Die Brücke nach Ispahan. Wilhelm Ernst Asbeck

Die Brücke nach Ispahan - Wilhelm Ernst Asbeck


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guten Taten!“

      Ein Händedruck besiegelte das Gelöbnis.

      In diesem Augenblick ertönte eine wilde Musik von Heerpauken, Schalmeien und Kerenei-Trompeten. Die Menschenmenge räumte fluchtartig den weiten Platz und staute sich in den Bogengängen.

      An der Nordseite des Maidans befand sich der Palast des Schahs, inmitten ausgedehnter Gärten, umgeben von einer hohen Mauer.

      Die breiten Torflügel wurden aufgerissen und heraus sprengte Abbas, der Grosse geheissen, auf schneeweissem Zelter. Ihm zur Seite ritt sein Schwager und Vertrauter, Isachan, der General der Bogenschützen. Ein glänzendes Gefolge begleitete den Herrscher.

      Stadler erblickte zum erstenmal den Schah. Er war eine achtunggebietende Erscheinung. Stolz und aufrecht sass er im Sattel, trotz seiner sechzig Jahre. Der Schweizer konnte dem Mönch seine Bewunderung nicht verhehlen.

      Der Portugiese entgegnete: „Abbas ist ein Mann von eiserner Willenskraft. Was glaubt Ihr, welch übermenschliche Anstrengung es ihn kostet, der Menge und seinen Würdenträgern vorzutäuschen, er befinde sich noch im Vollbesitz seiner Kraft? Er ist in Wahrheit siech und verfallen; die Tage seines Erdenwallens sind gezählt.“

      Ungläubig schaute der Uhrmacher seinen Begleiter an: „Der Schah sollte ein todkranker Mann sein?“

      „Sprecht leise, mein Lieber, und was ich Euch heute sage, bleibe ein Geheimnis zwischen uns. Vielleicht ist es Euch bekannt, dass wir Mönche Kenntnisse in der Heilkunde besitzen. Ich habe darin einen gewissen Ruf erlangt und bin nicht nur als Dolmetscher im königlichen Schloss tätig, sondern auch Abbas’ Leibarzt. Sind wir allein, so lässt er die Maske fallen.“

      „Um was für eine Krankheit handelt es sich?“

      „Es ist eine Krankheit der Seele, schlimmer als alle körperlichen Gebrechen. Ihn quält sein Gewissen! Blutschuld auf Blutschuld hat er auf sich geladen. All seine ehrgeizigen Pläne sind nun erfüllt: das verfallene Perserreich erlangte die alte Grösse zurück. Alle Feinde und ihre Sippen liess er ausrotten, aber eine furchtbare Angst, selbst durch Mörderhand zu sterben, lässt ihn überall Gegner erblicken, die ihm nach dem Leben trachten. Diese entsetzliche Furcht ist es, die ihn zu immer neuen Schreckenstaten treibt. – Nacht um Nacht wechselt er die Schlafstätte; nur die erprobtesten seiner Würdenträger werden als Wächter gewählt, und nie darf das Licht verlöschen. Er glaubt im Dunkeln Gespenster zu sehen. Oft geht er bis zum Morgen ruhelos auf und ab; dann wieder schreit er plötzlich wie ein todwundes Tier, zieht sein Schwert und kämpft mit unsichtbaren Dämonen. Er findet keine Ruhe; Alpdrücken und schauerliche Träume suchen ihn heim. Kein Schlafmittel will helfen.“

      „Also ist er wahnsinnig?“

      „Vielleicht! – Was wissen wir, ob diese Schreckensbilder nur Auswüchse seiner Einbildungskraft sind, oder ob es nicht doch Wesen gibt, die der Himmel oder die Hölle als Rächer zur Erde niedergesandt hat, und die wir, da unser Gewissen rein ist, mit unseren Sinnen nicht wahrzunehmen vermögen?“

      Die Wege der beiden trennten sich.

      Tief in Gedanken versunken schritt Stadler über den Maidan. Mit heimlichem Grauen blickte er zum Schloss hinüber. Er musste daran denken, dass dieser Herrscher, der aus einer zerstörten, verfallenen Trümmerstätte in wenigen Jahren das Ispahan hervorzauberte, dessen Ruf die Welt erfüllte, mit dessen Schönheit sich keine Stadt des Abendlandes messen konnte, geschweige denn mit der weit über eine halbe Million betragenden Bevölkerungszahl – der so gewaltige Taten für sein Reich leistete, der eine Welt von Feinden zu Boden warf, mit seinem eigenen Gewissen nicht fertig zu werden vermochte!

      Eine an sich unwesentliche Sache riss ihn aus seinem Sinnen heraus. Er gewahrte am Palasteingang eine grosse Uhr, aber sie war ohne Leben, verwahrlost und verlottert. Lange betrachtete er sie. Ehrgeizige Gedanken stiegen in ihm hoch. Er glaubte den Schlüssel zu schnellem Aufstieg gefunden zu haben.

      Eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter. Hinter ihm stand Alexei Sawinowitz. Er fragte lächelnd: „Nun, habt Ihr etwas entdeckt, was Euch als Meister Eures Faches ein Greuel ist?“

      Stadler erwiderte: „Ist es des grossen Abbas würdig, einen Gegenstand von so auserlesener Güte zu besitzen, der wertlos wurde, weil keine kundige Hand sich seiner annahm?“

      „Und Ihr glaubt diesem Kunstwerk Leben einhauchen zu können?“

      „Ich verbürge mich dafür.“

      „Dann soll Euch dazu Gelegenheit geboten werden, wenn Ihr Euch meiner Empfehlung anvertrauen wollt und ein wenig Geduld habt.“ Mit diesen Worten drückte der Abgesandte dem Schweizer die Hand und schritt durchs Tor, das ihm ehrerbietig geöffnet wurde.

      *

      Am Abend erzählte Stadler Operchi von seiner Begegnung mit Sawinowitz. Der Kaufherr sah eine Weile sinnend zu Boden, dann sagte er: „Auch ich kann Euch bei Abbas einführen, aber ich rate Euch nicht dazu.“

      „Und warum nicht?“

      Statt einer Antwort fragte der Perser: „Kennt Ihr die Geschichte dieser Uhr?“

      „Nein.“

      „Gut, so hört. – Schah Abbas herrscht nun seit dreiundvierzig Jahren. Kurz nach seiner Thronbesteigung kam ein Engländer namens Feffi nach Ispahan. Er ist, wie Ihr, ein Meister seiner Kunst gewesen. Um des Fürsten Zuneigung zu gewinnen, schenkte er ihm jene Uhr. Er erreichte auch, was er wollte; aber nur wenige Jahre sollte er sich seines Glückes erfreuen. Eines Nachts geriet er auf dem Heimweg mit einem Perser in Streit und tötete ihn. Sein Leben war nach unseren Gesetzen verwirkt. So mächtig auch Abbas sein mochte, gegen das Urteil der Geistlichkeit vermochte er mit Gewalt nichts auszurichten. Die einzige Rettung, die es für Feffi gab, war, den Christenglauben abzulegen und sich beschneiden zu lassen. Zweimal wurde er bereits zum Maidan geschleppt; jedesmal traf in letzter Minute ein Bote des Schahs ein, ihm nochmals Bedenkzeit zu gewähren. Als er zum drittenmal die Vorschläge ablehnte, musste er nach dem Gesetz den Angehörigen des Getöteten ausgeliefert werden, die ihn unter dem Beifall der Menge mit ihren Säbeln buchstäblich in Stücke schlugen.“

      „Und was habe ich damit zu tun?“

      „Wir besitzen hierzulande unsere eigenen Anschauungen und Erfahrungen; niemand fand sich, das Erbe des Gerichteten anzutreten, denn jeder fürchtete, es könnte auch ihm eines Tages ebenso ergehen.“

      „Das ist ein alberner Kinderglauben. Ich werde Euch beweisen, wie töricht es ist, sich durch solche Hirngespinste beeinflussen zu lassen. Oder ist Abbas den Fremden nicht wohlgesinnt?“

      „Im Gegenteil, er ist ihnen mehr gewogen, als es manchem Einheimischen ratsam erscheint.“

      „Nun also!“

      „Aber Ihr kennt seinen Charakter nicht. Er ist launisch, und wer heute noch sein Vertrauen besitzt, kann morgen schon ein verlorener Mann sein.

      *

      Zu dieser Stunde spielte sich im königlichen Palast eine furchtbare Familientragödie ab.

      Abbas hatte ein Leben hinter sich, das nicht nur mit Kämpfen und Erregungen aller Art, sondern auch mit wilden Ausschweifungen ausgefüllt war. Noch jetzt hielt er sich ausser seinen drei Frauen einige hundert Kebsweiber. Er wusste selbst nur zu gut, wie es mit seiner Gesundheit bestellt war, und er fürchtete nichts so sehr, als durch Krankheit zur Hilflosigkeit verdammt zu werden. Sein Misstrauen wuchs geradezu ins Uferlose. Er glaubte, an dem Tag, wo er wehrlos auf seinem Lager läge, würden die verborgenen Feinde hervortreten und mit Dolch, Schwert oder Gift über ihn herfallen.

      Dem Schah gegenüber sass Isachan. Er war wegen Tapferkeit und Treue auf den hohen Posten gestellt und als Zeichen höchster Anerkennung mit der Schwester des Herrschers vermählt.

      Isachan hing seinen Gedanken nach. Er wusste, dass mit dem Tod seines Beschützers auch sein Leben verloren sei. Längst schon hatten ihm Abbas’ Söhne zu verstehen gegeben, dass sie ihn seiner niedrigen Herkunft wegen nicht für würdig hielten, ein Mitglied der kaiserlichen Familie zu sein; sie demütigten ihn, soviel und sooft sie es nur vermochten. Es gab für ihn


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