Strafsache van Geldern. Hans Hyan

Strafsache van Geldern - Hans Hyan


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      „Niemand weiss so genau Bescheid wie ich mit der ganzen Geschichte! Noch zwei Tage vorher war sie bei mir! Da hat sie mir gesagt: Hortense, sagt sie, er schlägt mich sicher noch tot. Es vergeht kein Tag, wo er mir nicht droht, dass er mich umbringen will!“

      Die rote Loni, eine Wienerin, die es von der einfachen Maniküre in einem Jahr zur „grossen Frau“ gebracht hatte, die bei der Auswahl ihrer Liebhaber das Flugwesen bevorzugte und selbst in tadellosem Looping durch den Äther schoss, sah ihre kleine blonde Freundin lächelnd an:

      „Aber geh, Hortense! Der Paulus, den kenn’ mir besser! Da kannst uns nix erzählen! Der tuat doch kan Kinderl net weh ... Und die Martha? ... Wenn die net was zerbrechen und zerschlagen hat können oder wen was an’ Schädel schmeiss’n, dann war’s ihr do net wohl ...“

      Die schwarzen Augen suchten Zustimmung bei dem blonden Gert, der aber in seiner fabelhaften Pomadigkeit lehnte jedes Urteil ab:

      „Es ist alles nicht so wichtig, Kinder! Wichtig ist, wo wir nachher frühstücken werden, und wer heute abend mit mir ausgeht!“

      Die Damen lachten, und auf ihr Gelächter kamen zwei Herren von der anderen Seite her. Der eine, ein berüchtigter Spieler, lang, schmal, hektisch, mit den Allüren des Grandseigneurs, und sein Freund, ein bekannter Herrenreiter, der auch schon in einem Spielerprozess nur mit Mühe an der Anklagebank vorbeigeglitten war. Der lachte mit viel zu breitem Munde und flinkernden Augen:

      „Zu dumm, den armen Kerl hier auszustellen wie eine Panoptikumfigur! Ich kenne van Geldern! Wenn der den Mord begangen hat, dann heisse ich Matz!“

      „Und wie heisst du wirklich?“ fragte die rote Loni.

      Alle lachten.

      „Das sage ich nicht! Du kriegst es fertig und nennst mich laut beim Vornamen!“

      Der lange Hasardeur schüttelte missbilligend den Kopf:

      „Mir scheint, es ist nicht der Augenblick, um Witze zu reissen ... da kämpft ein Mensch um sein Leben und um seine Ehre. Ich wünschte, ich könnte etwas für Paulus van Geldern tun. Mir scheint, der arme Junge hat eine schlechte Karte in der Hand ... er wird das Spiel hinwerfen müssen!“

      „Seht ihr, das sage ich auch!“ Hortense Bernhardi fuchtelte mit ihren weissen Kinderarmen in der Luft. „Und es ist ihm ganz recht! ... Meine arme Martha!“ Das süsse Gesichtchen schluchzte plötzlich laut auf.

      Plötzlich kamen zwei ganz in Weiss gekleidete Frauen, einander sehr ähnlich, weshalb man sie auch „die Zwillinge“ getauft hatte, mit allen Gesten einer grossen schrecklichen Neuigkeit herüber, und sofort verbreitete sich die Kunde, die schon durch die geschlossenen Türen des Schwurgerichtssaales gedrungen war: wie und unter was für grausigen Umständen Martha Streckaus ermordet wurde. Sie steckten alle die Köpfe zusammen, wisperten.

      „Ja“, flüsterte die eine der beiden duftig hellen „Zwillinge“, „auf dem rechten Arm hat sie gelegen mit dem Gesicht ...“

      Sie sprach französisch weiter ... Leise Schreie ertönten, als sei die Schlussnote eines grellen, herzzerreissenden Musikstücks aufgeklungen und schwinge zitternd im Raum. Aus der Höhe der Riesenfenster goss die Sonne einen Schwall von Licht in das Stiegenhaus. Da war es, als trüge jedes Sonnenstäubchen diese entsetzliche Mär von dem Mord, den der Gatte an seiner eigenen Frau verübt haben sollte.

      3

      Der Justizwachtmeister hatte die grosse Pforte des Schwurgerichtssaales zum Korridor hin ebenso wie die hohen Fenster weit geöffnet. Der Tag war heiss, und im Saal hatte die Luft, schon jetzt um zwölf Uhr, wie ein Bleimantel auf den Menschen gelegen.

