Der Malik. Bernhard Kreutner
zurecht und zog eine der zahlreichen Mappen aus dem Aktenkoffer.
»Es scheint so, zumindest was Malta betrifft.«
»Und Österreich?«
Der Anwalt räusperte sich und blätterte kurz in den Unterlagen. »Nun, laut den Unterlagen hat sich die hiesige Polizei bei der Finanz in Malta gemeldet und erklärt, dass sie die Untersuchung den dortigen Kollegen überlässt. Bleibt die Frage offen, ob sie das auch tatsächlich tun.«
»Kann denn unsere Polizei in Malta überhaupt tätig werden?«
»In Malta nicht, nein. Aber hier.«
»In Wien gibt es nichts«, erwiderte der Malik barsch.
»Nun, wir wissen, dass am Telefon Ihr Name genannt wurde.«
»Wie kann es sein, dass dieser maltesische Schnüffler meinen Namen kennt? Haben meine Söhne geschlampt?«
»Die Firmenkonstruktionen Ihrer Söhne sind tatsächlich von einer, sagen wir, umsichtigen Eleganz. Sie tauchen dort ebenso wenig namentlich auf wie Ihre Söhne. Das habe ich alles von Anfang an überprüft und überwacht. Auf dem Papier gibt es keine Spur, die zu Ihnen führt. Trotzdem wurde am Telefon Ihr Name genannt.«
»Und was kann die Wiener Polizei mit meinem Namen anfangen?«
»Nun, das ist der positive Aspekt, nichts. Es gibt Hunderte Maliks in Österreich, Sie waren nicht in Malta und haben eine blütenweise Weste. Bei Ihnen gibt es wie gesagt nichts, weder eine Vorstrafe noch ein Finanzvergehen. Sollte die Polizei tatsächlich auf Sie stoßen, findet sie lediglich einen Unternehmer, der es zu Wohlstand gebracht hat, mehr nicht.«
Der Malik lehnte sich nachdenklich zurück und kniff dabei wie gewohnt die Augen zusammen, bevor sich seine Züge plötzlich entspannten. »Freidmann, Sie haben doch beste Kontakte zu den Behörden. Was würde passieren, wenn wir der Wiener Polizei einen Tipp bezüglich dieses Lagers in Rumänien geben?«
Seine manikürten Fingernägel betrachtend, erwiderte der Anwalt mit einem leicht sarkastischen Ton: »Nun, das kommt darauf an, wie und an wen Sie diese Information weitergeben. Theoretisch wäre das Büro für Suchtmittelkriminalität im Bundeskriminalamt die richtige Adresse, allerdings ist der dortige Leiter ausgesprochen karriereorientiert und hat sich bei der Direktorin nicht gerade beliebt gemacht. Zumal er auch einer anderen Partei angehört. Zielführender scheint es mir, den Weg der Politik zu beschreiten.«
Der Malik nickte zufrieden. »Ein Spiel über Bande, verstehe. Und an wen in der Politik haben Sie gedacht?«
»Nun, an Ihren Freund, den Bezirksvorsteher. Der junge Mann ist ehrgeizig, wähnt sich bereits in einer künftigen Regierung, ist ein Parteifreund unserer geschätzten Direktorin und wird nur zu gerne bereit sein, den Postboten zu spielen.«
»Und die rumänische Polizei?«
»Ist bekannt für eine gewisse Korrumpierbarkeit und daher stets bemüht, ihr Image zu verbessern. In diesem Fall geht es nur um Cannabis, und die Summen sind vergleichsweise überschaubar, so gesehen handelt es sich um ein billiges Bauernopfer. Zumal die verehrte Frau Direktor pflichtgemäß ihre europäischen Partner informieren wird. Damit wird unser Spiel auch international auf Direktorenebene gespielt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich der rumänische Direktor in diesem Fall eine Blöße geben möchte. Ja, ich schätze, eine Razzia in Timisoara könnte von Erfolg gekrönt sein.«
Der Malik hatte wieder angefangen, seine Gebetskette gedankenverloren durch die Finger gleiten zu lassen. »Gut, arrangieren Sie das und überlegen Sie sich auch eine Geschichte, wie wir zu dieser Information gekommen sind. Es darf keine Verbindung zu mir oder meinen Söhnen geben.«
