Strafsache van Geldern. Hans Hyan

Strafsache van Geldern - Hans Hyan


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die Umgebung schon einmal persönlich angesehen und kann Ihnen daher gut folgen, wenn Sie mir nun erzählen wollen, was alles und wie es sich von da an, ich meine, als Sie wieder zu Hause waren, was sich da nun abgespielt hat?“

      Der Angeklagte richtete sich mit einem tiefen Atemholen auf: „Ich öffnete das unverschlossene Gitter und ging durch den Vorgarten die Verandatreppe hinauf, um durch das Esszimmer, dessen Türen zum Balkon weit offen standen, in mein Studio zu kommen ...“

      „Sie meinen Ihr Arbeitszimmer?“

      Paulus sah den Vorsitzenden gross und mit leerem Blick an: „Ja ... ich meine mein Arbeitszimmer ... Dabei musste ich durch den kleinen Salon, den meine Frau bewohnt. Und da — —“

      Paulus liess den Kopf sinken, ein Zittern lief über seinen Körper. Er musste wiederholt zum Sprechen ansetzen, bis es ihm gelang:

      „Meine Frau ... hatte eine so merkwürdige Vorliebe für Kissen und Polster ... alles lag voll davon in ihren Zimmern ...“ Er stockte. „Aber das ist ja ... nur ... wie ich eintrat, da lag sie auf einem Berg von Kissen ...“

      Der Angeklagte atmete zwischen jedem Wort tief und schwer: „... mit dem Gesicht auf dem linken Arm, die rechte Hand seitwärts fortgestreckt, so lag sie da ... Die Knie waren unter dem Leib angezogen ...“

      Totenstille.

      „Ja“, sagte der Vorsitzende, die Luft gewaltsam aus dem offenen Munde stossend, „ja, das stimmt alles, nur — war, die da so merkwürdig am Boden lag, erstochen! Warum sagen Sie denn davon nichts, Angeklagter?“

      „Ich kann nicht alles auf einmal sagen, Herr Landgerichtsdirektor. Zu dem, was Sie meinen, komme ich noch ... übrigens würden Sie es mir am meisten verargen, wenn ich jetzt hier ganz unbewegt meine damaligen Eindrücke schildern würde.“

      „Ach so, Sie meinen: wird der Angeklagte rot, ist er schuldig, weil er ein schlechtes Gewissen hat — bleibt er blass, ist er erst recht schuldig, weil alles von ihm abprallt! ... Nein, Angeklagter, so ist das nun nicht! Wenigstens da nicht, wo ich verhandle! Das Gericht und die Geschworenen empfangen — das dürfen Sie mir gern glauben — die richtigen Eindrücke schon und werden sie auch entsprechend verwerten!“

      Bei diesen Worten bekam van Gelderns Gesicht etwas unglaublich Starres. „Ich habe den Eindruck, Herr Vorsitzender“, entgegnete er, „dass Sie selbst mein Urteil schon gesprochen haben. Wenn diese Verhandlung so weiter geführt wird, werde ich auf keine Frage mehr antworten!“

      Doktor Vierklee erhob sich, trat an den Angeklagten heran und legte ihm, leise zuredend, die Hand auf die Schulter. Dann wandte er sich zu dem Vorsitzenden und sah ihn ohne ein Wort ruhig und ernst an.

      Aber Hallmann sprach, als sei gar nichts vorgefallen, leise zu dem Landgerichtsrat Schnellpfeffer, um dann mit einer kurzen Wendung zu van Geldern in der Verhandlung forzufahren:

      „Ich möchte jetzt die vom Tatort und von der Leiche der Ermordeten aufgenommenen Fotografien bei den Geschworenen zirkulieren lassen.“

      Vierklee erhob sich: „Ich widerspreche dieser Anordnung des Herrn Vorsitzenden auf das entschiedenste! Selbstverständlich kann die Staatsanwaltschaft und das Gericht das von Ihnen beigebrachte Material im Sinne der Anklage verwerten. Aber einer guten Gepflogenheit zufolge geschieht das meist nach der Zeugenvernehmung. Jetzt, in diesem Stadium, die Geschworenen schon mit den furchtbaren Eindrücken der Fotogramme zu belasten, heisst, ihre psychische Einstellung aufs ärgste beeinflussen ... und das erscheint mir nicht zulässig. Ich widerspreche dem also nochmals!“

      „Ob meine Massnahmen zulässig oder unzulässig sind, darüber bestimmen nicht Sie, Herr Rechtsanwalt! ... Um aber jeder Schwierigkeit aus dem Wege zu gehen, werde ich einen Gerichtsbeschluss herbeiführen.“

      Das Gericht verschwand im Beratungszimmer. Der Staatsanwalt machte sich eifrig Notizen. Nach einer kurzen Weile kehrten die Herren zurück und verkündeten durch den Mund des Vorsitzenden: „Das Gericht hat beschlossen, da die Anordnung, den Geschworenen schon jetzt die Mord-Fotogramme zur Kenntnis zu bringen, durchaus innerhalb der Kompetenz des Verhandlungsleiters liegt, dass die Fotografien nunmehr zirkulieren sollen.“