      Die Öffentlichkeit wurde wiederhergestellt. Die Zeugen, die noch nicht aufgerufen waren und den Saal vorläufig nicht betreten durften, drängten zu der aus der Tür fallenden Helligkeit. Zuhörer kamen durch den Hintereingang, man hörte Scharren, Räuspern und Husten. Die Damen und Kavaliere auf der Galerie erschienen, und der Vorsitzende verkündete:

      „Die Vernehmung geht weiter ... Angeklagter! Was können Sie uns über den Schmuck, den Ihre Frau in so reichem Masse besessen zu haben scheint, was können Sie uns darüber angeben?“

      Es war, als wehe von irgendwoher aus dem Unbekannten und Unsichtbaren etwas an den Rechtsanwalt Paulus van Geldern heran. Seine Sicherheit und Festigkeit schien ins Schwanken zu kommen. Er dachte nach. Er besann sich, und als ihn der Landgerichtsdirektor wiederholt und weniger freundlich aufforderte, sich zu diesem Punkt zu äussern, meinte er sichtlich verlegen:

      „Ich weiss nicht, ob ich Sie richtig verstehe, Herr Vorsitzender ...?“

      „Ja, Sie verstehen mich schon richtig, Angeklagter! Aber hier ist die Ecke, um die Sie nicht herumkommen!“ Der starke, dicke Finger schlug wiederholt auf den Aktendeckel: „Machen Sie keine Ausflüchte, sagen Sie frei heraus, dass Sie diesen Schmuck an sich genommen und verkauft haben!“

      Es dauerte immer noch Sekunden, bis van Geldern sprach. Aber man sah jetzt an seinem kampfentschlossenen Gesicht, dass er nicht mehr unsicher war. Er überlegte nur. Dann sagte er ruhig und bestimmt:

      „Ich habe nichts zu verbergen, und ich werde nichts verheimlichen. Vergleichen Sie bitte die Protokolle, wie sie in meinen Verhören mit Kommissar Dammann zustande gekommen sind. Ich habe niemals etwas anderes gesagt als das, was ich jetzt sagen werde ...“

      „Etwas viel Vorrede!“ brummte Hallmann. Aber die Worte erreichten van Gelderns Ohr kaum.

      „Ja, meine Frau besass viel Schmuck. Sie hat stets eine grosse Vorliebe für Brillanten und Edelsteine, besonders auch für Perlen gehabt. Und bei der Eigenart ihres Geschäfts ist sie wohl häufig in die Lage gekommen, statt Zahlung Schmuckgegenstände annehmen zu müssen. Daher stand sie mit verschiedenen Juwelieren — zwei der Herren sind ja als Zeugen geladen! — mit denen stand meine Frau in dauernden Geschäftsbeziehungen. Wieviel Schmuck sie gehabt hat, wie die einzelnen Stücke aussahen, das kann ich nicht sagen. Ich selbst habe nur eins, und zwar ein Perlenhalsband, in Händen gehabt. Und das habe ich“, der Angeklagte erhob seine Stimme und sein Gesicht zu den Gesichtern, „nicht nur mit Wissen, sondern in ausdrücklichem Einvernehmen mit ihr verkauft!“

      Der Landgerichtsdirektor nickte langsam und träge mit seinem grossen blanken Schädel, dass der blonde Bart sich an dem schwarzen Samtaufschlag der Robe rieb:

      „Natürlich, Angeklagter, wie werden Sie denn auch ohne den Willen Ihrer Frau ein so auffallendes Wertstück verkauft haben, wo sie jedenfalls sehr gut auf ihre Sachen aufgepasst hat! Aber die anderen Stücke, die — darüber kann uns die Direktrice Schneider volle Auskunft geben — die bestimmt am Morgen des Mordtages noch vorhanden waren, was ist damit geschehen?“

      Und ehe van Geldern noch antworten konnte:

      „Ich habe hier“, er klopfte auf das Papier, „eine genaue Liste. Danach sind geraubt: ein paar Boutons in ungefährem Wert von siebzehntausend Mark, ein Diadem über fünfzigtausend Mark, zwei Schmucknadeln mit grossen Smaragden, minimal achttausend Mark, vier Perlenringe, die der Sachverständige zusammen mit zehntausend Mark bewertet —, wir wissen beinahe bei all den Sachen, wo sie her sind und was sie gekostet haben —, dann sind noch eine Agraffe, mehrere goldene Ketten und eine Uhr in Goldemail mit Diamanten —, wo sind diese Gegenstände?“

      Der Angeklagte sah seinen Richter ernst und lange an:

      „Das weiss ich nicht, Herr Vorsitzender! Ich habe diese Dinge kaum bei einer anderen Gelegenheit gesehen, als wenn meine Frau etwas davon trug. Ich habe mich auch nicht dafür interessiert, und ich habe auch nicht die leiseste Ahnung, wo der Schmuck nach dem Tode meiner Frau hingekommen ist.“

      „Aber das wissen Sie, dass Sie die Perlenkette, die Ihnen Frau Streckaus zum Verkauf übergeben hat, nicht verkauft, sondern Ihrer Geliebten geschenkt haben?“

      „Ich habe keine Geliebte, Herr Vorsitzender! Ich bin verlobt mit Fräulein Heerström. Ich hatte vor, das Perlenband zu verkaufen. Nun war ich damals durch ein hohes, sehr hohes Vertragshonorar und durch Spielgewinne in der Lage, die Perlen


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