Vergewaltigung. Mithu M. Sanyal

Vergewaltigung - Mithu M. Sanyal


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ihr folgen, um sich an ihr zu rächen, nie los. Ein Freund schildert: »Sie hatte so große Angst, sie würden ihr folgen, und sie töten, dass sie, wenn sie Auto fuhr, stets wie gebannt in den Rückspiegel schaute.«135 Weniger als drei Jahre später kam sie bei einem Autounfall ums Leben.

      Dass der Fall und sein tragisches Ende allgemein anders erinnert werden, liegt daran, dass er 1988 noch einmal inszeniert wurde – nur dieses Mal mit einem deutlich anderen Ausgang: In dem Kinofilm The Accused – auf Deutsch Angeklagt. Der Film mit seiner Starbesetzung – Jodie Foster in der Rolle des Opfers und Kelly McGillis als ihre Anwältin – ist das wahrscheinlich bekannteste Hollywoodwerk über eine Vergewaltigung. Die berüchtigte Vergewaltigungsszene – auf einem Flipperautomaten anstelle des Billardtischs – löste bereits im Vorfeld Kontroversen aus. Die Zuschauer strömten in Scharen in die Kinos, um sich ein eigenes Bild zu machen. Innerhalb der ersten 24 Stunden spielte der Film 18 Millionen Dollar ein, und Jodie Foster erhielt für ihre Darstellung sowohl einen Oscar als auch einen Golden Globe als beste Hauptdarstellerin. Häufig wird Angeklagt als der erste abendfüllende Spielfilm über eine Vergewaltigung bezeichnet, was jedoch nur teilweise korrekt ist. »Tatsächlich ist Vergewaltigung schon mit dem Beginn des Kinos verbunden und spielt eine prominente Rolle in Filmen wie D. W. Griffiths Die Geburt einer Nation von 1915«, präzisiert die Kommunikationswissenschaftlerin Tanya Horek. »Was Angeklagt besonders macht, ist jedoch, dass der Film das Ergebnis von mehr als zwei Jahrzehnten feministischer Aufklärungsarbeit zum Thema Vergewaltigung darstellt.«136

      Ergo ist die Geschichte, die in Angeklagt erzählt wird, nicht die Geschichte des Big Dan Case, sondern eine Art feministisches Idealszenario, wie vor Gericht und damit vor dem Gericht der öffentlichen Meinung eine Vergewaltigung verhandelt werden könnte. Ihr zentraler Konflikt ist, wie Jodie Fosters Filmcharakter ihre Wahrheit aussprechen und damit in das Gesetz einschreiben kann. Um dieses Ziel zu dramatisieren – damit die Situation nach den Regeln des aristotelischen Dramas zuerst schlimmer wird, bevor der Spannungsbogen zu einem happy ending hinaufschwingt –, stimmt ihre Anwältin Katheryn am Anfang des Films einem Vergleich zu, durch den die Täter nicht wegen Vergewaltigung, sondern wegen fahrlässiger Körperverletzung (reckless endangerment, so der ursprüngliche Titel des Films) verurteilt werden. Foster, die keinen portugiesischen, sondern den vermeintlich »neutraleren« Namen Sarah Tobias trägt, klagt Katheryn an, ihr die Chance genommen zu haben, ihre Geschichte vor Gericht zu schildern. Die Anwältin verteidigt sich mit dem Hinweis darauf, dass Sarah als alleinerziehende Mutter mit einer Vorstrafe für Haschischbesitz kein Vorzeigeopfer sei und demgemäß keine Chance auf einen fairen Prozess gehabt hätte.

      Warum der Film die rassistisch motivierten Konflikte auf eine Klassenebene verschiebt, begründeten die Filmemacher damit, dass sie für alle Vergewaltigungsopfer sprechen wollten: als wäre ein nicht weißes, nicht anglo-amerikanisches Opfer nicht repräsentativ genug – aber auch, als gäbe es eine Geschichte, die nun erzählt würde. Ihre Absicht, »die Populärkultur mit einer zuverlässigen Darstellung der ›Realität von Vergewaltigung‹ zu versehen«137, wurde durch quasidokumentarische Elemente, wie das Einblenden von Vergewaltigungszahlen und Statistiken im Abspann,138 unterstrichen, »um zu zeigen, dass der Film auf einer realen Geschichte basierte, doch mehr noch um ihn als eine Art Denkmal für alle Vergewaltigungsopfer zu präsentieren«139, bemerkt Horek.

      Das ambitionierte Ziel von Angeklagt war, als öffentliche Therapie zu fungieren, in der die Zuschauerinnen die Möglichkeit bekommen sollten, über ihre kollektive Verletzung zu trauern und mit Sarah zusammen die Widerstände, die ihrer Exkulpation entgegenstanden, aus dem Weg zu räumen. Als da wären:

      – Dadurch, dass die Täter nicht für das eigentliche Verbrechen verurteilt wurden, ist Sarah im Auge des Gesetzes gar nicht vergewaltigt worden.

      – Erst durch eine Verurteilung der Vergewaltiger würde sie des an ihr begangenen Verbrechens unschuldig gesprochen. Denn als Vergewaltigungsopfer ist sie gleichzeitig mit angeklagt.

      – Eine Frau, deren Opferstatus nicht rechtlich anerkannt wird, ist Freiwild.

