Vergewaltigung. Mithu M. Sanyal

Vergewaltigung - Mithu M. Sanyal


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Stelle schwule (und heterosexuelle Frauen anders herum) – bloß dass ihre Genitalien eine komplett andere Geschichte erzählten: Durchblutung und Feuchtigkeit war bei jeder Form von homosexuellem Sex am intensivsten, während heterosexuelle Akte zwar niedrigere Werte erzielten, doch sogar kopulierende Bonobos bekamen eine Reaktion.

      Die Studie krankte an allem Möglichen: dass sie nur in den Kategorien Männer/Frauen sowie heterosexuell/homosexuell konzipiert war und dass Sex ausschließlich in den Genitalien verortet wurde. Was sie jedoch eindeutig widerlegte, war der Sex-Mythos: »Dass Männer, wenn es um Sex geht, eher auf visuelle Reize reagieren als Frauen, und sowieso immer Sex haben wollen.«86

      Doch sobald es um Frauen und Erregung geht, ist das Überraschendste an den bahnbrechenden neuen Erkenntnissen, dass diese bereits als bahnbrechend betrachtet werden.

      Damit nicht genug, muss das Gegensatzpaar Männer-visuell/Frauen-emotional wieder und wieder widerlegt werden. Heather Rupp vom Kinsey Institute maß zusammen mit Kim Wallen, Professor für Psychologie und Neuroendokrinologie an der Emory University, die Zeit, die Proband*innen erotische Bilder ansahen, ohne den Blick abzuwenden.87 Selbst im Hundertstelsekundenbereich gab es keine Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Testpersonen. Darauf zeigten sie ihnen Bilder von Sonnenuntergängen, um herauszufinden, ob sie beim Betrachten von Sex größere Hirnaktivität aufwiesen. Selbstverständlich. Spannend wurde es allerdings bei der Auswertung, welche Teile der Bilder sich Wallens und Rupps Proband*innen anschauten. Eye Movement Tracking enthüllte, dass Männer mehr Zeit mit Gesichtern verbrachten, Frauen, die keine hormonelle Empfängnisverhütung benutzten, bevorzugten dagegen Genitalien und Frauen mit hormoneller Empfängnisverhütung die Kleidung der abgebildeten Personen und den Hintergrund. So viel zu der These, dass Männer immer zuerst auf die Titten schauen.

      Auch ist aktives weibliches Begehren ja keineswegs eine Erfindung der sexuellen Revolution oder der feministischen Revolution oder der sexuellen feministischen Revolution, sondern seit Jahrhunderten der sprichwörtliche weiße Elefant im Raum. Als Rom 2011 das Archiv der Apostolischen Pönitentiarie für Wissenschaftler*innen öffnete, fanden diese darin Tausende von Briefen aus dem 15. Jahrhundert, in denen Frauen vor dem obersten Gerichtshof der katholischen Kirche ihre sexuelle Befriedigung einklagten.88

      Deshalb ist es so bezeichnend, dass Laurie Penny, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in ihren Texten gerade Unsagbare Dinge – so der Titel eines ihrer Bücher – auszusprechen, reflektiert: »Als ich Unsagbare Dinge schrieb, wollte ich ursprünglich über meine (positiven) sexuellen Erfahrungen schreiben. Aber am Ende entschied ich mich dagegen, weil mich Journalist*innen sonst nur danach gefragt hätten. Und das bedauere ich inzwischen. Mir ist aufgefallen, dass ich es in meinen politischen Texten leichter fand, darüber zu schreiben, dass ich vergewaltigt worden bin, als über all den Sex, den ich selbst wollte.«89

       Sexing the Difference III: Nein heißt nein!

      Ein Buch hat die Art, wie wir über Vergewaltigung sprechen, radikaler verändert als jedes andere Werk des 20. Jahrhunderts – ja, ihm wird sogar das Verdienst zugeschrieben, die »Verschwörung des Schweigens«90 durchbrochen zu haben, so dass wir überhaupt darüber reden: Susan Brownmillers Bestseller Gegen unseren Willen von 1975 war eines der ersten Bücher der US-amerikanischen Frauenbewegung der 1970er Jahre, das vom Mainstream nicht nur akzeptiert, sondern förmlich gefeiert wurde. Brownmiller galt als Pionierin, »die die Existenz von Vergewaltigung, die von Historikern bisher ignoriert oder trivialisiert worden ist, als treibenden Faktor der Weltgeschichte enthüllt hat«.91 Das Buch löste eine breite Debatte aus, in deren Folge die Rechtsprechung zuerst in den USA und daraufhin in zahlreichen weiteren Ländern geändert wurde, und 1976 wählte das Time Magazine Brownmiller zur Frau des Jahres.

