzulehnen. Alle Marktaufseher wurden ihres Postens enthoben und neue Beamte, mit strengen Vorschriften ausgestattet, zwecks Ausübung einer scharfen Kontrolle eingesetzt.

      Es war die letzte, weithin sichtbare Willensäusserung Abbas’, die im Volke den Glauben an seine Kraft neu erweckte; niemand ahnte, dass es das letzte Aufflackern eines starken Geistes bedeuten sollte.

      *

      Eine grosse Veränderung konnte man in Stadlers Wesen feststellen. Er hatte bisher Operchis Gastfreundschaft in Anspruch genommen; nun mietete er ein abseits gelegenes Gartenhäuschen und widmete sich lediglich seinem Beruf. – Er beherrschte, wie so viele Bergbewohner seiner Heimat, die Kunst des Figurenschnitzens. Hierin zeigte er eine gewisse Fertigkeit. Bei einem persischen Holzbildschnitzer suchte er sich nun weiter zu vervollkommnen, um es möglichst zur Meisterschaft zu bringen und den hier herrschenden Geschmack kennenzulernen.

      Monate verstrichen, da erhielt der Uhrmacher die Aufforderung, an einem bestimmten Tag im Schloss zu erscheinen. Es lagen noch Wochen dazwischen; bei der Fülle der erbetenen Empfänge mussten sie auf weite Sicht festgelegt werden.

      *

      Stadler schritt über den Maidan. Er vermochte kaum seine Erregung zu meistern. Ihm schien die Stunde gekommen, in der seine kühnsten Träume in Erfüllung gingen. Er zeigte der Torwache seine Einladung und wurde in den Vorgarten eingelassen. Ein Palastdiener eilte herbei. Seltsamerweise führte er ihn nicht in den Empfangssaal, sondern durchschritt mit ihm eine Reihe parkähnlicher Anlagen. Sie gelangten schliesslich zu einem kleineren, entzückend hinter Bäumen und Buschwerk versteckten Lusthäuschen. Durch mehrere kostbar eingerichtete Räume, deren Fenster verhangen waren, gingen beide. Der Begleiter flüsterte Stadler zu, der Schah habe ein schweres Augenleiden und müsse sich daher gegen grelles Licht schützen. In einem kleinen Gemach hiess man den Schweizer Platz nehmen. Der Diener entfernte sich.

      Ein ihm unerklärliches, unheimliches Gefühl beschlich den Wartenden. Eine innere Stimme sagte ihm, dass hier irgend etwas nicht in Ordnung sei.

      Er wusste nicht, wie lange er in dem Raum verweilte; ihn dünkte die Zeit eine Ewigkeit. Ein anderer Beamter erschien, führte ihn durch zwei weitere Zimmer; dann schlug er plötzlich einen Vorhang zurück, und der Uhrmacher befand sich bewaffneten Palastdienern gegenüber. Sie geleiteten ihn zu einem niederen Sitz. Er vermochte in dem fast finsteren Gemach anfangs nichts zu erkennen; erst allmählich gewöhnten sich seine Augen an das Halbdunkel. Da bemerkte er den kostbar gekleideten Herrscher in einiger Entfernung vor sich auf dem Thron sitzen. Mit seltsam starren Blicken sah er unverwandt zu ihm nieder. Die Luft schien trotz aller Wohlgerüche schwer und stickig. Eine Weile herrschte tiefe Stille. Grauen packte den Wartenden.

      Zwischen Abbas und ihm sass, dem Herkommen gemäss, der Temirbek, dessen Aufgabe es war, die Sachen der Parteien vorzubringen. Dieser fragte: „Wer seid Ihr?“

      „Ich heisse Johann Rudolf Stadler, bin aus dem Lande, das die Schweiz heisst, und habe die Uhrmacherkunst erlernt.“

      „Was ist Euer Begehr?“

      „Meine Wissenschaft in den Dienst des erhabenen Schahs zu stellen. Ich bitte um die Gunst, die grosse Uhr am Palasteingang wieder in Gang setzen zu dürfen, damit sie künftig aufs neue Zeit und Stunde anzeige.“

      Der Temirbek wiederholte das Gesagte.

      Eine Weile herrschte Schweigen. Immer noch hielt Abbas seine Augen starr auf den Besucher gerichtet. Endlich antwortete er, und seine Stimme klang wie aus weiter Ferne kommend: „Ich danke Euch. Man sagte mir, Ihr wäret ein Künstler Eures Faches, wie es keinen zweiten auf Erden gibt. Gern nehme ich Euer Anerbieten an. Ihr möget morgen zeigen, was Ihr könnt. Gelingt es Euch, die Uhr wieder zu neuem Leben zu erwecken, so haltet Euch meines besonderen Wohlwollens versichert.“

      Der Arm des Fürsten machte eine kurze, seltsam starre Bewegung; dann fiel der Körper in seine vorherige Unbeweglichkeit zurück.

