Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman. Maria Helleberg

Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman - Maria Helleberg


Скачать книгу
und Winterumhang, Stiefel und Schmuck. Dabei stieß er auf einen Gürtel, der über dem Panzerhemd hing. Der Gürtel gehörte Gunnar, also wurde er runtergerissen, zusammengerollt und seinem Eigentümer in die Arme geworfen.

      Das, was seiner Meinung nach ihm gehörte, bündelte Erik zusammen, verknotete die vier Ecken der Decke und schleppte die Last zur Bodenluke. Erst als Erik sein Schwert holte und es an dem Gürtel, den er unter dem Rock trug, festspannte, wagte Gunnar, ihn anzusprechen.

      – Reist du jetzt heim? fragte er mit schwacher Stimme, denn so sah es unstreitig aus; aber das war leichter gesagt als getan. Erik hatte dem Königskind Treue geschworen und mußte erst um Urlaub ersuchen, das wußte er.

      – Entweder suchst du dir einen anderen Platz zum Wohnen, erwiderte Erik außer Atem, ohne sich auch nur umzuwenden, – oder ich gehe freiwillig, es gibt genug Orte unten in der Stadt, wo man eine Herberge findet.

      Gunnar begriff nicht, was um ihn herum geschah. Zu irgendeinem Zeitpunkt mußte ihm etwas Entscheidendes entgangen sein, das alle anderen bemerkt hatten.

      – Du darfst es nicht so schwernehmen, sagte er schließlich, so behutsam, als spiele er Ball mit einem Hühnerei, – es ist doch nur ein Spiel. Das weißt du doch selbst am besten, es war reiner Zufall – das Pferd kannst du jederzeit wiederhaben!

      Erik lachte leicht in sich hinein, mit dem Rücken zu ihm; aber es klang nicht so, als belustige es ihn – dann breitete er resigniert die Arme aus und ließ die Handflächen auf die Schenkel klatschen.

      – Wenn du glaubst, es ist wegen des Pferdes – dann glaub es nur weiter! sagte Erik, aber die Stimme klang nicht so scharf und sicher wie zuvor. Gunnar fühlte sich seltsam zumute, gejagt, ohne den Jäger zu erkennen, er wagte nicht, weiter einzudringen, wollte ihn nicht kränken: wenn man es genau nahm, war Erik der einzige Freund, den er je gehabt hatte.

      – Wir sind Freunde, sagte er, – du bist der einzige, den ich mag. Wir können uns doch nicht so trennen!

      – Freunde! wiederholte Erik, zögerte einen Augenblick, drehte sich mit einem Ruck um und starrte ihn an, mit demselben nackten, untertänigen Tierblick, den er gehabt hatte, als er sein Pferd übergab.

      – Freunde, sagst du – Gott helfe uns, du weißt nicht einmal, was du da sagst! Freunde!

      Gunnar begriff immer noch nicht im geringsten, was Erik meinen konnte. Etwas Böses war zwischen sie getreten, ohne daß er es bemerkt hatte; etwas Unbegreifliches und Namenloses. Er wußte sich nicht anders zu helfen, als stehenzubleiben und Eriks Blick zu erwidern – irgendwann mußte er doch eine Erklärung bekommen.

      – Es gibt vieles, was du nicht weißt, sagte Erik und wandte den Blick ab, biß sich auf die Lippen, – aber so dumm kannst du doch nicht sein. Du müßtest es doch am besten wissen.

      Am besten was wissen, schrie es in ihm, in banger Neugier – das Wissen, das er um jeden Preis erwerben wollte, konnte häßlich sein. Es verkrampfte sich in ihm, ein bisher unbemerktes inneres Organ zog sich in zitternder Angst zusammen und sandte Kältestrahlen durch seinen Körper, klopfte bis in die Fingerspitzen, setzte sich wie ein erstickender Kloß in der Kehle fest.

      – Du weißt ja nicht mal, was du tust! sagte Erik: er klang, als wolle er sich selbst eine Lektion einprägen, die er nicht mochte. Haben sie nie mit dir gesprochen, nachdem deine Eltern gestorben waren? Du mußt doch wissen, wie schwer es ist, voranzukommen, wenn man nicht so ist wie alle anderen – du, ein Hurenkind.

      Gunnar blinzelte mit den Augen, als habe jemand eine Faust an seinem Gesicht vorbeisausen lassen: der erste Hinweis, den Erik gegeben hatte, machte alles doppelt kompliziert. Hurenkind – wenn es etwas in dieser Welt gab, das er nicht war, dann mußte es ein Hurenkind sein. Seine Eltern waren mehrere Jahre verheiratet gewesen, als sie ihn bekamen; er hatte eine ältere Schwester, Gudrid, im Vårfrubergakloster. Zwar hatten seine Eltern einander verabscheut und von Herzen geschadet, aber verheiratet waren sie unstreitig gewesen. Hurenkinder – das waren Kinder, die verheiratete Männer mit andern als ihren Ehefrauen bekamen. Wie der kleine Sohn, den das Melkmädchen Jorunn letzte Woche bekommen hatte und zu dem sich der Küchenmeister bekannte.

