Der Malik. Bernhard Kreutner

Der Malik - Bernhard Kreutner


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und hielt nach wie vor an den alten Geschäftsmodellen und seinem kleinen Notizbuch fest. Aber Cannabis, Einkaufszentren, Ferien- und Wohnimmobilien warfen nur mühsam Gewinne ab und waren arbeitsintensiv. Die virtuellen Möglichkeiten, richtig Geld zu machen, hatte ihr Vater nie verstanden – nie verstehen wollen.

      »Ich weiß, aber du kennst Vaters Grundsatz: Nur was ich in die Hand nehmen kann, hat einen Wert. Davon wirst du ihn nicht abbringen.«

      Frustriert erwiderte Gabriel Malik: »Aber die Millionen, die wir damit verdienen, kann er sehr wohl in die Hand nehmen, gesteht es sich aber nicht ein. Er kann nicht zugeben, dass ich recht habe und er zum alten Eisen gehört.« Er stöhnte frustriert. »Aber lass uns jetzt Schluss machen. Ich muss ohnehin noch zu Anderson & Sheppard und bin schon spät dran.«

      »Neue Anzüge?«

      »Im Grunde eine ganz neue Garderobe. Ich habe in letzter Zeit viel trainiert und drei Kilo Muskeln aufgebaut.«

      Elias Malik schüttelte den Kopf, während er die Kosten der neuen Garderobe überschlug. Mindestens ein Dutzend Anzüge, dazu Smoking, Mäntel und Hemden, beim exklusiven Geschmack seines Bruders dürften da schnell einhunderttausend Pfund zusammenkommen. Aber das spielte keine Rolle. Viel wichtiger war, dass sich die Laune seines Bruders dadurch verbessern würde.

      »Na dann, viel Vergnügen.«

      »Danke, Bruderherz, und grüß mir deinen Junior.«

       Dienstag, 9.00 Uhr, Institut für Orientalistik, Spitalgasse, Wien

      Doktor Rüdiger Schwarzl, Universitätsprofessor für Orientalistik, erwartete Michael Lenhart bereits mit einer gewissen Neugierde. Schließlich kam es nicht oft vor, dass sich ein Polizeioffizier an ihn wandte.

      »Herr Doktor Lenhart, erfreut, Sie kennenzulernen. Bitte nehmen Sie Platz.« Er musterte die Visitenkarte, die Lenhardt ihm in die Hand drückte, und meinte mit gerunzelter Stirn: »Doktor, Hauptmann, Sonderabteilung, interessante Mischung. Was macht diese Sonderabteilung, und wie soll ich Sie ansprechen?«

      »Lenhart genügt. Der Hauptmann stimmt seit gestern nicht mehr, und wir haben es mit zumindest auf den ersten Blick ungewöhnlichen Fällen zu tun.«

      »Interessant, bitte verzeihen Sie, wenn ich nachfrage, warum sind diese Fälle nur auf den ersten Blick ungewöhnlich?«

      »Weil der zweite Blick, jener auf das Motiv, das Ungewöhnliche meist gewöhnlich macht.«

      »Interessanter Punkt, aber nun zum Grund Ihres Besuches. Wie kann ich Ihnen helfen?«

      »Es geht um eine Frage der Semiotik, oder ganz klassisch, der Semantik. Alles, was wir haben, ist ein Name, Malik, sowie ein Artikel, der. Wenn jemand sagt ›der Malik‹, welche Bedeutungen könnten dahinterstecken?«

      Professor Schwarzl rieb sich den Nasenrücken und kniff die Augen ein wenig zusammen.

      »Nun, das ist in diesem Fall nicht so einfach. Ich fürchte, da muss ich ein wenig ausholen, aber ich werde es so strukturiert wie möglich tun. Also: Malik hat zwei, nein, drei Bedeutungen. Die erste ist eine religiöse, Malik ist der mächtigste aller Höllenwärter, ein Engel. Die zweite Bedeutung ist die des Namens, König, primär im Arabischen. So weit der grobe Google-Überblick. Doch in diesem Fall ist die Sache komplexer. Malik gibt es auch im Slawischen, Tschechischen, Bulgarischen und, in Abwandlung, im Türkischen.

      Auf Arabisch bedeutet Malik bekanntlich König oder Stammesältester, also eine Verbindung aus Name und Stand. Auf Tschechisch lautet die Bedeutung kleiner Finger und auf Bulgarisch klein. Die türkische Entsprechung ist Melik und bedeutet wie im Arabischen König. In Armenien wiederum ist Malik ein Adelstitel, aber das müsste ich überprüfen. Da bin ich mir nicht ganz sicher.«

      Michael Lenhart lächelte zufrieden. Bei Professor Schwarzl war er offensichtlich an den Richtigen geraten. »Sehr schön, Herr Professor. Nun stellt sich die Frage, ob uns angesichts der Vielzahl an Möglichkeiten Ockhams Rasiermesser weiterhelfen könnte?«

      Professor Schwarzl sah seinen Gast für einen Augenblick verdutzt an, bevor er antwortete. »Interessanter Gedankensprung! Aber um zu einer befriedigenden Erkenntnis zu kommen, müssen Sie die Funktion arabischer Namen verstehen. Am besten, wir fangen mit Karl May an. Ich nehme an, Sie kennen dessen Bücher aus Ihrer Jugend?«

      Verblüfft nickte Michael.

