Millionäre. Artur Hermann Landsberger
weisst so gut, wie ich, dass ich mich von früh bis spät mit euch beschäftige, indem ich für euch Geld verdiene. Leider – na, wozu soll ich dir auch noch den Kopf verdrehen?“
„Was ist? bitte, rede!“ drängte sie.
„Nun, wir haben Bilanz gemacht.“
„Ja, und? ...“
„Die Ausgaben übersteigen die Einnahmen im letzten Jahre um 8700 Mark.“
„Wennschon!“ erwiderte Emilie. „So wirst du im nächsten Jahre eben mehr verdienen müssen. Ich wollte sowieso mit dir darüber sprechen.“
„Worüber?“ fragte Leopold.
„Nun, dass es in dem Stile natürlich nicht weitergehen kann.“
„Was willst du damit sagen?“
„Dass wir dazu nicht nach Berlin gezogen sind, um hier unser Leben von Neutomischel weiterzuführen – dann hätten wir ebensogut bleiben können, wo wir waren!“
„Wer war denn der treibende Teil, der das Leben in Neutomischel nicht mehr ertrug?“
„Ich, ich!“ erwiderte Emilie gereizt – „ich geb’s ja zu; noch ein Jahr in dieser Enge und unter diesen Menschen und ich wäre verrückt geworden.“
„Und mir hast du immer erzählt, es geschähe nur der Kinder wegen.“
„Gewiss! auch! – aber in erster Linie hab’ ich natürlich an mich gedacht. Damit aber, dass wir uns nun hier von allem ausschliessen, habe ich freilich nicht gerechnet.“
„Was das nur heisst,“ erwiderte Leopold und schlug eins der grossen Bücher auf. – „Hier überzeug dich selbst. In Neutomischel haben wir im letzten Jahre Siebentausendvierhundert Mark gebraucht und in Berlin im ersten Jahre weit über Vierzigtausend. Das ist das sechsfache.“
„Im Verhältnis von Berlin zu Neutomischel ist es die Hälfte! verlass dich drauf!“
Leopold nahm den Zettel, den ihm Emilie gegeben hatte, vom Schreibtisch auf und sagte:
„Und dieses Wochenprogramm beweist auch nicht gerade, dass wir uns von allem ausschliessen – im Gegenteil! Vielmehr liegen die Dinge so, dass wir ruiniert sind, wenn wir weiterhin alles mitmachen, statt uns einzuschränken.
Emilie glitt auf den Sessel, der ihr am nächsten stand.
„Einschränken ...“ wiederholte sie tonlos: – „wo man eben anfangen wollte, zu leben.“
„Es tut niemandem mehr leid, als mir;“ lenkte Leopold ein. „Ich hatte es mir auch anders gedacht.“
„Mit deinem Mitleid änderst du nichts.“
„Gewiss nicht!“
„Also wirst du wohl andre Mittel suchen müssen, um zu Geld zu kommen.“
„Es gibt keine!“
„So reden Feiglinge und Krämer! Wenn es so nicht geht, so versuche es ... in Kupfer ... oder in Getreide ... oder an der Börse ... oder, was weiss ich – jedenfalls wird es doch noch etwas andres auf der Welt als Buckskin geben!“
„Und meine Bestände?“ fragte Leopold.
„Was für Bestände?“
„Nu, mein Lager, – allein in Kommissionswaren hab’ ich für über achtzigtausend Mark Ware liegen.“
„Such’ die an Papa in Neutomischel loszuwerden; darin hast du doch Uebung.“
„Meinst du, der hat nicht längst gemerkt, wie wir ihn bei der Separation übers Ohr gehauen haben?“
„Sag’ ruhig: betrogen haben!“ ergänzte Emilie. „Wir brauchen einander doch nichts vorzumachen.“
„Nenn’s, wie du willst; jedenfalls wird er ein zweites Mal vorsichtiger sein.“
„Nicht einmal soviel traust du dir zu, mit einem Manne von zweiundsiebzig Jahren, der noch dazu dein Schwiegervater ist, fertig zu werden?“
„Würde es dir etwa passen, wenn ich den alten Mann zugrunde richte?“
„Was das für Redensarten sind!“ erwiderte Emilie; „wer spricht denn von zugrunde richten? Es ist doch selbstverständlich, dass ein anderer verlieren muss, wenn du gewinnen willst. – Also mach was du willst; jedenfalls ist es deine Pflicht, für einen standesgemässen Unterhalt deiner Familie zu sorgen. Wie du das machst, ist deine Sache!“
Drittes kapitel
Die grosse Chance
„Grossvater kommt!“ stürzte Jette ins Wohnzimmer, in dem Leopold und Emilie beim Nachmittagskaffee sassen.
„Was für’n Grossvater?“ fragten beide.
„Unser! – unser – unser!“ rief Jette – und war auch schon wieder draussen, riss die Korridortür auf und lief dem alten Manne entgegen.
Leopold und Emilie sahen sich an.
Gleich darauf hörte man eine laute Männerstimme; – ganz deutlich, da Jette in ihrer Erregung sämtliche Türen offen gelassen hatte.
„Wahrhaftig!“ sagte Leopold, „er ist’s!“
„Sehr unnötig!“ erwiderte Emilie verstimmt.
„Immerhin ...,“ meinte Leopold.
„Was heisst das?“ fragte sie.
„Nun, immerhin ist es dein Vater.“
„Wenn schon! – aber willst du mir vielleicht sagen, was ich hier mit ihm anfangen soll?“
„Das möchte ich auch wissen!“ erwiderte Leopold. „Wenn du wenigstens den Jacoby nicht fortgeschickt hättest.“
„Ich habe fortgeschickt?“ fragte Leopold erstaunt.
„Etwa nich?“ erwiderte Emilie. „Sonst wäre er doch da! – Wenn du nur immer auf mich hören wolltest!“
Und als Leopold sie ganz erstaunt ansah, sagte sie:
„Ich erinnere mich genau, dass ich dir geraten habe, ihn zu halten, wenn du ’n brauchst.“
„Meinetwegen,“ lenkte Leopold ein, „es ist ja nun auch gleich, wer ihn fortgeschickt hat.“
Leopold sah zur Tür; draussen hörte man deutlich eine Männerstimme.
„Wenn er sich wenigstens angemeldet hätte!“ sagte Emilie. „Ich habe jedenfalls keine Zeit, mit ihm herumzulaufen.“
„Ich glaube“ – sagte Leopold und machte eine Bewegung, als wenn er aufstehen wollte – „wir müssen ....“
„Ja!“ erwiderte Emilie und erhob sich. „Was er nur will?“
Auch Leopold stand jetzt auf.
„Ich kann mir schon denken!“ sagte er.
In diesem Augenblick trat Cohn ins Zimmer.
„Da seid ihr ja, Kinder,“ begrüsste er sie; gab Emilien einen Kuss auf die Stirn und drückte Leopold die Hand.
„Nun, euch braucht man nicht zu fragen, wie’s euch geht!“ sagte er ... „Ihr seht ja glänzend aus.“
„Es ist der reine Zufall, dass du uns antriffst,“ sagte Emilie.
„Sooo? – Wolltet ihr fort?“ fragte Cohn. „Ich will euch nicht stören. Was ich habe, is in ’ner halben Stunde erledigt. ’S Geschäft geht vor.“
„Wir wollten mit einer befreundeten Kommerzienratsfamilie auf acht Tage ins Riesengebirge!“ protzte Emilie.
„Gott behüte!“ rief Cohn, „bei die Kälte.“
Emilie lachte verächtlich.
„Im