      Dass Gegen unseren Willen derartige Auswirkungen hatte, lag daran, dass das Buch nicht nur die Geschichte eines Verbrechens erzählte, sondern anhand von Vergewaltigung eine Analyse der herrschenden Gesellschaftsordnung lieferte. Nach Brownmiller war Vergewaltigung Ursprung und Urszene des Patriarchats. Entsprechend beginnt auch ihre Argumentation wie bereits Krafft-Ebings – und Ellis’ und Darwins und so weiter – in der Urgeschichte mit der Überwältigung der schwachen Frau durch den starken Mann. Allerdings hat sie für diese Szene eine deutlich andere Interpretation: »In der gewalttätigen Welt der primitiven Menschen hatte eine Frau irgendwo einmal die Zukunftsvision ihres Rechts auf eigene körperliche Integrität, und ich sehe sie vor mir, wie sie wie der Teufel darum kämpfte. Urplötzlich war ihr klar geworden, dass dieses spezielle Exemplar eines behaarten Zweibeiners nicht gerade der Homo sapiens war, mit dem sie sich gern zusammengetan hätte, und so war sie es vielleicht, und nicht ein Mann, die den ersten Stein aufnahm und ihn warf. Wie verblüfft muss er gewesen sein, und welch ein unerwarteter Kampf muss dann stattgefunden haben.«92

      Trotz ihrer progressiven Ansichten über das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper konnte Brownmillers Urfrau den Kampf jedoch nicht gewinnen, denn sie hatte etwas, das sie inhärent verletzlich machte: ihre Genitalien. »Die im Mann angelegte Fähigkeit zu vergewaltigen und die entsprechende Verletzlichkeit der Frau liegen ebenso in unserer Physiologie begründet wie der eigentliche Geschlechtsakt selbst. Ohne diesen biologischen Zufall, ohne diese Vorrichtung, die zwei ineinander passende Teile, Penis und Vagina, erfordert, gäbe es weder Geschlechtsverkehr noch Vergewaltigung.«93 Es war heikel, dass Brownmiller ihre Kulturgeschichte mit einer Fiktion einleitete.94 Auch wurde sie, vor allem von afroamerikanischen Autor*innen, für ihre unreflektierte Reproduktion von rassistischen Stereotypen im weiteren Verlauf des Buches kritisiert. Doch stieß sich damals niemand sonderlich an der biologistischen Grundannahme: »Es ist dem Bauplan der Geschlechtsorgane, um den man nicht herumkommt, zuzuschreiben, dass der Mann der natürliche Verfolger des Weibes war und die Frau seine natürliche Beute.«95

      Das muss man nun im Kontext der Zeit lesen, in der Ehemänner den Arbeitsvertrag ihrer Frauen kündigen durften, wenn sie meinten, dass diese wegen ihres Berufs den Haushalt nicht sorgfältig genug machten,96 Frauen für die gleiche Arbeit geringere Stundenlöhne bekamen und ihnen ganze Berufszweige (wie beispielsweise die Polizei97) verschlossen waren. Bei diesen ungleichen Ausgangsbedingungen ist es wenig verwunderlich, dass Brownmiller der Verdacht kam, Männer hätten vielleicht einen schlechten Charakter. Und da wir alle aus den gleichen Zellen bestehen, musste der Grund für den Machtunterschied – und die damit einhergehende Möglichkeit für Machtmissbrauch – auf einer anderen Ebene zu finden sein. Was lag also näher, als ihn in den einzigen Teilen des Körpers zu suchen, die offensichtlich unterschiedlich waren?

      In der politischen Theorie der 1970er Jahre bestand die Persönlichkeit aus zwei Anteilen, nature und nurture. Wo nature unveränderlich war, lag nurture in der Hand der Gesellschaft. Und bei genauerem Lesen fällt auf, dass Gegen unseren Willen durchaus beide Anteile berücksichtigt: Vergewaltigung als durch die Genitalien determinierte Handlung und als Ergebnis kultureller Prägungen. So beschreibt die imaginierte Urszene den »ersten Vergewaltigungsversuch«98 als Schlüsselerlebnis für die fliehende Frau ebenso wie für ihren männlichen Verfolger, der nun die zweite Vergewaltigung plant. »Ja, eine der frühesten Formen männlicher Gruppenbildung wird die zur gemeinsamen Vergewaltigung einer Frau gebildete Bande plündernder Männer gewesen sein. Und nachdem dies vollbracht war, wurde Vergewaltigung nicht nur ein männliches Privileg, sondern auch das entscheidende Machtinstrument des Mannes gegenüber der Frau, der Durchsetzung seines Willens und Hauptursache ihrer Furcht. [Der] Triumph seiner Männlichkeit.«99

      Bis heute ist die Schilderung von körperlichen Grenzüberschreitungen als »Triumph« (des Vergewaltigers) ein Topos in Vergewaltigungserzählungen, ebenso wie die »Entdeckung des Mannes, dass seine Genitalien als Waffe zu gebrauchen sind«. Wobei man meinen sollte, dass sich kaum etwas weniger als Waffe eignet als ein Penis, doch ist diese Analogie noch deutlich älter als Gegen unseren Willen. Brownmiller kommt zu dem Schluss: »Die Frau war für den Mann der erste bleibende Wert, den er erwarb, sein erstes echtes Besitzstück und somit Grundstock und Eckpfeiler des ›Vaterhauses‹.«100

      Als


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