Strafsache van Geldern. Hans Hyan
das geht aus ihren Büchern auch hervor. Aber was wurde mit den Perlen? ... Na, antworten Sie doch! Sie waren ja nun Ihr wohlerworbenes Eigentum, Sie konnten ja damit machen, was Sie wollten!“
Paulus schwieg. Seine Augen suchten unwillkürlich die Stelle, an der vorhin Greta Heerström gesessen hatte. Er sagte:
„Ich betrachte diese Angelegenheit als eine reine Privatsache. Das Gericht hat das Recht, in einem solchen Prozess den Angeklagten nach allem zu fragen. Aber kein Mensch auf der Welt ist verpflichtet, solche Fragen zu beantworten.“
Hallmann war ein wenig verblüfft. Er fasste sich aber schnell:
„No’, da haben Sie recht! ... Bloss jede verweigerte Erklärung fällt auf den Angeschuldigten zurück. Wenn Sie über Dinge, die mit dem Mord innig zusammenhängen, ausdrücklich nichts sagen wollen, so steht Ihnen das frei ... Nur werden Sie sich nicht wundern dürfen, wenn das Gericht daraus Schlüsse zieht!“
Paulus van Geldern sah seinen Anwalt an, Vierklee schien ihn aufzufordern, er möchte sich doch seine Lage nicht unnötig erschweren. Aber in den Zügen des jungen Anwalts war eine so eisige Gleichgültigkeit, dass der gelbe Kopf mit dem grossen Einglas mit leisem Neigen sich einverstanden erklären musste.
„Ist Ihnen, Angeklagter, denn noch sonst irgend etwas bekannt, eine Tatsache, ein Umstand, dieser oder jener Mensch, der vielleicht zu dem Morde Beziehungen haben könnte? ... Sie sagen, Sie sind nicht der Täter?“
Van Geldern bewegte verneinend den Kopf.
„Geschehen ist die Tat aber, also muss einer der Täter sein! Und ich frage Sie nochmals: Haben Sie von irgendeinem Umstand Kenntnis, der uns einen Fingerzeig geben könnte über die Person des Mörders?“
„Nein, Herr Vorsitzender!“
Hallmann stiess wieder die Luft aus und sah nach der Decke hinauf:
„Ich fühle mich verpflichtet, Angeklagter, Sie hier an dieser Stelle noch einmal zu fragen: Wollen Sie ein Geständnis ablegen? ... Es wäre ja doch möglich, dass Sie die Tat nicht oder nicht nur aus gewinnsüchtigen Absichten begangen hätten ... und ich brauche Sie, als geschickten Verteidiger, wohl nicht darauf hinzuweisen, dass die ganze Beurteilung dieses traurigen Geschehnisses anders wird, wenn Sie jetzt mit einem offenen Geständnis vor das Gericht hintreten.“
Langsam, abgemessen, fast feierlich kam die Antwort:
„Ich bin nicht im Sinne der Kirche gottesgläubig. Aber wie jeder denkende Mensch verehre auch ich ein hohes Wesen, eine Gewalt, die über uns entscheidet. Und bei diesem Glauben an das Unsichtbare, Allumfassende und Allgütige sage ich hier noch einmal und zum letzten Male, dass ich die Tat nicht begangen habe und dass ich nichts von ihr weiss!“
Irgendwo von der Galerie her kam es wie ein schluchzender Laut.
Doktor Malkenthin blickte, wie erschrocken, nach oben. Aber Hallmann kehrte sich daran nicht: „Mit seinem Schöpfer muss sich jeder allein auseinandersetzen, Angeklagter ... Ich habe meine Schuldigkeit getan und habe Sie noch einmal auf die Vorteile hingewiesen, die ein offenes Geständnis bietet!“
Er beugte sich zu den Beisitzern: „Es ist ein Uhr, ich glaube, wir legen am besten jetzt eine Frühstückspause ein. Die Vernehmung des Angeklagten zur Tat ist ja beendet. Nach der Pause kommen wir zu den Zeugen!“
Damit stand er auf und gab das Zeichen für die Richter und die Geschworenen, sich zurückzuziehen.
Der Erste Staatsanwalt, Doktor Malkenthin, blieb im Saal. Er sass eine Weile unschlüssig auf seinem Platz rechts oben beim Fenster und blickte hinauf nach der Galerie, die jetzt auch leer wurde, und sah dann hinüber zu dem Angeklagten. Der erwiderte den Blick. Und nach einigem Zögern stand Doktor Malkenthin auf und kam, die hohe magere Gestalt im Genick etwas gebeugt, langsam zu Paulus van Gelderns Platz.
Der neben dem Angeklagten sitzende Justizwachtmeister trat sofort respektvoll zurück, als der Erste Staatsanwalt den Angeklagten, der sich erhoben hatte, bat, doch wieder Platz zu nehmen. Er hätte nur eine Frage an ihn.
