Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman. Maria Helleberg
Mensch, der genauso einsam wirkte, wie er sich fühlte, war ein junges Mädchen. Sie saß auf einer Bank an der Schmalseite des kleinen Steinhauses. Im Schein des Feuers fand er, daß sie Erik ähnelte. Blaß, blond und schmächtig, die weißen Hände fromm im Schoß über Kreuz gelegt. Jedesmal, wenn sich ein Mann an sie wandte, schüttelte sie abweisend den Kopf.
Er nahm allen Mut zusammen, ging zu ihr hinüber und bat sie um einen Tanz – ohne darüber nachzudenken, was ihn trieb. Als die anderen Männer sie darum gebeten hatten, da hatte sie immer verschämt auf ihre Hände niedergeblickt, mit steifem Hals, als ob man sie quälte. Nun aber richtete sie sich auf und sah zu ihm hoch, und es war die Überraschung seines Lebens. Als er Erik getroffen hatte, war es ihm vorgekommen, als sei er das merkwürdigste Geschöpf unter der Sonne. Aber dieses Mädchen war noch eigenartiger. Die Augen hatten dieselbe Farbe wie dunkler Bernstein, Haar und Haut erinnerten an frische lauwarme Milch, ganz ohne Schrammen, Fältchen und irgendwelche Fehler. Das Haar war am Ansatz dunkler, und unter den hohen schrägen Wangenknochen zeigten sich Schatten. Wie Erik schien auch sie nur ein halbwegs irdisches Wesen zu sein – der Hals war viel zu lang und gebogen, dünn und mit Flaum bedeckt. Sie wirkte frisch und unerfahren, auf jede Weise unberührt, wie Laubbäume in der ersten Woche nach dem Ausschlagen.
Während des Tanzes konnte er nicht auf das Lied achten, wagte nicht, den Blick von ihr zu wenden, aber er war immer noch einsam. Sie sang nicht mit, auf dem kleinen Gesicht ruhte unverändert der verschlossene Ernst, als denke sie über etwas nach, das weitaus interessanter war als das Lied. Es konnte nicht gesund sein, so viel zu grübeln. Aber sie ähnelten einander.
Heute hatte er seinen einzigen Freund verloren, daher war Gunnar so niedergeschlagen, daß sogar dieses schweigsame Elfenmädchen mit den Bernsteinaugen und dem milchblonden Haar neben ihm fröhlich wirkte.
Ihr Haar war aus der Stirn gekämmt und wurde von einem schmalen Seidenband gehalten. Ein kleines Schmuckstück blinkte mitten auf der hohen, schmalen Stirn: die Jungfrau Maria mit dem Kind. Er strich mit den Fingerspitzen über das Band und blickte zu ihr hinunter: Während des Tanzes war ein bißchen Farbe auf ihre Wangen und Leben in ihr Gesicht gekommen. Etwas wie ein Lächeln huschte über ihre Augen, während sie ihn betrachtete.
Sie standen allein draußen in der kühlen Luft, und er schnupperte an ihrem Haar. Er war klein von Statur, und sie noch einen ganzen Kopf kleiner – eines der kleinsten, aber vollkommensten Wesen, denen er je begegnet war. Und sie hieß Gunhild.
– Mein Vater nennt mich Gunilla, fügte sie hinzu, – das paßt besser, weil ich so klein bin. Und wie heißt du?
– Fast genauso, antwortete er mit einem Schulterzucken, erschrocken über das Gefühl der Sicherheit, das von der Jungfrau Maria und ihren Augen herrührte und ihn durchströmte, – ich heiße Gunnar. Und du bist süß.
Diese Bemerkung brachte sie zum Lachen, ein kleines, lustiges Glucksen, tief unten in ihrer Kehle. Aber ihr Mund blieb geschlossen. Das gab ihm Mut, seinen Arm um ihren Rücken zu legen, und sie gingen miteinander, in seliger Ruhe. Wenn sie es verlangte, könnte er von Kalmar bis Stockholm gehen und wieder zurück, barfuß und mit verbundenen Augen.
An der Treppe zu dem Haus, in dem sie schlief, blieb sie stehen, wandte sich ihm entschlossen zu, die Hände verschränkt vor sich. Er könne gern mitkommen, erklärte sie; auf Treu und Glauben oder auf der Decke liegen, das taten alle anderen auch, dabei konnte nichts passieren.
– Was ist, wenn dein Bräutigam kommt – ich glaube nicht, daß er entzückt wäre, mich dort oben zu finden, sagte er. Mit ihrer Zutraulichkeit hatte sie ihn über den Schrecken des Zerwürfnisses mit Erik hinweggetröstet. Er wollte den Abend nicht durch einen neuen, unvorbereiteten Streit verderben. Aber Gunilla lachte und schüttelte den Kopf, so daß ihr das Haar um das spitze Kinn flog. Diesmal konnte er ihre kleinen, weißen Mausezähne sehen.
