Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman. Maria Helleberg
auf dem Tier niederzulassen. Gunnar tat alles, um das Pferd ruhigzuhalten, aber es drückte das Hinterteil hart gegen die nächststehenden Tiere, schnaubte und schüttelte den großen Kopf, als versuche es, gleichzeitig Zaumzeug und Reiter loszuwerden.
Für Gunnar war es eine hoffnungslose Situation. All die anderen jungen Männer waren zu dem, was Erik Turnier nannte, erzogen und ausgebildet worden, zu diesem Spiel, das auf Wunsch des jungen Königs veranstaltet wurde, zum Entsetzen des Vormundschaftsrates. Er hatte sich nicht entziehen können, jetzt schon gar nicht, da er mit Erik zusammenwohnte. Aber anstatt zu versuchen, das Unmögliche wahrzumachen und sich noch die nötige Geschicklichkeit zu erwerben, hatte er sich auf Äußerlichkeiten konzentriert. Seine Ausrüstung war gut. Alle Beschläge glänzten; das Leder war gefettet, das Pferd in guter Verfassung. Auch wenn er bestimmt schon beim ersten Versuch abgeworfen wurde (vielleicht sogar schon, ehe er überhaupt die Kampfbahn erreichte), hatte er doch dieses bißchen Ehre sicher.
Am Tag zuvor hatte er zusammen mit Erik trainiert, war abgeworfen worden und hatte nach Luft gerungen. Nach dem Sturz war ihm, als seien alle seine Rippen schmerzlich verdreht und als würden sie nie mehr an ihren rechten Platz kommen. Eigentlich wäre er am liebsten liegengeblieben, bis er allein hätte aufstehen können; aber Erik eilte herbei, hob ihn in seine Arme, umarmte und küßte ihn und betastete seine Glieder, um zu sehen, ob er sich ernstlich verletzt hätte.
Welch ein Pech, dachte er, daß das Los ihm als Gegner Erik zugeführt hatte. Daran war nichts zu ändern. Er hoffte nur, daß er nach dem Kampf mit seinem Freund sein Leben wie gewohnt weiterleben konnte.
Es dauerte eine unendliche, nicht zu ertragende Ewigkeit, bis man ihn herbeiwinkte, und die Hände gehorchten ihm nicht einmal, als er den Topfhelm mit den zwei Haken am Halsstück des Lederkollers festmachen wollte. Er mußte es mehrmals versuchen, bis es schließlich gelang. Nils holte ihm den Speer: breit, mit stumpfer Spitze, so daß man seinen Gegner wirklich nur durch ein Unglück verletzen konnte. Erik nannte das Ding eine Lanze: das klang nach mehr als nach diesem Stück glatten Holzes mit Eisenbeschlägen und Handschutz.
Jetzt konnte er es nicht länger hinausschieben: Es gab keinen Ausweg.
Ohne genau zu wissen, wie, gelang es ihm, das halbwilde, schäumende Pferd zu bändigen, bevor es noch Hals über Kopf in die aufgestellten Bankreihen unter dem Zeltdach laufen konnte, wo es die frierenden Zuschauer über den Haufen geritten hätte. Der Helm war mit wattiertem Leder gefüttert, das nach Staub und Feuchtigkeit roch. Durch die beiden schmalen Sehschlitze konnte er einen kleinen, mageren Jungen erkennen, mit Flachshaaren, die ihm bis auf die Schultern reichten – in einem silbergewebten Rock und umhüllt von einem großen, pelzgefütterten Umhang. Gunnar versuchte nach besten, aber leider geringen Kräften, die Lanze zum Gruß an den König zu senken, so wie Ivan Loveridder, Tristan und Lancelot es in den Romanen taten, die er beim Kanzler gelesen hatte.
Der kleine König nickte, und sein Gesicht zeigte ein hilfloses, gehemmtes Lächeln.
Dann wagte er, das Pferd zu wenden und zur Markierung zu reiten. Vier Jungen sprangen herbei, um die aufgeregten Tiere zu halten, damit sie auf der jeweiligen Seite der Kampfbahn nicht verfrüht starteten.
Schon sprengten sie los – Gunnar kam nicht einmal dazu, zu zielen, wie Erik es ihm gezeigt hatte, denn die Lanze tanzte hoffnungslos im Takt mit den gewaltigen Bewegungen des Pferdes. Er stemmte die Waffe mit aller Kraft hoch, versuchte, den Schaft gegen den Sattelknopf zu stützen, hob seinen kleinen Schild und die Zügel in der linken Hand, brüllte dem Tier etwas zu, das allerdings weder einer Aufforderung noch Anfeuerung zu bedürfen schien und schnappte nach Luft – in Kürze würde er mit großer Wucht getroffen und zu Boden geschleudert werden.
Als genieße es das Spiel, streckte das Tier den Hals, die Kandare zwischen den gelben Zähnen. Die Lanze wippte grotesk vor Gunnar auf und ab; er schaffte es kaum, sich mit dem Schild Deckung zu geben, wenn er gleichzeitig das verrückte Tier lenken sollte. Erik näherte sich, ein grauer, glänzender, schuppiger Eisenmann.