Ein imaginäres Staubkorn von seiner Hemdmanschette streichend, antwortete der Anwalt selbstzufrieden: »Nun, die Geschichte ist einfach. Ein illegaler Immigrant hat alles auf seinem Weg ins gelobte Land mitbekommen. Er wurde gezwungen, dort zu arbeiten, um seinen Weitertransport zu bezahlen. In Wien hat er sich an einen Ihrer Mitarbeiter im Sozialzentrum gewandt, ist dann aber leider aus Angst untergetaucht. Das Sozialzentrum ist in seiner Neutralität als Auffangbecken für alle Gestrauchelten geradezu ideal, und damit gibt es auch keine Verbindung zu Ihnen.«
Den Malik beschäftigte allerdings eine ganz andere Frage. »Ein Affe als schlauer Beobachter? Ist das glaubwürdig?«
»Es geht nur um die Story. Aber wenn es Ihnen lieber ist, nehmen wir einen Pakistani oder Afghanen. Die passen ebenfalls zur Schlepperroute.«
»Ja, ein Pakistani ist besser. Die sind bei den Behörden nicht so unbeliebt.«
»An wen darf ich mich im Sozialzentrum wenden?«
»Nehmen Sie Rami, auf ihn kann ich mich verlassen.«
»Gut, kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
Nachdenklich musterte der Malik seinen Anwalt, bevor er antwortete: »Dieser Kommunist im achten Bezirk, wir sollten ihn ein wenig anfüttern.«
»Die Teppichmasche?«
»Ja, nehmen Sie einen Isfahan mit einer Million Knoten pro Quadratmeter, aber bleiben Sie unter zehntausend Euro, wir wollen den Bengel nicht zu sehr verwöhnen, sonst wird er noch gierig.«
»Wird erledigt, Herr Malik. Ist das für heute alles?«
»Ja, und behalten Sie Malta und meine Söhne weiterhin im Auge.«
Der Anwalt packte seine Sachen zusammen und nickte dem Abu kurz zu. An der Tür drehte er sich nochmals um. »Verzeihen Sie, Rami gegenüber haben Sie Simmering erwähnt. Meinten Sie damit die Müllverbrennungsanlage?«
Der Malik knurrte nur ein kurzes »Ja« und blätterte weiter in seinem Notizbuch.
Donnerstag, 16.40 Uhr, D-Trakt, Herrengasse, Wien
»Wieder nichts, verdammt!«
In seine Unterlagen versunken, antwortete Michael Lenhart, ohne aufzublicken: »Den Gang der gemessen ablaufenden Zeit beschleunigen zu wollen, ist das kostspieligste Unternehmen.«
»Dein Aristoteles nützt uns jetzt auch nichts, Michael.« Frustriert schob Anton die Unterlagen beiseite, während Michael aufblickte und ebenfalls seine Papiere weglegte.
»Das war ein Gedanke von Schopenhauer, einem deutschen Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts, der die Überzeugung vertrat, dass der Welt ein irrationales Prinzip zugrunde liegt.« Trocken fügte er hinzu: »So etwas kommt heraus, wenn man Platon mit Kant verbindet und zeitlebens einen Pudel namens Atman hält.«
»Wie kann man ein Leben lang einen Pudel haben?«, wollte Anton wissen.
»Es war nicht ein Pudel, sondern einer nach dem anderen, und alle nannte er Atman, nach dem Sanskrit-Wort für Lebenshauch. In den Upanishaden ist der Atem die Essenz des Selbst, der Einzelseele, die wiederum Teil des Brahman, der Weltseele, ist.«
Verblüfft erwiderte Anton: »Wie kannst du dir das alles merken?«
»Ganz ehrlich, ich weiß es nicht.«
»Na ja, wenigstens zeigen uns deine Philosophen, dass sie auch nicht immer eine Lösung gefunden haben. Aber wenn wir schon dabei sind, ein irrationales Prinzip klingt für mich wie die Geschichte vom alten Knaben oder dem trockenen Wasser.«
Michael stand auf und verbeugte sich lächelnd vor seinem verblüfften Kollegen. »Ausgezeichnet, Anton! Ein Prinzip ist ein Grundsatz, ein Regelwerk, allerdings heißt Prinzip wörtlich übersetzt Anfang oder Ursprung, insofern kann man nicht unbedingt von einem logischen Fehler sprechen.«
Anton gefiel diese Diskussion zusehends. »Also ist auch die atheistische Religion nicht unbedingt ein Widerspruch in sich, solange man sich nicht auf die Bedeutung von Atheismus und Religion geeinigt hat, richtig?«
»Gut erkannt! Darum ist auch der Kampf um die Semantik, um die Deutungshoheit, ein mitunter erbittert geführter. Manchmal hat man den Eindruck, die Vertreter verfeindeter