Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman. Maria Helleberg
noch um eine junge Frau streiten.
Jofrid war der glücklichen Überzeugung gewesen, daß sich alle Knoten lösen würden, wenn sie nach Jahren der Verbannung und Armut in Norwegen wieder nach Schweden zurückkehren könnten. Aber so einfach war das nicht. Die Schuld war alt geworden und an den Rändern ergraut, sie fand, sie hätten genug gesühnt. Schon als sie auf dem Pachthof wohnten, war es ihr schwergefallen, sich genau vorzustellen, wie ihre Heimkehr aussehen würde – eigentlich hatte sie wohl gedacht, daß Ehre, Erbe und Name ohne Belang wären, wenn sie nur nach Hause kommen könnten und ihnen das Recht gewährt würde, in Schweden zu wohnen. Sie waren ja trotz allem nicht die ersten, die so etwas getan hatten, verteidigte sie sich: viele andere hatten sich von Mord und Gesetzesbruch freikaufen können, wohnten glücklich und frei im Lande, führten ihre Höfe gut, und niemand wagte, auf ihre undurchsichtige Vergangenheit anzuspielen.
Jofrid konnte nicht einsehen, daß ihre Schuld so viel größer als die der anderen sein sollte. Ihr eigener Onkel Ingemar, der sich ihrem Freikauf widersetzt hatte, hatte seine Pächter wie Leibeigene behandelt, und trotz seiner großen Frömmigkeit hatte er bis zu seinem Todestag mit den Nonnen der Klöster Sko und Gudhem in Fehde gelegen. Jeden Tag wurden Menschen erschlagen, ohne daß die Morde bei den Treffen des Reichsrates verhandelt wurden. Ihr Mann war unbeabsichtigt getötet worden: Sie hatte sich an diesen Begriff geklammert, hatte Sten nie gefragt, wie der Mord an Ture vor sich gegangen war. Der Mord war Sten so teuer zu stehen gekommen, weil er auf Kirchengelände und dazu an einem Meßtag geschehen war. Überdies hatte Ingemar seine eigenen Gründe, Sten den Freikauf zu verweigern. Das mußte sie glauben. Über den Rest wollte sie nicht einmal nachdenken.
Aber schon in Norwegen hatte sie begriffen: Sie konnte nicht mehr beichten, bereuen und Buße tun, wie sie es gelernt hatte. Nie mehr würde sie die befreiende Wirkung der Absolution erfahren, ohne sich heimlich einen Rest von Zweifel zu bewahren. Wenn sie beichtete, daß Sten und sie zusammengelebt hatten, während sie noch verheiratet war, würde das eine Ehe unmöglich machen. So einfach war das. Keine Instanz, weder eine weltliche noch eine kirchliche, hatte sich in ihr Zusammenleben eingemischt. Niemand mengte sich in das mehr oder weniger offenkundige Kebsenleben der Leute ein. Wenn doch, dann müßte sich die Kirche sozusagen mit jeder Großgrundbesitzerfamilie anlegen. Jofrid hätte mit Sten bis zu ihrem Tode unverheiratet zusammenleben können, und ihre Kinder hätten niemals den Namen des Vaters getragen, ihn niemals beerben können. Früher oder später würde Sten von der Kirche mit dem Bann belegt werden, weil er mit einer Frau zusammenlebte, mit der er Hurerei begangen hatte. Es war unmöglich, mit allen Seiten Frieden zu schließen. Daher war das Leben für Jofrid eine lange beschwerliche Seereise bei steifem Gegenwind und zwischen unterseeischen Riffen hindurch.
Es war undenkbar, darüber mit Sten zu sprechen. Er nahm seinen Glauben leicht: eine Formsache, etwas, das man in sein Leben einbeziehen konnte, wenn es sich ergab, und das man sonst kaum eines Gedankens würdigte. Sten hatte sich derart daran gewöhnt, seine eigenen Lebensregeln aufzustellen, daß er kaum die Meinung anderer beachtete, wenn diese von der seinigen abwich. Es waren ganz andere Begriffe als Sünde, Reue, Sühne und Reinigung, die in seiner Seele Widerhall fanden: töten, huren und stehlen, das konnte er ebenso leicht wie mit den starken, braunen Fingern schnippen – ohne zu begreifen, daß er andere verletzte. Aber wenn jemand seine Ehre, die inzwischen für alle anderen außer ihm zu einem etwas lustigen Begriff geworden war, in Frage stellte, bäumte er sich wild auf.
Jofrid hatte Schwierigkeiten, Ordnung in ihre eigenen widersprüchlichen Gefühle zu bringen. Sie hatte alle seine Fehler gesehen, und diese hatten sie verletzt – aber sie liebte ihn immer noch, möglicherweise sogar noch heftiger und unbeherrschter nach all den Leiden, die sie einander zugefügt hatten. Es war ein verbreiterter Irrtum, daß Liebe etwas Schönes sein sollte: In Wahrheit machte sie den Menschen hilflos. Bei ihrer Rückkehr nach Schweden hatte sie geradezu gehofft, daß die Priester ihnen eine strenge Buße auferlegen würden, die in ihr Schmerz und Reue hervorzwingen könnten. Eine Pilgerreise zu Fuß nach Süden, unbezahlbare Bußgelder. Aber sie trafen nur auf Schulterzucken und Kühle. Wie hoch die Geldbuße war, hatte sie nie erfahren, Sten hatte die Sache in die Hand genommen, so etwas besprach er nicht mit seiner Frau.
