Der Malik. Bernhard Kreutner

Der Malik - Bernhard Kreutner


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zwei Sonderlinge ist eine fixe Abteilung für Sonderfälle geworden. Bei uns gibt es keine Befehle. Strenge Hierarchien mögen in Armeen und Konzernen sinnvoll sein, aber nicht bei uns dreien. Bei uns übernimmt immer der fachlich Kompetenteste die Führung. Als wir diese Ärztin im Imperial geschnappt haben, hat Sabine das Kommando übernommen, und beim Organisieren des Showdowns warst es du. So machen wir das intern. Titel und Ränge sind etwas für extern, einverstanden?«

      Anton Steinbach sah seine Kollegen verblüfft an. Michael Lenhart hatte recht. Als sie die Falle in der Herrengasse organisierten, hatte er als deutlich Rangniedrigerer freie Hand. Hier musste er sich umstellen.

      »Sorry, Michael, ich muss mich erst daran gewöhnen. Allerdings weiß ich nicht genau, was du mit extern meinst?«

      »Die Welt da draußen, Anton. Unsere Kollegen legen meist großen Wert auf Titel und Ränge, und diese Eitelkeit machen wir uns zunutze. Ein Beispiel: Du willst etwas von einem Sektionschef, kommst aber nur bis zu dessen Assistenten, denn der Sektionschef ist ziemlich sicher Akademiker und gibt sich nicht gerne mit einem kleinen Gruppeninspektor ab. Also übernehme ich das für dich. Umkehrt ist es manchmal besser, wenn nicht gleich ein Major in Erscheinung tritt, in diesem Fall übernimmst du. Verstehst du, was ich meine?«

      »Ja, das Ziel bestimmt die Mittel.«

      »Genau, Anton! Glaube mir, auch für mich war es anfangs ungewohnt, so zu arbeiten, aber ich möchte es nie wieder anders haben«, meldete sich Sabine zu Wort und fuhr entschlossen fort: »So, und jetzt holen wir uns die Unterlagen, lesen uns ein, und dann sehen wir weiter.«

      Der Bericht war kurz. Magister Walter Denk, Abteilungsleiter im Wiener Finanzministerium, zuständig für internationale Amtshilfe, vierundvierzig Jahre alt, geschieden, Vater einer neunzehnjährigen Tochter, war am Montag nach Malta geflogen, aber nicht zum vereinbarten Treffen erschienen. Nachdem der maltesische Kollege ihn auch am darauffolgenden Vormittag nicht erreichen konnte, rief er in Wien an, anschließend in der österreichischen Botschaft, und am Dienstagnachmittag machte er Meldung bei der Polizei. Eine Überprüfung im Hotel ergab nur, dass Walter Denk eingecheckt und kurz darauf das Hotel wieder verlassen hatte. Als man später das Zimmer überprüfte, war es leer. Auch die weitere Fahndung blieb erfolglos. Walter Denk war spurlos verschwunden.

      »Nun, was meint ihr?«, fragte Michael.

      »Väter verschwinden nicht einfach spurlos. Die Kollegen von der Wirtschaft wissen nichts, und es gibt keinen Hinweis auf einen Selbstmord.«

      »Exakt, Anton. Außerdem wissen wir nicht, warum er tatsächlich nach Malta geflogen ist.«

      »Tja, Abteilungsleiter arbeiten eben nicht in Teams und können sich ihre Auslandsreisen anscheinend selbst genehmigen«, ergänzte Anton sarkastisch.

      »Sabine, was ist dein erster Eindruck?«

      »Ich halte die Reihenfolge und die Zeit für interessant. Angenommen, wir laden jemand aus dem Ausland ein und unser Gast erscheint nicht am vereinbarten Treffpunkt, dann würden wir es sofort über dessen Mobiltelefon sowie im Hotel versuchen und noch am selben Abend zur Polizei gehen. Schließlich geht es hier nicht um einen Kurzurlaub, sondern um ein Treffen von zwei hochrangigen Finanzfahndern. Aber die Malteser lassen sich alle Zeit der Welt. Die Sache stinkt.«

      »Also gehen wir ihr auf den Grund. Sabine, bitte übernimm du die Botschaft und versuche, mehr über unseren Ansprechpartner und die Finanzbehörden in Malta herauszufinden. Aber bleib allgemein, mach keinen Druck. Vorläufig soll alles nach reiner Routine aussehen. Anton und ich besuchen die Kollegen von der Wirtschaft und Finanz, einverstanden?«

      »In Ordnung. Bitte kümmere du dich um das Mittagessen und nimm auch etwas fürs Frühstück mit.«

      »Gern, besondere Wünsche?«

      »Nein. Schau, was es bei Henry im Buffet Warmes gibt. Und ein Salat wäre gut.«

      Anton folgte diesem scheinbar alltäglichen Dialog mit zunehmender Neugierde. Hatte Sabine tatsächlich von Frühstück gesprochen?