      Stadler atmete auf, als sich die Pforte des Palastes hinter ihm schloss und er wieder von Leben und Lärmen umgeben war. Wie ein Spuk deuchte ihm das Erlebnis; immer noch glaubte er zwei starre Augen auf sich gerichtet zu sehen. – –

      Kaum war der Türvorhang hinter ihm zurückgeschlagen, als sich eine Geheimpforte öffnete, aus der Isachan eintrat. Ihm folgten vier Männer, die einen Sarg trugen. Er fragte: „War das der letzte Empfang?“

      Der Temirbek antwortete: „Ja, der letzte.“

      „Allah sei Dank! Doch auch Euch danke ich, Temirbek und Jusuf Aga, die Ihr dem Staate so treue Dienste geleistet habt. Es ist die höchste Zeit, diese Komödie, die zu spielen uns die Sicherheit des Reiches zwang, zu beenden. Volle vierzig Tage hat nun des grossen Abbas’ Leichnam Sitzungen abhalten müssen. Es dürfte ein Fall der Weltgeschichte sein, wie er nie zuvor geschehen ist. Ihr habt Eure Rollen vorzüglich gespielt. Inzwischen sind nun die Grenzen gesichert. Die Usbeken und Kilianer mögen versuchen, in unser Land einzufallen, wie sie es geschworen haben, sobald der Schah die Augen schliessen würde. Wir werden die Räuberhorden schon mit blutigen Köpfen heimschicken. – Soeben sind reitende Boten eingetroffen, die melden, dass Seinelchan und Darugo Chosrow sich mit Prinz Sam Myrsa auf dem Wege befinden. Morgen werden sie bestimmt eintreffen, und dann erst wird Abbas des Grossen Ableben der Welt bekanntgegeben.“

      Hinter dem Thronsitz befand sich ein Vorhang, der auf schwarzem Feld reich mit Goldstickereien geschmückt war. Dort hatte der zuverlässige und geschickte Diener Jusuf Aga gesessen und anstelle des toten Herrschers gesprochen. Durch einen Schlitz im Stoff bewegte er den Arm des Schahs, um Leben vorzutäuschen. Er trug lange schwarze Samthandschuhe übergestülpt.

      Jusuf Aga trat aus seinem Versteck hervor. Er und der Temirbek unterstützten die vier Palastdiener, die Leiche des Verstorbenen in den kostbaren Sarg zu betten. In vollem Staatsschmuck ward er in seine letzte Ruhestätte gelegt.

      Isachan schaute dem Toten lange ins Antlitz. Ihm war er Freund gewesen bis zu seiner letzten Stunde. Ihm hatte er alles zu verdanken: Ehre, Glanz und Reichtum.

      *

      Wenige Tage zuvor spielte sich vor den Toren Ispahans ein aufregendes Ereignis ab: der Turmwächter des königlichen Lustschlosses, in dem Sefi Myrsas Witwe wohnte, sah eines Abends zwei reichgekleidete Würdenträger, die von einer grossen Anzahl berittener Soldaten begleitet wurden, den Weg zum Palast einschlagen. Er eilte zu seiner Herrin und meldete, was er beobachtet hatte. Die willensstarke Frau liess sofort alle Eingänge schliessen und hiess den Wächter, seinen Posten wieder einzunehmen und ihr durch Diener Mitteilung zu machen, was weiter geschehe.

      Die Nachrichten lauteten wenig ermutigend. Der Garten wurde ringsum von Berittenen umstellt; nirgends blieb ein Ausweg zur Flucht. Es währte auch nicht lange, so nahten die beiden Führer und pochten ans Tor.

      „Wer seid ihr und was wünscht ihr?“ fragte die Witwe.

      „Wir sind Seinelchen und Darugo Chosrow, die Abgesandten aus Ispahan. Wir begehren Einlass, denn wir haben Euch eine wichtige Botschaft zu bringen, die keinen Aufschub duldet.“

      „So nennt euren Auftrag.“

      „Schah Abbas der Grosse ist tot. Es war sein Wille, dass Euer Sohn Sam Myrsa Irans Thron besteige!“

      „Ihr lügt! Es ist eine neue teufliche List des


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