Der Lärm pochte in ihm, fremdartig, unter Stahl und Leder. Gunnar hob die Lanze hoch, zog sie an sich und riß mit aller Kraft an den Zügeln: das Pferd sprang mit einem Satz seitwärts, Erde und Kies wurden von seinen Hufen hochgewirbelt.
Durch die Sehschlitze erkannte er, daß sie nach allen Regeln der Kunst zusammenstießen. Das Herz klopfte ihm bis zum Halse. Er spürte einen heftigen Stoß, ohne daß er sagen konnte, wo Eriks Lanze ihn getroffen hatte – er verlor einen Steigbügel, preßte die Knie zusammen und blieb sitzen, auch wenn ihm schwindelig wurde.
Das Pferd befreite sich schüttelnd von seinem Griff, verlangsamte das Tempo und blieb am anderen Ende der Kampfbahn stehen. Irgend jemand ergriff es, nahm Gunnar Schild und Lanze ab und setzte seinen rechten Eisenfuß in den Steigbügel, als sei er ein Kind, dem man gerade das Reiten beibrachte.
Er lüftete den oberen Teil des Helms und sah sich um, drehte sich im Panzer – der Wind strich zart und kühl um seine Stirn, seinen Scheitel und sein Haar, das schweißnaß war.
Er sah Erik: der Freund stand vornübergebeugt mitten auf der Bahn und bürstete den Staub, Erde, Kies und Sand vom Rock, der zerrissen war, so daß der vordere Schlitz sich schräg bis hinauf zur Brust fortsetzte.
Unendlich langsam begriff er, was geschehen sein mußte.
Hier saß er selbst unverletzt auf seinem Pferd, und dort stand Erik. Ein paar der Regeln hatte er immerhin behalten – hakte den Helm ab und warf ihn hinunter zu Nils Turesson als Zeichen dafür, daß er den Kampf nicht fortsetzen wollte.
Aber Erik kam zu ihm, das Pferd hinter sich herziehend: ging steif auf ein Knie nieder und reichte ihm die Zügel. Mit einem leuchtenden, untertänigen Ausdruck auf dem schmalen, bleichen Gesicht, in dem die Wangen glühten.
Gunnar wußte sich nicht anders zu helfen, als das Geschenk anzunehmen, und er hörte durchaus, daß die Leute angesichts der schönen Geste klatschten, aber es gefiel ihm nicht. Jetzt, wo er entgegen allen Erwartungen gewonnen hatte, hatte Erik ihm auf eine seltsame, verquere Art doch die Niederlage zugefügt, die er befürchtet hatte.
Dann nahm er die Pferde und entfernte sich, ohne mit jemandem zu sprechen. Er nahm seinem und Eriks Pferd den Sattel ab, wusch Schaum und Erde von den Tieren und begann, sie mit selbstvergessener Gründlichkeit zu striegeln, versuchte, sich selbst zur Ruhe und Vernunft zu zwingen. Natürlich wollte er Eriks Pferd nicht behalten – was sollte er mit zwei Reittieren, und wenn er mehr brauchen sollte, würde der Stiefvater ihm wohl noch eins schenken, wie er auch das erste geschenkt bekommen hatte.
Danach ging er zu ihrem gemeinsamen Bett – der Saal war leer, alle anderen waren auf der Kampfbahn beschäftigt, die Schlafplätze entlang den Wänden lagen zerwühlt und unordentlich da, mit allen möglichen Kleidungsstücken und Waffen kreuz und quer.
Eriks Armbrust lag auf dem Fußboden, die Feder war kaputt, und Gunnar hatte schon lange versprochen, daß er nachsehen sollte, ob er sie reparieren könnte. Er hatte dünne, kräftige Finger, und es machte ihm Spaß, sich mit solchen schwierigen Sachen zu beschäftigen, wie er früher auch Figuren geschnitzt und sich das Schreiben beigebracht hatte. Jetzt war es eine Art Buße, sich an die anstrengende Arbeit zu machen.
Es gab kein Holz und keine guten Messer. Sonst hätte er sich irgendwo unbemerkt eingeschlossen und angefangen zu schnitzen. In der letzten Zeit hatte er mit dem Gedanken gespielt, einmal zu versuchen, eine kleine Figur zu schnitzen, die er Heiliger Erik nennen könnte. Er würde nicht viel Holz dazu brauchen, Erik war dünn und schmal.
Wenn er in eine Kirche gehen und Erik dort stehen sehen könnte, würde er seinen Freund zugleich besitzen und von ihm befreit sein – es war ihm vorher nie bewußt gewesen, daß er Erik zwar mochte, die Freundschaft mit ihm aber auch als Fessel empfand.
Während er auf dem Bett saß, tief über die technischen Probleme gebeugt, hörte er unten Stimmen – die eine war Eriks, und die Ruhe, die er sich aufgezwungen hatte, flog aus ihm heraus und davon, wie ein Schwarm verschreckter Vögel.
Erik kletterte schnell die Leiter hoch und hob dabei den langen Rock an – ging weiter zur Schlafpritsche, ohne auf Gunnars Anwesenheit