Vergewaltigung. Mithu M. Sanyal

Vergewaltigung - Mithu M. Sanyal


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Sex?«

      Wieder antwortete Geimer: »Ich hatte schon eine ganze Weile einen Beziehungspartner, und wir hatten bereits miteinander geschlafen, ja.«

      »Mit 13 Jahren?«

      »Nun, das war wenige Wochen vor meinem 14. Geburtstag, aber ja.«

      King ritt nicht etwa auf diesem Punkt herum, weil er ihn verwerflich fand, sondern weil er schlicht nicht in sein Weltbild passte. Also versuchte er es mit einem Kompromiss: »Aber Sie hatten schreckliche Schmerzen, nicht wahr?«

      Doch Geimer machte auch das zunichte: »Nein, nein, die ganze Situation war vollkommen anders.«175

      Die Vorstellung, dass eine Vergewaltigung nur durch den Schmerz beim Durchdringen des Jungfernhäutchens unerträglich würde, war eine »modernisierte« Form der Idee, dass eine Frau vordringlich an dem Verlust ihrer Ehre = Jungfräulichkeit litt.

      Das ist umso interessanter, als bisher niemand das vielbeschworene Jungfernhäutchen gesehen hat.176 Trotzdem hält sich die Überzeugung, dass vor dem ersten Geschlechtsverkehr in der Vaginalöffnung eine dünne Haut gespannt ist, vergleichbar mit der Frischhaltefolie, die die Waren im Supermarkt versiegelt, um anzuzeigen, dass sie unberührt (sic!) sind. Auch der vermeintlich wissenschaftlichere Begriff Hymen ist nur Griechisch für das gleiche Konzept. Hymen bedeutet Membran oder Haut. Tatsächlich handelt es sich bei besagtem Häutchen nicht um eine straffe Haut, sondern um eine Ansammlung von ringförmig angeordneten Schleimhautfalten, eine Korona – ebenfalls griechisch für Kranz oder Krone. »Sprache bestimmt, wie wir denken«, erkannte die Schwedische Vereinigung für aufgeklärte Sexualerziehung RFSU (Riksförbundet För Sexuell Upplysing) entsprechend und entschied, den ideologiebeladenen Begriff Jungfernhäutchen (Schwedisch mödomshinna) abzuschaffen und durch vaginale Korona zu ersetzen.177

      Die Korona befindet sich ein bis zwei Zentimeter tief in der Vagina und verschließt diese keineswegs hermetisch. Sollte sie das in Ausnahmefällen doch tun, ist das ein ernst zu nehmendes Problem, das medizinisch behoben werden muss, weil Menstruationsblut und andere vaginale Flüssigkeiten dann nicht abfließen können. Weder wird die Korona von einem eindringenden Penis oder Finger beim »ersten Mal« durchstoßen, noch beim Sport oder anderen körperlichen Aktivitäten zerrissen. Ganz im Gegenteil sind die intimen Hautfalten ziemlich dehnbar. Sie verschwinden auch nicht nach dem ersten Geschlechtsverkehr auf geheimnisvolle Weise, und weniger als die Hälfte aller Frauen bluten. Die berühmten Blutstropfen auf dem Laken sind kein Beweis für die Jungfräulichkeit der Braut, sondern für eine Verletzung, also genau das, wofür Blut – mit Ausnahme von Menstruationsblut – ansonsten auch steht.

      Wo Körper keinen eindeutigen Beweis für die weibliche Ehre liefern konnten, obwohl dieser Versuch nichtsdestotrotz weiter unternommen wurde und wird, mussten sie ihn in anderer Weise erbringen. In welcher, wurde wieder an der Geschichte der Lucretia debattiert. Ursprünglich hatte Lucretias Freitod Klarheit geschaffen und nicht nur ihre Unschuld bewiesen, sondern auch ihre Ehre zurückgewonnen. Daraufhin führten ihr Vater und Ehemann die Leiche Lucretias den Römern vor. Und die Römer, die die Gründung ihrer Stadt mit der Massenvergewaltigung der Sabinerinnen begonnen hatten, waren so entsetzt von der Tat, dass sie Sextus Tarquinius umbrachten, seinen Onkel, den bösen König Tarquinius Superbus, aus der Stadt jagten und Rom zur Republik ausriefen.178 Oh ja, und den Raub der Sabinerinnen ebenso wie die Ächtung der Vergewaltigung der Lucretia zu Sinnbildern für die Ideale der römischen Gesellschaft machten.179