Paulus, der alle im Saal überragte, blieb stehen und neigte sich nur ein wenig zu Doktor Malkenthin, der im Flüsterton sprach: „Ich habe es nicht fertiggekriegt, Herr Rechtsanwalt, Ihnen die dreitausend Mark, die ich Ihnen noch schulde, zurückzugeben. Und ich weiss wohl, dass ich unter diesen Umständen nicht an meinem Platz stehen dürfte. Aber das Eingeständnis dieser meiner Schuld bedeutet meinen Ruin, vielleicht mein Ende.“
Paulus van Geldern lächelte, und ebenso leise wie der, der ihn anklagen sollte, erwiderte er: „Sie sind mir nichts schuldig, Herr Staatsanwalt. Die dreitausend Mark, die ich Ihnen damals mühelos leihen konnte, weil ich sie eben erst gewonnen hatte, von denen ist keine Rede mehr. Ihr Schuldschein ist verbrannt, und aus meinem Munde erfährt niemand etwas. Ich möchte Sie nur um eines bitten: Nehmen Sie es sich ebenso fest vor, wie ich es mir selbst vorgenommen habe, und rühren Sie nie wieder eine Karte an! Im übrigen erwarte ich von Ihnen nichts anderes als Gerechtigkeit!“
Doktor Malkenthin stand noch einige Augenblicke mit gesenktem Kopf. Dann nickte er, wandte sich und ging an seinen Platz.
Zu van Geldern trat eben wieder Doktor Vierklee, der draussen rasch ein Glas Portwein zu seiner Frühstücksschrippe getrunken hatte: „Haben Sie keinen Hunger, lieber Kollege?“
„Nein, aber eine Zigarette möchte ich rauchen!“
„Kann ich Ihnen leider hier nicht vermitteln. Aber wenn Sie drüben in dem kleinen Richterzimmer ...“
Paulus schüttelte den Kopf: „Nein ... keine Vergünstigungen! Ich danke Ihnen. Wieviel Tage werden wir verhandeln, Doktor, was meinen Sie?“
„Eine Woche mindestens!“
„Dann werde ich solange überhaupt nicht rauchen ... ich fiebere nämlich ... aber ich habe ja dann Zeit, mich zu erholen.“
„Sie meinen, dass ...?“
Paulus nickte: „Ja! Jeder Angeklagte muss doch unmittelbar nach seinem Freispruch entlassen werden.“
Doktor Vierklee nahm die sehr grosse, merkwürdig spitzfingrige Rechte des Angeklagten in seine beiden viel kleineren Hände: „Gott erhalte Ihnen diese Zuversicht! ... Aber ich bitte Sie noch einmal, wenn ich selbst auch unverbrüchlich von Ihrer Unschuld überzeugt bin, seien Sie nicht zu siegessicher! Sie haben, glaube ich, in diesem Saal ausser mir keinen Menschen, der Ihr Freund ist!“
„Doch, einen ja!“
Und Paulus van Geldern lächelte wie einer, der aus der tiefsten Hölle mitten unter die jubelnden Engelchöre des Himmels tritt.
*
Die Geschworenen genossen ihr Frühstück im Beratungszimmer. Die drei Richter hatten sich in das Amtszimmer des Landgerichtsdirektors zurückgezogen, und der jüngste von den drei Herren, Landgerichtsrat Ernemann, war hinausgegangen, um auf dem Korridor einen Bekannten zu begrüssen.
So sassen Landgerichtsrat Schnellpfeffer und Hallmann allein, assen ihre belegten Brote und unterhielten sich. Nicht eigentlich über die Sache selbst. Hallmann hatte ein jüngst erschienenes Buch in der Hand und zeigte dem Kollegen die fotografischen Abbildungen zu einem Fall, der sehr ähnlich zu liegen schien. Ein stellungsloser junger Mensch hatte seine ehemalige Geliebte ermordet und beraubt. Er hatte die Ergebenheit der Frau benutzt, um der Ahnungslosen eine Schlinge um den Hals zu legen und sie — scheinbar voller Zärtlichkeit — zu erwürgen.
„Die Sache ist ja auch in der Presse breitgetreten worden, es wird da allerlei geredet von abnormen Erregungszuständen, die leidenschaftliche Ausbrüche des Unterbewusstseins hervorrufen ... So sollen Mordtaten zustande kommen, die für den logisch Denkenden nichts anderes als Auswirkungen einer widerlichen Habsucht und scheusslichen Geilheit sind ... Ich bin der Überzeugung, dass, wenn sich die Justiz auf diese abschüssige Bahn locken lässt, wenn wir erst einmal damit anfangen, die sogenannten Absenzen, Rauschzustände und was weiss ich sonst, gelten zu lassen, dann — ja, dann ist der Tag nicht mehr fern, wo jeder Halunke ungestraft morden und Verbrechen begehen darf, wie er gerade Lust hat ...“