      – Was meinst du? Gunnar stammelte, mußte husten, um die Worte herauszubekommen. Eriks große, bernsteinfarbene Augen suchten die seinigen, und ein schwaches Erröten breitete sich über das schmale, bleiche Gesicht. Er strich sich mit einer Hand über Augen und Nase, und die Hand zitterte.

      – Das wissen doch alle! sagte Erik kurz.

      – Ich nicht. Ich nicht, antwortete Gunnar.

      – Haben sie nie mit dir gesprochen? fragte Erik. Seine Stimme verriet tiefes und ehrliches Erstaunen.

      – Wir haben es sogar drüben bei den Brüdern in Alvastra gehört, erklärte er und hielt Gunnars Blick stand. Während er fortfuhr, mit ruhiger Stimme und ohne drum herum zu reden, – der Mann, den du Pflegevater nennst, ist dein Vater. Deine Pflegemutter ist nicht viel besser als deine Mutter. Dein Pflegevater tötete ihren Mann, deinen Onkel – um sie heiraten zu können – und er bezahlte einen anderen dafür, daß er die Schuld auf sich nahm. Herrgott, du warst doch zwei Jahre mit ihnen in Norwegen, in der Verbannung, du mußt doch wissen, warum sie gezwungen waren, das Land zu verlassen! Dein Pflegevater wurde geächtet, weil ihm nicht erlaubt wurde, für den Mord Bußgeld zu zahlen!

      Aber so war das nicht, dachte Gunnar. Es war gut möglich, daß es für Außenstehende so aussehen konnte; aber niemals für ihn. Nicht aus der Nähe. Erik konnte das nicht sagen: daß seine Eltern einander liebten und daß ein wenig von der Wärme, die zwischen ihnen strömte, ihm zum ersten Mal Leben und Mut gegeben hatte. Jofrid, seine Pflegemutter, die sich seiner angenommen hatte, als er zehn war, und als seine Mutter im Kindbett gestorben war. Sten, sein Pflegevater, der ihn immer freundlich behandelt hatte, immer so, als sei er ein Mensch.

      Es stimmte auch nicht, daß er nichts wußte über ihre Vorgeschichte. Er hatte davon gehört – Bruchstücke aus Gesprächen, Gerüchte und aus dem Zusammenhang gerissene Bemerkungen. Aber er hatte sich nie gefragt, inwieweit die Vergangenheit sein Leben lenkte.

      Es stimmte Gunnar nicht versöhnlicher, daß er es nun wußte. Eine Kluft tat sich zwischen ihm und Erik auf, dieses Wissen, das alle außer ihm zu haben schienen. Der Schlüssel zum Verständnis dessen, wer und was er war.

      – Aber warum können wir nicht mehr zusammensein? fragte er zu Erik gewandt, der sich auf die Schlafpritsche gesetzt hatte, mit dem Rücken zu ihm, krumm und gebeugt. Aber er erhielt keine Antwort; eigentlich hatte er heute abend auch genug zu hören bekommen. Also tappte er die Leiter hinunter und hinaus in die Kälte, ohne Mantel, und ohne richtig zur Besinnung zu kommen.

      Ein Schauer überlief ihn, als er spürte, wie der Wind durch die Kleidung fuhr. Nun war er wieder allein, viel einsamer als vorher – und er begriff nicht, warum.

      Habe es gewußt, gewußt, gewußt, hallte es wie ein Echo in ihm. Aber vor ihm sollte es also verborgen werden. Und es mußte auch dieses Wissen sein, was ihn von Erik getrennt hatte, einen anderen Grund konnte er beim besten Willen nicht finden.

      Es gab keinen Ort, an den er flüchten konnte, keinen Ort, wo er allein sein konnte, niemanden, mit dem er reden konnte. Alle anderen tanzten. Auf der grasbewachsenen Anhöhe vor der Burg war ein Feuer entzündet worden. Noch am gestrigen Abend hatte er sich auf den Tanz gefreut, Fremde würden dabei sein, all die anderen jungen Männer hatten Bräute, sogar Erik.

      Der Mißmut schloß sich um ihn, wie naßkalte, dunkle Erde um einen Geist, der zum Grab zurückkehrt, nachdem er seine Geliebte besucht hat. Das war das Lied, das sie im Kreis grölten, ohne auf die Worte zu achten. Nun mußte er wohl zu den anderen hinuntergehen, sonst würden sie nach ihm suchen und Erik finden, und wer wußte schon, welche Teufeleien sich ergeben konnten?

      Nils gab ihm einen großen Becher in die Hand, und er trank gehorsam von dem starken Bier. Versuchte sich dazu zu überreden, zu Erik zurückzugehen – so unheilbar konnte ihre Freundschaft nicht zerstört sein. Die Männer und Frauen hier waren betrunken und roh, tanzten und amüsierten


Скачать книгу