      Mit dem beginnenden Christentum wurde das jedoch zu einem Problem. Zwar blieb das Konzept der weiblichen Geschlechtsehre konstant, doch galt Selbstmord nun als Sünde. Augustinus von Hippo deutete im 5. Jahrhundert folgenreich: »Entweder hat Lucretia, nachdem sie vergewaltigt wurde, mit dem eigenen Selbstmord eine Unschuldige ums Leben gebracht. Dann kann sie nicht als tugendhaft verehrt werden […] Lucretia hat vielleicht insgeheim dem Geschehen zugestimmt und Lust verspürt, damit aber ihre Keuschheit verloren. In diesem Fall [wäre] sie eine Ehebrecherin gewesen«180 und ebenfalls nicht tugendhaft.

      Denn ein nicht-ehelicher Geschlechtsverkehr war eine Sünde, und da Vergewaltigung in der Ehe rechtlich nicht möglich war, war eine Vergewaltigung bereits per definitionem ein Ehebruch. Allerdings sündigte der Mann nur, falls bei der Frau der »Wunsch und Wille keusch zu bleiben keineswegs zur Zustimmung zur Übeltat sich gewandelt hat«181. Das war aufgrund der Sehnsucht des Weibes, überwältigt zu werden, jedoch fraglich. (Schließlich ging es hier nicht um die Handlungen der Frau, sondern um ihre Gesinnung – die an ihren Sinnen respektive ihrer Sinnlichkeit gemessen wurde.) Deshalb standen vergewaltigte Frauen, auch wenn sie sich mit aller Kraft gewehrt hatten, unter dem Generalverdacht, nachträglich unkeusch geworden zu sein und damit gesündigt zu haben.182 Doch sogar wenn sie »keusch« geblieben sein sollte, konnte die Vergewaltigung immer noch ein Hinweis auf eine moralische Schwäche der Frau sein.183 Augustinus »rechnete damit, dass die Vergewaltigung eine Möglichkeit zur Demütigung der Frau sein könne, möglicherweise als Folge ihrer selbstgefälligen Überhebung«, erklärt die Professorin für Text- und Editionstheorie Gesa Dane. »Selbst für den Fall, dass die Frau sich ›hinsichtlich ihrer Keuschheit der Selbstüberhebung‹ nicht schuldig gemacht habe, könne sie dennoch vergewaltigt worden sein, aus einem Grund, der ebenfalls in ihr gelegen sei: in einer geheimen Schwachheit‹ […], die einmal als eitler Stolz ans Tageslicht hätte durchbrechen können, […] wenn ihr die Demütigung erspart geblieben wäre.«184

      Trotzdem hatte auch das Christentum natürlich seine Vergewaltigungsmärtyrerinnen, wie die heilige Agnes (geboren etwa 237, hingerichtet ca. 250 in Rom), die sich mit zahlreichen Wundern so erfolgreich gegen eine Vergewaltigung wehrte – wie mit dem Haarwunder, bei dem ihre Haare über ihren gesamten Körper wuchsen und ihn unberührbar machten –, dass sie am Ende als intakte Jungfrau enthauptet wurde.

      Auch Maria Goretti (geboren 1890 in Corinaldo, ermordet 1902 in Nettuno) wurde heilig gesprochen, weil sie sich lieber umbringen ließ, als ihre Jungfräulichkeit zu verlieren. Der Täter, Alessandro Serenelli, sagte später vor Gericht (und vor der Vatikankommission) aus, dass er der 12-jährigen Maria jede Möglichkeit gegeben habe nachzugeben, und er hätte sie nicht getötet. Doch sie soll nur gesagt haben: »Das ist Sünde, Alessandro.«185

      Dass sich eine Frau, die bei einer Vergewaltigung nicht umgebracht wurde, wünschte zu sterben, fand allerdings auch Augustinus angemessen. Tatsächlich ermaß sich an der Heftigkeit ihres Todeswunsches die Qualität der zerstörten Ehre: Je größer die Trauer, desto größer die (geraubte) Ehre. Sie durfte diesen Wunsch nur nicht mehr umsetzen. Im besten Fall siechte sie dahin und starb ohne eigenes Zutun. Wenn sie das nicht tat, musste sie mit ihrem gesamten weiteren Leben beweisen, dass sie nicht doch noch nachträglich unkeusch geworden war. Vorzugsweise, indem sie in ein Kloster ging. Denn es gab keine Rückkehr zum Status quo, ihr Lebensweg war unterbrochen, und zwar unwiederbringlich.186

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