Die Brücke nach Ispahan. Wilhelm Ernst Asbeck

Die Brücke nach Ispahan - Wilhelm Ernst Asbeck


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Man lauschte seinen Reiseerlebnissen, tauschte Erfahrungen aus, und manches gefahrvolle Abenteuer kam zur Sprache; denn in jenen unruhigen Zeiten musste der Kaufmann, der es wagte in fremde Länder vorzudringen, nicht nur seinen Vorteil wahrzunehmen wissen, sondern auch ein tapferer, unerschrockener Soldat sein. –

      Weit ausserhalb der Stadt, nachdem man an niedrigen Holzbauten kleiner Handwerker und an armseligen Bauernhäusern und vereinzelten Gehöften vorübergekommen war, lag Kunda.

      Das geräumige Gutshaus war hart an den Rand des weiten, dunklen Tannenwaldes gebaut. Es machte einen freundlichen, einladenden Eindruck. Der Landsitz lag inmitten eines grossen, gepflegten Gartens, mit bunten Blumenbeeten und Rosensträuchern, mit weiten Wiesenflächen, Baumgängen und Lauben. Und im Halbkreis umgaben das Gut Weiden, auf denen kräftige Pferde und fette Rinder grasten, Kornfelder, die das Auge kaum zu überblicken vermochte, dazu Obst- und Gemüseanlagen.

      Kunda galt als der Inbegriff eines mustergültigen Betriebes. Deutsche Tüchtigkeit hatte hier aus einer ehemaligen Wildnis im Laufe von einigen dreissig Jahren ein Kulturwerk geschaffen, wie es vorbildlicher nicht gedacht werden konnte. Doch neben der sachlichen Nüchternheit, die Ackerbau und Viehzucht bedingten, verriet die Anlage des parkartigen Gartens zugleich den Schönheitssinn des Besitzers. Er entstammte einer wohlhabenden pommerschen Bauernfamilie. Sein Vater hatte die Heimat verlassen, da er als zweiter Sohn den Erbhof seiner Sippe nicht übernehmen konnte. Für einen niedrigen Preis erwarb er die weiten Ländereien, die damals als wertloses Brachland betrachtet wurden. Nach seinem Tode dehnte der Sohn, der jetzige Gutsherr, den Besitz weiter aus. Die Arbeitersiedlungen waren zu Dörfern geworden. Auch hier spürte man eine liebende Hand, die sich um das Wohlergehen der Leute bekümmerte und an ihren Alltagssorgen Anteil nahm.

      Johannes Müller, der Herr des Ganzen, war mit Tullaes jüngster Tochter verheiratet. Mit ihr kehrte die Freude an Musik, Gesang, Kunst und Wissenschaft auf Kunda ein. Hier, in die ländliche Stille, kamen Gelehrte und Künstler als gern gesehene Gäste. In diesem Kreis fand Stadler Verständnis für sein Schaffen. Hier wurden ihm die Stunden zu unvergesslichen Erlebnissen.

      Im Fluge verrannen die Wochen in Reval; endlich aber drängte Operchi zur Abreise; denn ein weiter und gefahrvoller Weg lag vor ihnen, und sie mussten den Süden erreichen, bevor der strenge russische Winter einsetzte. – –

      Nach vielen Monaten wurde Irans Grenze überschritten. Der Perser befand sich im Besitz von Schutzbriefen des Zaren und des Schahs; zudem hatte er wohlweislich eine starke Bedeckungsmannschaft angeworben. Doch wichtiger als beides erwiesen sich seine freundschaftlichen Beziehungen zu Kurden, Kosaken und Stämmen verschiedenster Art und Rasse, deren Gebiete sie durchquerten. Seine Bekanntschaft mit ihren Chanen (Fürsten) sicherte der Karawane unbehindertes Reisen. Freilich wurde diese Freundschaft mit reichen Geschenken immer wieder erneuert; aber auch die Fürsten und Stammesführer zeigten sich erkenntlich, indem sie die Gäste freundlich bewirteten und sie mit Lebensmitteln für die Weiterfahrt ausstatteten.

      *

      An einem Spätsommertag des Jahres 1627 stand Stadler auf einem Felsvorsprung des Berges Jeilak Perjan und schaute hinunter in das Tal. Er glaubte ein Märchenbild zu sehen. Dort lag der Garten des Paradieses! In üppiger Fülle gediehen die erlesensten Früchte, der Wein, dazwischen Kornfelder und Gärten voll wunderbarer Blumen und nie gesehener Bäume. Ein breiter Fluss und zahlreiche Bäche durchzogen die Landschaft. Dort, in der Ferne, dehnte sich ein unübersehbares Häusermeer. Zahllose Paläste und Minaretts ragten daraus hervor; viele Tore von prächtigen Kuppen und Türmen überkrönt, gewährten Einlass. – Ispahan!