      So begegnet Sarah in einer hochemotionalen Szene einem der Zuschauer aus der Kneipe, der sie sofort mit sexuellen Anzüglichkeiten bedrängt, bis sie ihr Auto in seinen Pick-up rammt. Als Katheryn die verletzte Sarah erschüttert besucht, stellt die klar, dass Katheryn Mitschuld an dem verbalen Übergriff auf der Straße habe. Weil sie durch ihren Vergleich das wahre Verbrechen, Vergewaltigung, als fahrlässige Körperverletzung bagatellisiert habe, würde Sarah zu einer Person, die man ungestraft angreifen dürfe (Freiwild). Sarah Tobias ist die Frau von der Straße, die die Wahrheit ausspricht, und die Wahrheit hört sich nicht von ungefähr so an, als stamme sie direkt aus den Seiten von Gegen unseren Willen.140 Die Situation ist nur durch eine symbolische Handlung im Gerichtssaal zu lösen. Also entscheidet Katheryn, die Zuschauer wegen Anstiftung zu einem Verbrechen zu verklagen, um Sarah eine zweite Chance zu geben, dass ihre Stimme gehört wird.

      Susan Brownmiller hatte erklärt, dass sie Feministin wurde, als sie erkannte, »dass Vergewaltigung eine permanente Bedrohung darstellt, die mein Leben von Grund auf beeinflusst hat«141. Entsprechend ist auch Sarahs Aussage vor Gericht in Angeklagt als ihre Subjektwerdung als Feministin zu verstehen: »Ich habe Nein gesagt. Ist Nein nicht genug?«142

      Trotzdem ist der kathartische Höhepunkt des Filmes keineswegs Sarahs eigene Schilderung der Geschehnisse, sondern die eines männlichen Zeugen, der schließlich gegen seine Geschlechtsgenossen aussagt.143 Das ist umso verblüffender, als in dem »echten« Fall keine männliche Autorität benötigt wurde. Doch in Angeklagt war das Bedürfnis nach Eindeutigkeit so immens, dass er das Filmteam für den Paternalismus der Gerichtsszene blind machte. »Selten war ein Paar männlicher Augen mächtiger; ohne sein Zeugnis gäbe es keine Verurteilung – ja es gäbe, wie die Verteidigerin feststellt, nicht einmal eine Vergewaltigung«144, konstatiert die Medienwissenschaftlerin Carol Clover. Denn erst als der Zeuge die Tat beschreibt, wird die bis dahin ausgesparte Vergewaltigungsszene eingeblendet und dadurch zur filmischen Realität. Die Wahrheit ist zu sehen und damit auch zu glauben.

      Angeklagt war der mediale Höhepunkt einer Debatte, die bewirkte, dass sich ein Wandel in der Mainstreamdarstellung von Vergewaltigung vollzog. So wurden Szenarien, in denen das Opfer das Verbrechen genoss, immer inakzeptabler, und der Empathieschwerpunkt verschob sich zugunsten der Frau, deren Abscheu und Ekel seitdem im Mittelpunkt stehen.145 Dabei beschreibt der Film die berühmte Szene auf dem Flipperautomaten weder mit Sarahs Worten, noch zeigt er sie aus ihrer Sicht, wie es etwa der Film Bandit Queen (1994) von Shekhar Kapur über die indische Banditin Phoolan Devi tut, in dem die Kamera buchstäblich Devis Position einnimmt und die nackten Beine ihrer Vergewaltiger filmt, die nacheinander in ihren Intimbereich eindringen. Das Gefühl, ganz nahe bei der Protagonistin zu sein, sozusagen in ihrer Psyche, wird in Angeklagt ausschließlich durch das Stilmittel der Rückblende erzeugt. Die Filmwissenschaftlerin Janet Walker bezeichnet dieses Verfahren als »trauma cinema«146, Werke über Erlebnisse aus der Vergangenheit, die in der Regel mit Hilfe von Rückblenden erzählt werden, analog den Flashbacks, die wir mit Traumata assoziieren.

      In den 1980er Jahren war es eine populäre Überzeugung, dass traumatische Ereignisse vom Unterbewussten tatsächlich wie von einer Filmkamera festgehalten und später in Flashbacks »abgespielt« würden – und zwar genau so, wie sie stattgefunden hätten, und nicht so, wie sie in der Situation wahrgenommen wurden. Die »objektive« Rückblende in Angeklagt bewegt sich in dieser Vorstellungswelt. Durch sie erlebt Sarah ihr Trauma noch einmal, dieses Mal jedoch nicht alleine, sondern mit dem versammelten Gericht, das sie vom Stigma der lüsternen Frau, die sich nachts alleine in Kneipen herumtreibt, freispricht und nun richtig als Opfer identifiziert. Mit diesem Akt des Veräußerns ist die Therapie erfolgreich abgeschlossen und die Angeklagten erhalten – pars pro toto für die Mehrheit der männlichen Bevölkerung – das Urteil: schuldig.

      »Terror strahlt aus dem Mann, Terror erleuchtet sein Wesen, Terror ist sein Lebenszweck«147, gab die Schriftstellerin und Aktivistin Andrea Dworkin bekannt, deren Texte in den 80er Jahren für eine kurze Zeit überraschend


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