Millionäre. Artur Hermann Landsberger
sah sie gross an, dann lachte er und sagte:
„Kennt ihr’n Jacoby nich?“
„Ach so – ja – Leopolds früheren Buchhalter.“
„Früheren? – was heisst das?“ fragte er ganz bestürzt.
Leopold hat ihn entlassen.
„Entlassen? – den Jacoby?“
„Seine Leistungen genügten ihm nicht mehr.“
„Ja, was, was fängt der Mensch nun an?“ – Cohn war ganz ausser sich.
„Unsre Sorge!“ sagte Emilie.
„Ihr habt’n doch mit euch nach Berlin genommen – von selbst wäre er nie von Hause fortgegangen.“
„Er ist ’n ausgewachsener Mensch, der wissen muss, was er tut – und sich nicht mitnehmen lässt,“ erwiderte Leopold.
„Oder sollten wir ihn etwa lebenslänglich durchfüttern?“
Cohn machte ein sehr verdriessliches Gesicht.
„Wie lange ist er fort von euch?“ fragte er.
„Seit ein paar Tagen,“ erwiderte Leopold.
„Wenn er nichts anderes findet – und er wird nichts finden, davon bin ich überzeugt, – dann werde ich ihn wieder zu mir nehmen.“
„Hast du denn Verwendung für ihn?“ fragte Leopold.
Cohn dachte nach.
„Nein,“ sagte er. „Verwendung habe ich nicht; im Gegenteil, ich muss mit jedem Groschen rechnen; – aber, was hilft’s, man kann ihn doch nicht hungern lassen, wo er fünfzehn Jahre lang bei einem war, – man kann überhaupt keinen Menschen hungern lassen!“ fügte er hinzu.
„Das sind rückständige Ansichten, Papa!“ sagte Emilie.
„Jedenfalls denkt hier kein Mensch so!“ stimmte Leopold bei.
„Ich leb’ ja nicht hier!“ erwiderte Cohn, – „möcht’ hier auch nicht leben, wenn so was möglich is.“ Dann wandte er sich an Emilie. „Und nun lass mich mal auf eine halbe Stunde mit deinem Mann allein. Ich habe was Geschäftliches mit ihm zu bereden.“
„Was Unangenehmes natürlich“, sagte Emilie.
„Wieso?“ – fragte Cohn; „im Gegenteil! Was äusserst Angenehmes; vorausgesetzt, dass es sich machen lässt! Aber es wird sich schon machen lassen!“
Emilie stand auf.
„Wie lange bleibst du?“ fragte sie ihren Vater.
„Bis zum Abend.“
„Willst du denn nicht wenigstens bei uns übernachten?“ fragte Leopold.
„Danke schön, mein Junge! Aber du weisst, ich muss morgen früh um acht Uhr wieder hinterm Ladentisch stehen.“
„Es is auch besser, Papa hat seine Ordnung“, sagte Emilie und ging hinaus.
„Ich seh dich noch, bevor ich gehe“, rief ihr Cohn nach, dann zog er einen Stoss Papiere aus der Tasche, legte sie vor sich auf den Tisch und begann.
„Mir geht’s schlecht, mein Junge. Ich weiss nich, ob ich die Firma werde halten können, – denk’ dir, hundertzwanzig Jahre sind’s im August, dass mein seliger Urgrossvater sie gegründet hat.“
„Ein richtiger Segen hing nie daran“, erwiderte Leopold.