      *

      Nun lagen die Höhenzüge des Elewandgebirges hinter den Reisenden. Die Hochebene senkte sich allmählich, und breite Karawanenstrassen durchschnitten die anmutige Gegend. Stadler fand keine Ruhe mehr. Mitten in der Nacht wurde aufgebrochen. Der Mond schien hell. Sein mattes Licht wirkte seltsam auf des jungen Mannes erregten, schwärmerischen Geist. Er glaubte durch ein Märchenreich zu reiten. Zypressen und Granatbäume umsäumten den Weg. In grossen Parks gelegene Landsitze erschienen ihm in ihrer morgenländischen Bauart wie verwunschene Schlösser.

      Eine lange Mauer tauchte auf. Sie umfriedigte einen weiten Platz und war von vielen armselig gekleideten Menschen umlagert.

      Operchi las das Erstaunen in Stadlers Blicken: „Ihr möchtet wissen, welche Bewandtnis es mit dieser Stätte hat? Hier wurde unseres grossen Schahs Lieblingssohn, Sefi Myrsa, ermordet.“

      „Ermordet?“ – Stadler konnte den Sinn dieser Worte nicht sogleich erfassen. Inmitten dieser Wunderwelt sollte der Mord zu Hause sein?

      „Freilich, ein Mann niederer Herkunft, namens Bebutbek, hatte ihn erstochen.“

      „Ja, warum denn?“

      „Weil der grosse Abbas es befahl.“

      „Sein eigener Vater?“

      „Jawohl, sein eigener Vater. Mächtige Chane, mit denen der Prinz in Feindschaft geraten war, verleumdeten ihn. Sie behaupteten, er strebe nach der Krone. Im Jähzorn erteilte der Schah den Befehl.“

      „Ohne den Sohn anzuhören?“

      „Abbas fürchtete um sein Leben. Er witterte überall verborgene Feinde, da er selbst durch Brudermord auf den Thron gelangt war.“

      „Durch Brudermord?“

      „Nun ja. Er liess Ismael dem Dritten von seinem Barbier beim Rasieren die Kehle durchschneiden, aber dieser hatte kaum ein besseres Schicksal verdient; denn acht Monate zuvor säbelten auf seine Veranlassung als Frauen verkleidete Chane den ältesten Bruder, Emir Hemse, im Harem nieder.“

      „Und was geschah mit Bebutbek?“

      „Er wurde zur Belohnung für seine Tat zum Statthalter von Caswin und Kesker befördert. Allzulange sollte er sich dieser Gnade allerdings nicht erfreuen; denn wenige Jahre später zwang Abbas ihn, seinem eigenen Sohn den Kopf abzuschlagen, damit er spüre, was es heisst, auf solche Weise sein Kind zu verlieren. Bald darauf wurde er selbst umgebracht, nachdem schon zuvor alle Verleumder bei einer Festtafel zu Caswin vergiftet worden waren.“

      Stadler fand lange keine Antwort. Mit Entsetzen erkannte er, wie nahe in diesem Lande Paradies und Hölle nebeneinander wohnten. Endlich fragte er: „Und was treiben diese Bettler?“

      „Sie finden hier eine Freistätte, wo ihnen Speise und Trank verabreicht wird. Abbas hat nämlich die im blinden Zorn begangene Tat bald bitter bereut. Er trauert heute noch um Sefi, den er liebte wie keines seiner Kinder. Er sucht auf diese Weise sein Gewissen zu beruhigen.“

      Stadlers leicht empfängliches Gemüt ward aufs tiefste erschüttert. Hatte er vorher das helle Leuchten des Mondes wie zauberhaften Silberschein empfunden, so dünkte es ihn jetzt wie ein gespenstischer Schleier. In den dunklen Schatten der Häuser und Bäume glaubte er dämonische Wesen zu erblicken. –

      Inmitten eines grossen Gartens, der an Schönheit alle bisher geschauten übertraf, stand ein wundervoller Palast. Stadler wollte die trübe Stimmung verscheuchen; er sagte: „Glücklich müssen die Menschen sein, die hier wohnen dürfen.“

      Operchi antwortete: „Ich möchte nicht mit ihnen tauschen. Dort lebt die Witwe des ermordeten Myrsa Sefi mit ihren beiden Söhnen. Auf Schritt und Tritt sind sie von Spähern umgeben; alle Tore werden mit Wachen besetzt, keinen Schritt dürfen sie ausserhalb der Umzäunung des Parkes tun.“

      Den Uhrmacher fröstelte.

      In der Ferne tauchten schlanke Türme und wuchtige Kuppeln, prächtige Bauten und Mauern auf. Dort lag das Ziel, nach dem er sich solange heiss gesehnt hatte, das er gestern noch für eine Märchenwelt hielt. Heute sah er die Dinge mit anderen Augen an. Eine bange Ahnung beschlich ihn. Wie sollte er mit seinem schlichten, geraden Sinn sich in dieser Umwelt zurechtfinden?

      Er war froh, als der Morgen nahte, die Sonne ihre goldenen Strahlen zur Erde sandte und aller Spuk der Nacht entschwand.

      *

      Unweit von Ispahan sahen die Reisenden einige Reiter auf sich zukommen. Es waren ein Freund Operchis, ein reicher persischer Kaufherr, und


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