      »Moment, Frühstück? Heißt das etwa das, was ich gerade denke?«

      Während Sabine nur lächelnd zu Michael hinübersah, antwortete dieser ganz sachlich: »Ja, du hast es zwar nicht ausgesprochen, aber unsere Partnerschaft geht seit unserem Skiurlaub über das Berufliche hinaus.«

      »Und ich soll das für mich behalten, nehme ich an?«

      »Ja, selbstverständlich! Es geht niemanden etwas an.«

      »Das widerspricht aber den Regeln.«

      »Ich weiß, und ich, vielmehr wir widersetzen uns dieser Regel, da wir keinen Grund sehen, inwiefern unser Privatleben unsere Arbeit beeinträchtigen könnte.«

      »Machen da der Philosoph und die Mathematikerin ihre eigenen Regeln? Wie geht das mit euren hohen Standards zusammen?«, wollte Anton, nach wie vor verblüfft, wissen.

      Nach einem Blick zu Michael antwortete Sabine: »Das Pflänzchen ist noch sehr jung. Wenn wir bereits jetzt unser privates Verhältnis melden, ist diese Abteilung, unsere Abteilung, erledigt, das wollen wir nicht. Wir werden uns daher ein wenig Zeit lassen. Um beim Bild des Pflänzchens zu bleiben: Wenn es gewachsen ist und starke Wurzeln hat, werden wir es melden. Wenn nicht, war es die Meldung nicht wert. Zufrieden?«

      Anton hob lachend die Arme und entgegnete: »Ja, absolut. Dieses kleine Geheimnis bleibt intern. So, und jetzt zum Externen, zu den Kollegen von der Wirtschaft. Lass uns gehen. Michael, hast du noch den Wagen?«

      »Ja, es hat mich niemand nach den Schlüsseln für den BMW gefragt.«

      Während Anton Steinbach in Richtung Josef-Holaubek-Platz im neunten Wiener Gemeindebezirk fuhr, studierte Michael Lenhart nochmals die Unterlagen. Als er die Mappe zuklappte, fragte ihn Anton: »Du hast früher selbst in Wirtschaftsfällen ermittelt. Kennst du die dortigen Kollegen?«

      »Kaum. Ich war bei der 5.3., Verdeckte Ermittlungen. Allerdings hatte das Siebener-Büro, Wirtschaftskriminalität, selten Freude an meiner Arbeit. Sie meinten, ich würde in ihrem Teich fischen. Es könnte also sein, dass unser Empfang ein wenig frostig ausfällt. Wie sieht es bei dir aus?«

      »Mit 7.2., Finanzermittlungen, hatte ich immer wieder zu tun. Die waren ganz in Ordnung. Aber wir sollen uns an den Abteilungsleiter, Major Ernst Tschiller, halten, den kenne ich nicht, du?«

      Nachdenklich blickte Michael aus dem Fenster. »Den Boss, ja, den kenne ich. Recht gut sogar. Ich würde sagen, er gehört eindeutig in die Kategorie extern.« Auf einen fragenden Blick seines Kollegen hin fuhr Michael fort: »Ich nehme an, du kennst das Gebäude dort?«

      »Du meinst die dortige Tintenburg? Sicher, warum?«

      »Weil der Tschiller in meinen Augen diesem Gebäudetypus genau entspricht. Streng, zweckorientiert, nüchtern, machtbewusst und bar jeder Schönheit und Eleganz.«

      Verwundert erwiderte Anton: »Du beurteilst Menschen nach ihrem Aussehen?«

      »Nein, zumindest nicht bewusst. Mit Schönheit und Eleganz meine ich nicht das Äußere. Es geht vielmehr um eine Schönheit und Eleganz des Denkens, des Ausdrucks, des Seins. Aber der Mangel an Schönheit scheint mir insgesamt eine Krankheit unserer Zeit zu sein. Wir huldigen der nackten Funktion und lassen die Schönheit nur zu leicht verkümmern. Schau aus dem Fenster: Die moderne Architektur hat das Besondere, Regionale, Schöne durch das Glatte, Austauschbare, Uniformierte ersetzt. Friedensreich Hundertwasser sprach in diesem Zusammenhang von der gottlosen Geraden, und sein Freund, Arik Brauer, philosophierte darüber schon vor rund vierzig Jahren in seinem Buch Das Runde fliegt. Ja, in meinen Augen ist die moderne Architektur meist funktionell, aber seelenlos. Konrad Lorenz, ein anderer großer Österreicher, bezeichnete diese Gebäude als Batterien für Nutzmenschen. In diesen Beton- und Glasschluchten arbeitet man nicht, man funktioniert, man flaniert nicht, man hastet, man lebt nicht, man vegetiert.«

      »Und der Tschiller ist so: funktionell und seelenlos?«

      »Nein, nicht seelenlos. Ich spreche keinem Menschen eine Seele ab. Das steht mir nicht zu. Er definiert sich


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