„Was heisst das?“ widersprach Cohn. „Hat das Geschäft uns nicht alle immer redlich ernährt? Haben wir je fremde Hilfe gebraucht?“
„Ihr habt eben alle keine Ansprüche ans Leben gestellt.“
„Was heisst Ansprüche ans Leben?“ fragte Cohn. „Kann man grössere Ansprüche stellen, als heiter und gesund sein? Nu? – In ganz Neutomischel konntst du rumgehen, hundert Jahre lang, von ein Haus ins andere –. De hättest keine Familie gefunden, die zufriedener war. Aber was nutzt das heut?“
„Ich mein’ auch, fürs Gewesene gibt der Jud’ nichts!“
„Oh!“ widersprach Cohn lebhaft – „sag das nich! das wär’ schlimm, wenn ich darauf sollt verzichten – davon leb’ ich – von meine Erinnerungen.“
„Ich fürchte, du wirst davon nicht satt werden, Papa?“
„Es gibt noch was anderes, Leopold, was man braucht zum Leben als ’n vollen Magen: das Herz. Was hat man von all die Herrlichkeiten, wenn se nur aussen bleiben und man se nich da innen fühlt.“
Leopold dauerte das alles viel zu lange.
„Und was soll nun werden, Papa?“ fragte er.
„Ich will dich nich lange damit aufhalten, dass ich dir erzähle, wodurch die Schwierigkeiten entstanden sind. Du weisst es ja auch, ich will dir daraus keinen Vorwurf machen – Gott behüte! Dass die Bestände, die du bei deinem Austritt mit hundertfünfunddreissigtausend Mark angegeben hast – und du wirst ja wohl deine Gründe dafür gehabt haben – nicht mehr als sechzigtausend Mark wert waren – nu, und auch die reinzubringen is mir bis heut nicht gelungen.“
„Du hattest seinerzeit dieselbe Möglichkeit, nachzuprüfen wie ich.“
„Hab’ ich!“ erwiderte Cohn.
„Was!“ fragte Leopold ganz erstaunt – „Du hast ... du wusstest also – und hast trotzdem meine Abrechnung gebilligt?“
„Was wär’ geworden?“ erwiderte Cohn. „Sollt’ ich dem Manne meines einzigen Kindes sagen, dass er mich – nu zum mindesten übervorteilt hat? S’ hätt mich mit meinem Kinde auseinandergebracht. Das war’s! Darum hab’ ich geschwiegen! Und dann: ich hoffte immer – du bist ein tüchtiger Geschäftsmann, wenn auch anders – leider! – als dein Vater und Grossvater – Gott hab’ se selig – es waren – aber ich hab’ immer gedacht, wenn du erst festen Fuss hier hast, denn wirst de eines Tages zu mir kommen – du verstehst – und das alles ausgleichen.“
„Und da ich nich zu dir gekommen bin, so kommst du heute zu mir! – Hm! ich verstehe! Um mir die Pistole auf die Brust zu setzen: entweder ich zahl’ dir die Differenz oder ...“
„Gott behüte!“ rief Cohn. „Was sind das für furchtbare Gedanken.“
Leopold atmete auf.
„Sondern?“ fragte er.
„Ich hab’ mer gedacht, de wirst genug mit dir selbst zu tun haben.“
„Allerdings!“ bestätigte Leopold. – „Das hab’ ich.“
„Nu eben, es is doch keine Kleinigkeit, in ’ner fremden Stadt festen Fuss zu fassen – wenngleich du ja – das soll nicht etwa ’n Vorwurf sein! ich bin immer für freie Konkurrenz eingetreten – den besten Teil meiner Kunden mitgenommen hat – aber lassen wir das!“
„Ich mein’ auch!“ erwiderte Leopold – „das bringt uns nur aneinander.“
„Eben! Darum hab’ ich mich auch nich an dich gewandt, als ich für die Dreimonatsakzepte am ersten April keine Deckung hatte.“
„An wen denn?“ fragte Leopold erstaunt.
„Ich bin zum Stadtrat Marcuse gegangen – de kanst dir denken, mit was für Gefühlen! – Dreimal hab’ ich den Klingelzug von seiner Haustür in der Hand gehabt und wieder losgelassen und bin umgekehrt – aber schliesslich, was half’s? – nu, er hat mich – für den Augenblick wenigstens – vor dem Schlimmsten bewahrt.“
„Nu also!“
„Und mehr als das! Er hat sich von mir genau erzählen lassen ...“
„Natürlich“, unterbrach ihn Leopold erregt – „hast du mir an allem die Schuld gegeben –