Villa im Tiergarten. Artur Hermann Landsberger

Villa im Tiergarten - Artur Hermann Landsberger


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zufriedenstellend gelöst zu haben glaube. Meine Jugend und mein Aeußeres sind nicht überwältigend.

      Baronin Inge von Linggen,

      zur Zeit Schloß Berg am Anger, Steiermark.“

      Diese Bewerbung, die durchaus nicht ungeteilten Beifall fand, war zugleich eine der kürzesten.

      „Das wird eine nette Vogelscheuche sein!“ meinte Timm.

      „Macht nichts! — für das Auge ist gesorgt,“ erwiderte Töns und sah dabei Frida an.

      Ueber ihr vermutliches Alter entspann sich ein Streit. Am höchsten schätzte Rolf, der meinte, sie werde so um die Fünfzig herum sein, während Burg, in dem ich so eine Art Betriebsrat sah und dem ich daher den Brief zeigte — denn die Besetzung dieses Postens betraf die Dienerschaft mehr als uns — mit erstaunlicher Bestimmtheit erklärte:

      „Höchstens achtundzwanzig.“

      „Das ist zu jung!“ meinte Frida. „Wir müssen doch Respekt haben.“

      Rolf schlug vor, telegraphisch ein Bild zu fordern, das die meisten eingelegt hatten, und nach dem Alter zu fragen.

      „Dann lehnt sie ab,“ sagte ich und setzte durch, daß wir ihr telegraphierten:

      „Erwarten Sie so bald als möglich.“

      Wir hatten in diesem Augenblick wohl alle das Gefühl, daß Frau von Linggen als Persönlichkeit wichtiger war als jeder einzelne von uns. Denn mit diesen sechs Worten begaben wir uns, zum mindesten innerhalb unserer vier Wände, des Rechts, zu tun und zu lassen, was wir wollten. Jeder von uns hatte eingesehen, daß das Spiel des Lebens ohne die Hand eines Regisseurs in diesem Hause unmöglich war. Diese Erkenntnis und das vielleicht überhebliche Gefühl, dank Instinkt und Intelligenz von Tausenden die Vollkommenste gewählt zu haben, sicherte Frau von Linggen von vornherein ein Prestige, ohne das ihr Posten aussichtslos gewesen wäre. Und als nach Verlauf von zwei weiteren unruhigen Tagen und Nächten Burg mir eines Vormittags weit förmlicher als sonst meldete:

      „Baronin von Linggen wünschen Herrn Doktor zu sprechen,“ da sah ich ihn nur an und las aus dem Ausdruck seines Gesichts und seiner Haltung, daß sie die Richtige war.

      In einem langen Sealskinmantel, ebensolcher Mütze, elegantem Schleier, schwarzen Schweden, Lackschuhen und hohen Gamaschen trat eine schlanke Dame mit schmalem, blassem Gesicht, großen braunen Augen und dunkelblondem Haar ins Zimmer.

      Ich hatte mir gedacht, wie schwer ihr wohl ums Herz sein würde, wenn sie zum ersten Male die Schwelle dieses Junggesellenheims betrat. Ich sah sofort, ich hatte mich geirrt. Sicher, als wenn sie seit Jahren hier ein- und ausginge, trat sie ein. — Mein zweiter Gedanke war: Sie ist reichlich hübsch und elegant. — Und als wir uns gegenüberstanden und ich ihr die Hand reichte, dachte ich: Sie weiß, was sie will.

      Ich machte ein paar Redensarten, daß ich mich freue und hoffe und so weiter — und sah an dem Ausdruck ihres Gesichtes, daß sie, was ich sagte, nicht gerade besonders originell und klug fand.

      Etville, der hinzukam, stutzte, als er sie sah, war aber im selben Augenblick auch schon Herr der Situation und sagte:

      „Gnädigste sind hier in eine nette Räuberbande geraten.“

      Sie erwiderte lächelnd:

      „Ich fürchte mich nicht.“

      Ich forderte sie auf, sich zu setzen und begann, ihr die Situation so schonend wie möglich zu schildern. Sie hörte gespannt zu. Als ich auf die Schwierigkeiten hinwies, die in der so verschiedenen Lebensführung der einzelnen Bewohner lag, meinte sie:

      „Das ist Sache der Regie!“

      Sonderbar! dachte ich. Ob sie wie ich das Leben als ein nicht eben kurzweiliges Theater faßt? — Als ich die Existenz von Po Gri, Häslein, Lola und die Möglichkeit, daß sie in die Erscheinung traten, streifte, verzog sie keine Miene. Ich suchte sie durch etwas weiteres Ausspinnen zu bewegen, Stellung zu nehmen, und sagte:

      „Sie werden verstehen, Baronin, wie peinlich es mir ist, von diesen Dingen zu reden — aber sie müssen nun einmal besprochen werden.“

      „Ich bin anderer Meinung,“ erwiderte sie. „Wenn man derartige Dinge taktvoll behandelt, braucht man kein Wort über sie zu verlieren. Läßt man es aber an dem nötigen Takt fehlen, so sind sie indiskutabel. Also schweigen wir.“

      „Sehr richtig!“ stimmte Etville zu. „Mir ist ein Hochstapler mit guten Manieren lieber als ein Prolet mit Bomben-Charakter. Takt ist alles!“

      „Wenigstens bei ungewöhnlichen Verhältnissen wie hier,“ erwiderte die Baronin. „Und darum ...“ Sie hielt inne und sah Etville und mich prüfend an.

      „... möchten Sie wissen, ob wir Takt haben.“

      „Ja!“ sagte sie glatt heraus. „An diese Bedingung möchte ich meinen Eintritt knüpfen.“

      Etville, der in Gedanken schon Besitz von ihr ergriffen hatte, erschrak.

      „Und in welcher Zeit“, fragte ich, „können Sie das feststellen? Dazu gehören vermutlich doch Wochen.“

      „Augenblicklich,“ erwiderte sie. „Darf ich Sie bitten, mich den anderen Herren vorzustellen?“

      Ich läutete. Wie stets, kam niemand.

      „Viel Eindruck scheint es nicht zu machen,“ meinte Frau Inge.

      „Was erwarten Sie, Baronin!“ erwiderte ich. „Beim erstenmal? — Das werden auch Sie nicht hineinbekommen —“ — Ich drückte ein zweites, ein drittes Mal auf den Knopf — und als ich eben, mehr aus Gene vor Frau Inge, die den Kopf senkte und zu lächeln schien, als aus Ueberzeugung, empört tat und hinausgehen wollte — da öffneten sich zu meinem Erstaunen alle vier Türen zugleich, und Burg, Fräulein Fleck, Nitter und Frida erschienen und fragten:

      „Hat’s hier geklingelt?“

      „Ja!“ erwiderte ich ... „Und zwar dreimal.“

      „Ich dachte ...“ sagte jeder, und auf die Frage, was sie dachten, stellte sich heraus, daß sich wie üblich einer auf den anderen verlassen hatte.

      „Sagen Sie den Herren, Frau Baronin von Linggen sei da! Sie möchten nach vorn kommen.“

      Als erster erschien, eben dem Bad entstiegen, in langem, seidenem Schlafrock, Rolf. Er hatte die Klinke der Tür noch in der Hand, streifte Frau Inge nur mit einem Blick, fuhr ruckartig zurück, sagte:

      „Verzeihung.“

      und verschwand wieder.

      „Gut!“ sagte Frau Inge, und ich erwiderte:

      „Das fand ich auch.“

      In der mittleren Tür, zu der wir mit dem Rücken saßen, erschien Töns und schob Frida, die sich eine Haushälterin ganz anders vorgestellt hatte und nun mit weitaufgerissenen Augen dastand und sie anstarrte, zur Seite, trat näher, lächelte verbindlich, sagte:

      „Ah! die Baronin!“

      beugte den Kopf und küßte ihr die Hand.

      Ich stellte vor und fügte hinzu:

      „Mit ihm werden Sie am wenigsten Mühe haben.“

      „Ich hoffe, im Gegenteil, Baronin, Ihnen Mühen abnehmen zu können,“ erwiderte Töns und setzte sich mit einer kurzen Verbeugung zu Inge. Im selben Augenblick erschien Rolf, der sich mit Hilfe des Dieners schnell angezogen hatte.

      „Ich hatte ja keine Ahnung ...“, sagte er und begrüßte sie in der gleichen Form wie Töns.

      „Wovon hatten Sie keine Ahnung?“ fragte Frau Inge, obschon sie wie wir wußte, was gemeint war. Denn wenn er sich auch von Frau Inge ein anderes Bild als Frida gemacht hatte — so hatte er sie sich bestimmt nicht vorgestellt. Und daß ihn der Takt davon abhielt, ihr in dem kostbaren Seidenmantel gegenüberzutreten, dessen Zweck es grade war, auf Frauen zu wirken, zeigte deutlich seine Einstellung.


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