      »Ich nehme dieses Beispiel gerne bei meinen Studenten. Sie erinnern sich an Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd Al Gossarah. Dieser Name klingt für europäische Ohren lang und ungewöhnlich, aber er ist logisch strukturiert und ein gutes Beispiel. Wörtlich ins Deutsche übersetzt, bedeutet er: der Mekkapilger Halef Omar ist der Sohn des Mekka-Pilgers Abul Abbas, der wiederum der Sohn des Mekka-Pilgers Dawud al Gossarah ist. Hadschi steht für den Hadsch und sagt uns, dass der Träger dieses Namens die Pilgerfahrt nach Mekka auf die vorgeschriebene Weise durchgeführt hat. Ben, Bin oder auch Ibn bedeutet Sohn von. Dann gilt es noch die Reihenfolge zu beachten. An erster Stelle kommt der Titel, sei es ein akademischer, religiöser oder einer des Adels. In unserem Falle ist es das Hadschi. Darauf folgt entweder ein vorangestellter Spitzname oder ein nachgestellter Ehrenname. Der Aufbau hat stets eine strenge Reihenfolge: Titel, laqab, kunya, ism, nasab, nisba, laqab. Das wird Ihnen so nichts sagen, aber ich kann Ihnen dazu ein paar Unterlagen schicken.«

      »Danke, die Unterlagen nehme ich gerne. Nun steht auf einem von einem Österreicher ohne Arabischkenntnisse geschrieben Zettel nur ›der Malik‹. Was fällt Ihnen dazu ganz spontan ein?«

      Professor Schwarzl antwortete nicht spontan, sondern dachte einige Sekunden nach.

      »Schwierig, nicht nur, weil der Name Malik in mehreren Sprachen vorkommt. Die Bedeutung des Höllenwärters würde ich am ehesten ausschließen, ausgenommen, Sie haben es mit irgendeiner uns noch unbekannten islamischen Gruppierung zu tun. Auf Deutsch drängt sich natürlich die Übersetzung mit ›der König‹ auf, aber das passt in dieser Kürze nicht unbedingt zur arabischen Kultur. Außerdem könnte es genauso ›der Kleine‹ bedeuten, wenn Sie einen bulgarischen Hintergrund annehmen.«

      »Oder eben ›kleiner Finger‹, auf Tschechisch.«

      »Richtig, Herr Lenhart. Aber es wird noch komplizierter. Der Name Malik ist weit verbreitet. Ich bin sicher, wenn Sie das Telefonbuch aufschlagen, werden Sie allein bei uns in Wien zig Malik finden.«

      »Nun, dann danke ich auf jeden Fall für Ihre Hilfe.«

      »Ich fürchte, viel war es nicht.«

      »Ganz im Gegenteil, Herr Professor. Wissen ist wissen, Nichtwissen ist nicht wissen. Das ist Wissen. Vielen Dank.«

      Verdutzt schüttelte Professor Schwarzl Michael Lenhart die Hand.

      Zurück im D-Trakt, berichtete Lenhart seinen Kollegen von den Ausführungen des Professors. Allerdings waren weder Anton Steinbach noch Sabine Preiss überrascht.

      »Der Name ist ein Griff ins Klo, Michael. Ich habe ihn ins zentrale Melderegister eingegeben und allein für Wien über zweihundert Treffer erhalten. Zudem war keiner von diesen zum fraglichen Zeitpunkt in Malta. Wie können auch ganz Österreich abfragen, aber ich fürchte, das Ergebnis wird das gleiche sein. Hier gibt es keinen Zusammenhang.«

      Michael antwortete nicht sofort, sondern holte sich ein Glas Wasser, trank einen Schluck und begann dann im zum Besprechungsraum umfunktionierten Wohnzimmer auf und ab zu gehen. »Interessanter Punkt, Anton. Deine Recherche bestätigt die Einschätzung des Professors. Beim Thema Zusammenhänge muss ich dir jedoch widersprechen, du unterliegst hier einem Denkfehler, oder sagen wir, einer zu eindimensionalen Betrachtung des Begriffs Zusammenhang.«

      Anton sah seinen Kollegen fragend an, während Sabine die Arme verschränkte und sich zurücklehnte. Offensichtlich war es Zeit für einen Lenhart’schen Vortrag.

      »Bevor wir die Frage eines Zusammenhangs beantworten können, müssen wir uns fragen, welcher Art dieser Zusammenhang sein könnte. Ist es ein hermeneutischer Zusammenhang, also


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