Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman. Maria Helleberg

Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman - Maria Helleberg


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sein mußte.

      Gunnar ging zu seinem Vater, um sich Klarheit über die Herzensangelegenheit zu verschaffen, auf die er sich eingelassen hatte. Keiner der Betroffenen war volljährig – Erik Månsson sechzehn, Gunhild vierzehn, Gunnar selbst knapp fünfzehn. Aber soweit er verstehen konnte, war sein Vater über seine Wahl entzückt. Gunilla war eine weitaus bessere Partie, als er durch Verhandlungen hätte erreichen können. Sten kannte ihren Vater, wenn auch nicht gerade von der besten Seite: Torsten Ödesson war ein versoffener Bauernschinder. Und der alte Algot holte das Västgöta-Gesetz hervor und erklärte bereitwillig die Regeln für die Auflösung einer Verlobung, die für sie gegolten hätten, wenn sie in diesem Landesteil gewohnt hätten.

      Wünschte eine junge Frau sich nicht an das Wort zu halten, das andere für sie gegeben hatten, dann konnte sie sich an den Bischof des Stiftes wenden und darum bitten, daß die Abmachung durch seine Vermittlung aufgehoben wurde. Aber in diesem Fall müßten sie den Erzbischof in Uppsala aufsuchen, und der hatte, milde ausgedrückt, kein besonders gutes Verhältnis zu Stens Familie, schon gar nicht nach der Mordgeschichte und dem Verbannungsurteil. Der Bischof in Strängnäs befand sich mit Gunillas Vater in einem Güterstreit, er war also ebenfalls nicht zu gebrauchen.

      Aber es zeigte sich eine Art Ausweg. Gunnars Pflegemutter kannte den neuen Bischof in Linköping – zwar hatte der Östgöta-Bischof kein formales Recht, in die Sache einzugreifen, aber er konnte einen Rat geben.

      So kam es, daß sich alle Beteiligten in der großen bischöflichen Residenz in Linköping trafen: Es war das gepflegteste Haus, das Gunnar je gesehen hatte. Man war gerade dabei, die Fenster zu putzen und die weißen Fugen zwischen den roten Steinen freizukratzen, die Herbstsonne schien funkelnd, es war der schönste Tag seit Menschengedenken.

      Er hatte Gunilla als klein, schwach und zart in Erinnerung, ein Schmetterling mit dünnen Flügeln; aber diesmal hinterließ sie einen anderen Eindruck auf ihn: So klein wie sie war, strahlte sie Stärke aus. Schon ihr zähes Schweigen flößte ihm Mut ein. Er hatte noch nie eine derartige verschlossene, innere Ruhe erlebt.

      Sie trug dasselbe milchfarbene Seidenkleid wie zum Fest auf Kalmarhus. Als sie ihm entgegeneilte, mit so schnellen Schritten, daß sich der graue Mantel vorn teilte und sein Blick auf den hellen Stoff fiel, da hatte er gedacht, daß sie bestimmt gerade dieses Kleid angezogen hatte, um ihn an ihr einziges Treffen zu erinnern. Es stand ihr, aber es war viel zu klein, war zu kurz über den Knöcheln und spannte sich an den Hüften, und sie hatte den Saum niedergetreten und versucht, ihn mit langen, ungeschickten Stichen zu heften. In der einen Achselhöhle war der Stoff fast zerschlissen, und sie hatte versucht, die Seide mit einem andersfarbigen Faden zusammenzusticheln.

      Die milchige Farbe ließ Gunhild in dem gnadenlosen Tageslicht noch farbloser und daher um so lieblicher wirken: Er hatte sich nicht geirrt, als er sich in dieses Mädchen verliebt hatte.

      Die Geschäftigkeit in der großen Bischofsresidenz war fast zuviel gewesen. All die lärmenden, gehetzten Menschen, die in alle Richtungen strömten. Er wagte nicht zu glauben, daß die, die sich normalerweise damit beschäftigten, das Land zu regieren, sich seiner Bitte um Hilfe angemessen widmen würden.

      Wenn er lauschte, konnte er das Domkapitel singen hören: es mußte die None sein. Der Ton der kräftigen, dunklen Männerstimmen hatte ihn schon ergriffen, als sie sich der bischöflichen Residenz näherten – er klang in ihm nach, als berühre man zufällig die Saiten einer Laute. Sein Gemüt war voller Zärtlichkeit, alles in ihm war hell, weit und von Dankbarkeit geprägt.

      Sie warteten in der gewölbten Vorhalle, gegenüber von einigen langen gemalten Friesen, die die Flucht nach Ägypten darstellten und den erbärmlichen, aber frommen Tod des heiligen Erik. Die Steine des geklinkerten Fußbodens waren in Mustern verlegt und glasiert und glänzten ihm entgegen, buschige Löwen und stolze Adler, grün und golden. Die Sporen klirrten bei jedem Schritt auf dem edlen Boden. Gunnar hatte Angst, die Fliesen zu zerkratzen oder sonstwie durch Gedankenlosigkeit diesem Ort einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen. Die Schwertspitze schleifte leicht über den Boden, weil die Waffe für einen Mann von der Größe seines Vaters geschmiedet war: Er mußte sie ein wenig anheben. Inzwischen schwitzte er so stark, daß die feine Kleidung unter den Armen und über der Brust durchnäßt war. Das kleine Silberkreuz, das der Vater ihm gegeben hatte, mußte sich in den Brusthaaren verfangen haben, es zwickte in der feuchten Haut.