      Vierklee setzte sich, sprach leise mit dem Angeklagten: „Werden Sie nicht unruhig, lieber Kollege, und zeigen Sie ja keine Ängstlichkeit. Dieser merkwürdige Mann, der übrigens sonst ein Kind an Gutherzigkeit ist, muss irgendeinen ganz sonderbaren Komplex in bezug auf Ihre Sache haben. Wir müssen jedenfalls damit rechnen, dass Hallmann Ihnen nichts schenken wird.“

      Paulus nickte mehrmals in ruhiger Bejahung:

      „Ich fürchte mich nicht, Herr Doktor. Ich kenne den Herrn Landgerichtsdirektor und weiss, dass er letzten Endes ein untadeliger Richter ist.“

      Die Stimme des Vorsitzenden kam wieder:

      „Sie riefen nun die Dienstmädchen, Angeklagter, nicht wahr? ... Oder nein, wir wollen erst mal über die Waffe sprechen ... hier, bitte!“

      Der Landgerichtsdirektor winkte einem der beiden Justizwachtmeister und liess sich von dem Tisch neben der grünen Richtertafel, auf dem die Asservate lagen, ein Schwedenmesser reichen.

      „Hier, Angeklagter, sehen Sie sich das Ding mal an! Sie werden nicht bestreiken können, dass die Waffe Ihr Eigentum ist?“

      „Ich habe keine Veranlassung, Herr Vorsitzender, etwas zu bestreiten, was der Wahrheit entspricht. Der kleine Dolch ist oder er war vielmehr mein Eigentum bis ein paar Wochen vor dem Unglück. Ich habe ihn mir seinerzeit aus Kopenhagen mitgebracht, hatte ihn auf meinem Schreibtisch liegen, ohne mehr daran zu denken; bis ihn am einunddreissigsten Mai — an dem Tage ist mein Geburtstag — meine Frau zufällig nahm, einen Brief damit aufschneiden wollte und mich bat, ich sollte ihn ihr doch schenken. Was ich natürlich tat.“

      „Natürlich! ... Was könnte man auch für eine plausiblere Erklärung dafür finden, dass sich die Waffe zufällig in Reichweite des Mörders befand, als Ihre Frau erstochen wurde ... Wir werden uns nunmehr mit dem Vorgang des Mordes eingehender zu beschäftigen haben ... Wie ich glaube, haben Sie, Herr Staatsanwalt“, Hallmann sah zu Doktor Malkenthin hinüber, „den Wunsch, für diesen Teil der Verhandlung die Öffentlichkeit auszuschliessen?“

      Doktor Malkenthin erhob sich:

      „Ich beantrage Ausschluss der Öffentlichkeit für die ganze Dauer der Verhandlung.“

      Eine Bewegung, die Hallmann machte, zeigte, dass er seinen Vorschlag so weitgehend nicht verstanden wissen wollte. Aber dann erhob er sich mit seinem gewohnten Achselzucken, und das Neun-Männer-Kollegium verliess den Saal, kam nach dieser kurzen Förmlichkeit sofort zurück und verkündete:

      „Die Öffentlichkeit ist vorläufig wegen Gefährdung der Sittlichkeit ausgeschlossen!“

      Bei aller Angst vor der Strenge des Vorsitzenden lief der Widerspruch des Publikums murrend durch den Raum. Hallmann schlug mit der flachen Hand auf den Tisch:

      „Ein bisschen schnell, Herrschaften! Oder sollen die Justizwachtmeister erst ihres Amtes walten?“

      Nun leerten sich die Räume rasch. Die Presse blieb im Saal.

      *

      Auf dem breiten Korridor vor dem grossen Schwurgerichtssaal in der ersten Etage des gewaltigen Stiegenhauses war durch Schranken ein grosser Raum abgeschlossen, in dem sich die Prozessbeteiligten auf hielten; rechts und links in diesem Abschnitt waren Bänke für die Zeugen aufgestellt. Eine merkwürdige Gesellschaft, beinahe durchweg elegant und modern, wenigstens in ihrer Kleidung. Gute und schlechte Parfüme und ein nicht zu lautes, hastiges Getuschel und Geraune erfüllten den Raum. Über all diesen Menschen lag der schwer zu bestimmende Hauch jener Grenzregion, in der man nicht weiss, ob man jemandem freimütig die Hand entgegenstrecken oder sie besser in der Tasche lassen soll.

      Eine kleine, blonde, grell geschminkte Frau, die so hübsch war, dass sie diese Malerei gut hätte entbehren können, in zartblauer Seide wie in einer lichten Wolke schwebend, stand neben einem blonden Riesen und sprach mit grosser Heftigkeit auf ein Mädchen mit kupferrotem Lockenkopf ein.

      „Ihr


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