– Er hat am liebsten nichts mit mir zu tun, sagte sie, als berührte sie das nicht im geringsten, – was das auch immer für ein Unmensch sein mußte, der nicht bereit war, alles auf der Welt dafür zu geben, um mit ihr zusammenzusein!
– Dann muß er blind und taub und lahm sein, stieß er hervor, und er meinte es – griff nach ihren Händen, erfaßte die dünnen Ellbogen und strich über den milchfarbenen Stoff der Ärmel. Sie blieb stehen, still und in sich gekehrt, bis seine Hände ihren Nacken erreichten.
In dem Augenblick sah sie zu ihm auf, und er küßte sie – bevor er überhaupt beschlossen hatte, daß es genau das war, was er wollte.
Ihr Gesicht wandte sich zu ihm empor, wie eine Blume nach dem Licht, und sie öffnete den Mund, als wolle sie schreien; aber sie hatte keine Angst.
Es war das erste Mal, daß er sich in dieser schweren Kunst versuchte, aber es war leichter, als er befürchtet hatte, fast selbstverständlich. Ihr Zunge glitt zwischen seine Zähne, warm und ein bißchen erschrocken über ihren eigenen Mut, spielte gegen seinen Gaumen und zog sich zurück, wie eine Maus in ihr sicheres Loch.
Als er sie losließ und sie sich an ihn lehnte, konnte ihn nichts Böses mehr berühren. So etwas war noch nie zuvor geschehen. Darauf hätte er schwören können.
– Tu es noch einmal! bat sie.
Als er sie das nächste Mal losließ, breitete sie die Arme aus und lachte, und einen Moment lang dachte er, sie hätte Flügel unter dem Umhang und würde in Vogelgestalt hochflattern.
Sie stiegen zusammen auf den Dachboden und legten sich aufs Bett, und Gunhild schlief ein, während sie noch miteinander flüsterten. Er brachte es nicht über sich, sie zu wecken, auch wenn er ihre Stimme vermißte. Sie schlief geräuschlos, und er lag wach, verwirrt und glücklich, und hielt sie leicht fest, ihr Gesicht in seiner Achselhöhle. Einzelne Strähnen ihres Haars waren über sein Gesicht gebreitet; er wollte sie nicht wegstreichen, auch wenn es in der Nase kitzelte.
Es gab kein größeres Vergnügen auf der Welt als dieses, davon war er überzeugt. Schon der Laut ihrer schwachen Atemzüge war unbegreiflich. Sein Herz flatterte wie ein Schmetterling in einem dunklen Haus, wenn er nur an ihre Bernsteinaugen dachte.
Früh am Morgen erwachte sie, noch vor Tagesanbruch – drehte sich mit einer heftigen Bewegung auf den Bauch und streckte sich, gähnte und prustete und rieb sich die Augen. Es war unverkennbar, daß sie gewohnt war, allein zu schlafen. Als sie ihn erblickte, setzte sie sich erschreckt auf – er hätte nicht geglaubt, daß ihr Gesicht je Farbe annehmen würde, aber sogar im schwachen Licht der Öllampe konnte er sehen, daß sie errötete, und das stand ihr ausgezeichnet.
Sie küßten sich und begannen eine Art Gespräch: Er mußte wissen, wer sie war, woher sie kam. Und sie schloß ihre kleinen Hände um die Knie und erklärte alles, als habe sie sich die ganze Nacht, auch im Schlaf, darauf vorbereitet, seine Fragen zu beantworten.
Ihr Vater hieß Torsten Ödesson, hatte einen Adlerfang in seinem Wappen, wohnte meistens in Sörmland – ihre Mutter lebte nicht mehr, und Gunhild hatte keine Geschwister, der Vater hatte sich nie wieder verheiratet.
Das klang wirklich gut, fand er: Sie war nicht die jüngste von dreizehn Töchtern, auf der Suche nach einem reichen Freier, sie war kein Hurenkind, hatte sich nie für ihre Herkunft schämen müssen. Ihr Vater mußte sie über alles auf der Welt lieben. So ein Vater würde sich nicht ihrem Wunsch widersetzen. Und der Bräutigam, der nicht einmal mit ihr tanzen wollte.
Seine Pflegeeltern würden stolz sein, wenn sie hörten, wen er erobert hatte: eine reiche Braut, die so hübsch war, daß ihm fast das Herz in der Brust schmolz, wenn er sie nur ansah.
Aber da gab es noch jemanden, den Bräutigam Gunhilds. Das mußte der Sohn eines mächtigen Mannes sein, wenn er für Torsten Ödessons einzige Tochter gut genug war. Gunnar wußte sich nicht anders zu helfen, als sie zu fragen; aber er sah, daß sie erbleichte, sich in sich selbst zurückzog, wie sie es am Vorabend beim Tanzen getan hatte. Es arbeitete in ihrem Gesicht, als würden die Worte im Mund quellen und die Lippen versuchen, sie zurückzuhalten.
Er brauchte sie nicht anzusehen, als sie den Blick auf ihn richtete, hilflos und erleichtert: Er hatte den Zusammenhang erraten. Natürlich: Solche