      Drüben, am Schreibpult am Fenster, das einen Spaltbreit geöffnet war, kramte einer der Schreiber in einem Haufen abgegriffener Schriftstücke, öffnete einen Brief nach dem anderen und las sie mit spitzer, hängender Oberlippe. Sein nackter, glattgeschorener Scheitel glänzte, und ab und zu ließ er eine dürre Hand über die Tonsur gleiten.

      Die doppelte Eichentür wurde geöffnet, und Gunnar und Gunhild wurden in den Steinsaal gerufen: Der Bischof war von seinen Pflichten in der Kirche zurückgekehrt und wollte sich nun den Bittstellern und Audienzsuchenden widmen.

      Die Luft im Saal war kühl und etwas feucht, es roch nach Kalk, wie in einer frisch geweihten Kirche. Gunnar ertappte sich dabei, wie er neugierig an den Wänden nach den Weihekreuzen suchte.

      An der entgegengesetzten Seite des Saales befand sich ein offener Kamin. Doch man hatte kein Feuer entzündet. Verblichene Wandteppiche bedeckten die Wände, genau wie zu Hause auf Kalmarhus.

      Vier kleine, rundbogige Fenster befanden sich unregelmäßig verteilt an der Längswand mit geschlossenen Läden, so daß nur das obere Drittel Licht hereinließ. Aber die Scheiben waren aus richtigem Glas, so daß die Sonne silberhell auf den Bischof schien, schräg und stark, wie auf den Allmächtigen persönlich.

      Vor seinem Stuhl lag ein gewaltiger Teppich, rot, schwarz und golden. Gunnar hatte noch nie zuvor einen Teppich auf dem Fußboden gesehen. Und dies war zudem ein heidnischer Teppich, solch einen hatte der Kanzler, das hatte er selbst gesehen, an seine Wände gehängt, dort, wo Teppiche nach Gottes Gebot hingehörten. Eine entsetzliche Verschwendungssucht – mit schmutzigen Schuhen auf einen Teppich zu treten!

      Die Leute, die hier saubermachten, hatten rechts vom Eingang Wischlappen und Eimer vergessen – das sah auf dem prachtvollen Fußboden merkwürdig irdisch und nüchtern aus.

      Die beiden jungen Menschen gingen Hand in Hand quer über den glatten Boden: Gunnar klammerte sich mit einer Hand an den Schwertgriff, um nicht zu stolpern. Ausgerechnet jetzt spürte er mächtigen Harndrang. Er strengte sich an, den Gedanken daran zu verdrängen. Gunhild drückte leicht seine Hand, dann knieten sie vor dem Stuhl nieder. Vor Angst, sich zu blamieren, waren seine Knie so steif, daß er sich mit gestreckten Fingern am Boden abstützen mußte.

      Der Bischof hatte seine beiden großen Füße in den Blutsee des persischen Teppichs gepflanzt. Er trug weiße, dünne Handschuhe; der Handschuh an der linken Hand war kreuzförmig aufgeschlitzt, dort funkelte ein großer Ring mit blauem Stein. Als der Bischof die Hand umdrehte, sah Gunnar, daß die Handschuhe bestickt waren, die roten Rauten auf dem Handrücken sollten die Wundmale Christi darstellen.

      Das ist Macht, dachte Gunnar – Macht über Leben und Tod in einem gewöhnlichen, sterblichen Menschen konzentriert. Er war immer noch dabei, die Handschuhe und deren Symbolkraft zu bewundern, als der Bischof ihm seine Hand entgegenstreckte: Er küßte den blauen Stein und sah, daß Gunhild es ihm gleich tat, wenn auch mit größerer Anmut.

      Die kniende Stellung minderte den Druck der Blase ein wenig. Aber bald mußte er sich erheben – das Bein, auf das er sich stützte, war fast gefühllos. In Knie und Wade spürte er ein Ziehen. So würde es bestimmt enden, in Schande und Lächerlichkeit.

      Der Schreiber, der Gunnars Stiefeltern geholfen hatte, ihre Besitzverhältnisse zu ordnen, hatte es übernommen, den Bischof mit seiner Sache vertraut zu machen. Gunnar war ihm für seinen Einsatz zutiefst dankbar, mochte es jedoch nicht, daß der Blick des Bischofs auf ihm ruhte. Im Dom, hinter dem Laiengitter, das den Chor abtrennte, war der Bischof seines Menschseins enthoben. In der steifen Kleidung, die die Linien des Körpers verhüllte, blitzend von Juwelen und Perlen, einer anderen und besseren Welt angehörend, zu Gottes Ehren singend oder den Kelch über sich erhebend, wenn Wein in Blut verwandelt wurde.

      Hier aber wirkte der


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