Nur eines hatte man von ihnen verlangt: Sie sollten vor dem Bischof in Skara einen Kniefall machen. Aber nicht im Dom, nicht öffentlich. Sie begaben sich zur Bischofsburg Läckö und fasteten einen Tag lang, bevor sie zu dem hohen Herrn geführt wurden. Eine stumme, strenge Frau half ihr in einen Kittel und zog ihr Schuhe und Strümpfe aus. Schon bei den Vorbereitungen hatte sie gespürt, daß dies ein zutiefst unwürdiges Schauspiel war. Ein erzwungenes äußeres Zeichen für ihre Bußfertigkeit.
Trotz des beginnenden Frühjahrs draußen war der Steinsaal eiskalt. Die Feuchtigkeit und der Wind vom Vänern schlugen sich als Flecken an den Wänden nieder, die gemalten Friese wurden bereits schwach in den Farben. Geruch von modrigem Regenwasser und Fäulnis stieg wie aus offenen Gräbern hervor. Die Kälte biß in die Fußsohlen, als Jofrid die ersten Schritte auf den Lehmfliesen machte. In den Privaträumen des Bischofs waren die Fußböden beheizt, aber die großen, repräsentativen Räume waren unbeheizt.
Am äußeren Ende des Saales saßen zwei Bischöfe auf ihren hochlehnigen Stühlen. Sie wagte nicht, neugierig zu ihnen hinüberzublicken, das paßte schlecht zur vorgeschriebenen Ehrfurcht. Sie waren, trotz allem, reumütige Sünder, die wieder in Gnaden aufgenommen werden sollten. Aber als sie an der Seite ihres Mannes auf die Bischöfe zuging, erregte der eine ihre Aufmerksamkeit – als sie niederknieten, blickte sie kurz auf den nächstsitzenden – und stolperte fast in der engen Kleidung, deren rauher Stoff an Brust und Schultern auf der Haut kratzte.
Er hatte die Hände über dem Bauch gefaltet, die Ellbogen auf die Armlehnen gestützt, als beobachte er etwas zutiefst Belangloses. Niemand hatte seinen Namen erwähnt. Sie hatten erfahren, daß der Bischof aus Linköping auf Besuch war. Sie hätte ihn überall wiedererkannt, in jedweder Verkleidung. Obwohl seine Figur sich verändert hatte, seit er unangemeldet in ihr Leben getreten war – vor dreizehn Jahren.
Die mit einem leichten Flaum bedeckten hohen Wangenknochen waren unter Fett und Fleisch verschwunden. Trotz aller Armutsgebote lebte man gut in der Kirche. Und die Fettschicht hatte dem Gesicht die Strenge genommen, ihm einen weicheren Eindruck verliehen. Dieser Mann war weder ein Asket noch ein Fanatiker: Er war seiner vollkommen sicher, ohne Illusionen.
Die Welt verfährt merkwürdig mit ihren Kindern, dachte sie. Sie war erleichtert, daß sie mit gebeugtem Haupt niederknien konnte, so mußte sie ihn nicht ansehen. Das hatte die Welt also aus Herrn Örjan gemacht, dem Gemeindepriester aus Grytnäs. Der sich darüber beklagt hatte, daß er auf der Schattenseite des Lebens geboren war und daher nie zu seinem Recht kommen würde. Er war in Frankreich gewesen, hatte in Paris studiert, wie er einst gehofft hatte.
Mit diesem Mann hatte sie einen Sohn. Die Kälte fuhr ihr mit einem Schauer über den schmerzenden Rücken, ein hartes Ziehen, das die Enttäuschung in ihr hervorrief. In den Jahren, in denen sie ihre Kinder hatte missen müssen, waren sie ihr als ihre eigenen in Erinnerung gewesen. Ihr Mann war ja tot, und aus Herrn Örjan war Göran Gregori geworden, Bischof in Linköping, und der hatte seinen Sohn nie gesehen.
Er sagte kein Wort, bewegte sich kaum während der Zeremonie. Aber sie spürte seinen wissenden, vergnügten Blick wie einen Schatten, den die Schmach auf sie warf.
Unleugbar war der Mann, der ihren Freikauf verhindert hatte, tot. Und doch war es unendlich schwer, sich die Freiheit zu sichern.
– Das werden schwere Zeiten für deine Pachtbauern, sagte Stens Vater zu seinem Sohn, als sie zusammen das Grundbuch durchgingen, – wenn du auch in Zukunft das eintreiben mußt, was du für dich brauchst, müssen die Pachtabgaben kräftig erhöht werden, und das sind alte gewohnheitsrechtliche Vereinbarungen. Du wirst sehen, es ist leichter, ein milder Herr zu sein, wenn man reich ist, als wenn einem die Mittel fehlen!
Sten hatte mit den Achseln gezuckt und gelächelt, wie er es immer tat, wenn er auf neue Forderungen oder Beschränkungen stieß.
– Ich hab’ es nicht gern, wenn das, was ich angehäuft habe, in alle Winde verstreut wird, hatte sein Vater Algot eingewandt, – es ist nicht gut, wenn man das Leben