Villa im Tiergarten. Artur Hermann Landsberger
nichts dergleichen. Sie sind einfach Objekte derjenigen gesellschaftlichen Sphäre, in der Sie leben, wirken oder in irgendeiner Form eine Rolle spielen wollen. — Sehen Sie, Herr Timm, und das finde ich langweilig.“
„Und wenn diese Sphäre die Welt ist?“ fragte der.
„Dann müßten Sie ein Genie, also ein Goethe oder Napoleon sein.“
„Stimmt!“ sagte ich. „Für uns gewöhnliche Sterbliche ist Größe schon, jede Pose abzulegen und natürlich empfindende und natürlich sich gebende Menschen zu sein.“
„Die wir ausnahmslos nicht sind,“ beteuerte Töns, und ich sagte:
„Also wäre es eine Aufgabe!“
„Ein Versuch,“ verbesserte Frau Inge, und Töns fügte hinzu:
„Am untauglichen Objekt.“
„Nicht bei allen,“ meinte Frau Inge und sah uns der Reihe nach an, ohne daß wir errieten, wen sie meinte.
„Darf ich bitten, mit mir zu beginnen,“ sagte ich. — Die gleiche Forderung stellten die andern, und Frau Inge erwiderte:
„Das geschieht mit allen gleichzeitig, ohne daß Sie es merken —“
Timm fragte:
„Gedenken Sie uns als Hotel oder als Familie zu behandeln?“
„Ich sagte doch schon: ‚als Menschen‘,“ erwiderte sie, woraufhin er meinte:
„Na, das kann ja nett werden!“
In diesem Augenblick erschien wieder Burg; wenn möglich noch genierter als das erstemal. Diesmal fragte Frau Inge:
„Nun, was gibt’s?“
„Ich hätte gern einen der Herren ...“
„Das war einmal!“ erklärte Frau Inge. „Von heute ab wenden Sie sich mit allem, was dies Haus angeht, zuerst an mich.“
„Mit allem?“ fragte Burg und schien entsetzt, um so mehr als Frau Inge wiederholte:
„Ausnahmslos mit allem.“
„Ja ... aber ...“, warf ich ein — „es gibt doch Dinge ...“
„Und was für Dinge!“ versicherte Töns. „Ganz unmöglich!“
„Nein, meine Herren!“ erwiderte Frau Inge. „Es gibt nichts, was nicht durch taktvolle Behandlung einer Frau möglich wäre.“
„Na, Baronin, da werden Sie hier bald umlernen,“ erklärte Timm.
„Also!“ wandte sie sich energisch an Burg. „Was gibt’s?“
„Eine junge Dame ...“
„... wünscht wen zu sprechen?“ fragte Frau Inge, da Burg vor Scheu nicht weitersprach.
„Mich wahrscheinlich,“ sagte Etville.
„Es kann auch für mich sein,“ meinte ich kleinlaut. Rolf sah nach der Uhr und rief:
„Teufel ja! das ist am Ende schon Häslein.“
„Halb zwölf,“ sagte Timm, der über meine Schulter Rolfs Uhr sah, „Daisy wollte doch erst um eins kommen.“
Burg war empört, während man Frau Inge nicht ansah, wie sie es aufnahm. Um es festzustellen, sagte ich:
„Wir werden dann doch wohl gezwungen sein, Ihnen unsere Damen vorzustellen.“
„O nein!“ widersprach Frau Inge. „Ich wünsche nicht, die Zusammenhänge kennenzulernen,“ — und zu Burg gewandt, fuhr sie fort: „Ist es eine Dame?“
„Dem Namen und dem Aeußern nach schon,“ erwiderte er.
Frau Inge stand auf. — Im selben Augenblick erhoben sich Etville, Rolf, Töns und ich.
„Ist hier nebenan ein Zimmer, in dem man empfangen kann?“ fragte sie. Und da Burg bejahte, fuhr sie fort: „Führen Sie die Dame hinein!“
Sie stellte noch ein paar Fragen, die sich auf die Wohnung bezogen, und stellte fest, daß wir alle bereit waren, die Verteilung der Zimmer ihr zu überlassen — vor allem die Räume zu bestimmen, in denen sie wohnen wollte. Dann ließ sie sich von Burg zu der Dame führen.
Kaum war sie draußen, da sagte Etville:
„Eine fabelhafte Angelegenheit, diese Frau!“
„Das große Los!“ erwiderte ich, und Rolf meinte:
„Die vollendetste Dame, die mir je begegnet ist.“
„Uradel, meine Lieben!“ meinte Töns. „Das erklärt alles. So was kriegt man nicht rein in’n Menschen. Das liegt drin!“
Nur Karl Theodor verzog den Mund und sagte:
„Nebbich!“
„Was, glaubt ihr, wird sie Gehalt fordern?“ fragte ich, woraufhin Etville erwiderte:
„Die Linggens, wenigstens ihre Linie, sind immens reich. — Ich glaube, sie verlangt nichts.“
Karl Theodor grinste und sagte:
„Wenn ihr euch nur nicht schneidet. Auf Gehalt wird sie vielleicht verzichten, dafür wird sie’s euch in anderer Form zehnfach abnehmen!“
Worauf das hinausging, war klar; erstaunlich war nur der einmütige Widerspruch und die Bestimmtheit, mit der wir erklärten:
„Sie ist eine Dame!“
Timm lächelte höhnisch, stand auf, hob das rechte Bein wie ein Hund nach hinten, klopfte sich auf den Absatz, sagte:
„Da — da!“
und ging hinaus.
Im Nebenzimmer empfing inzwischen Frau Inge ein Fräulein Hildegard von Strichlitz, das etwa achtzehn Jahre alt, gut angezogen und bildhübsch war.
Sie nannten ihre Namen und gaben sich die Hand, plauderten vom Adel, vom Landleben, von dem heruntergekommenen Berlin — und nach kaum fünf Minuten wußte Frau Inge, wes Geistes Kind Hildegard von Strichlitz war. Sie kam ihrer Gesangsstunde wegen wöchentlich einmal nach Berlin und übernachtete dann bei ihrer Freundin, der Tochter eines ehemaligen Generals, der sehr streng war und nicht einmal duldete, daß die beiden Mädchen des Abends ein Kino besuchten.
„Sie halten sich also tagsüber schadlos?“ fragte Frau Inge.
„Was soll man tun? Auf dem Lande wächst man aus. Und da unsere Kreise heute nach Geld heiraten, so weiß man, selbst wenn man hübsch ist, nicht einmal, ob man einen Mann findet.“
„Also nutzt man auf alle Fälle Zeit und Jugend.“
„Was soll man anderes tun?“
„Nur darf man sich nicht um seinen guten Ruf bringen,“ mahnte Frau Inge und hatte damit schon ins Schwarze getroffen, denn Fräulein von Strichlitz erwiderte:
„Das ist es ja gerade, was so schwer ist.“
„Ein Besuch in diesem Hause ist für ein junges Mädchen aus Ihren Kreisen, das an die Ehe denkt, schon bedenklich.“
„Aber deshalb komme ich ja!“
„Weshalb?“ fragte Frau Inge.
„Um mir das bescheinigen zu lassen.“
„Wie? — Ihre Ehefähigkeit?“
„Ja!“
„Und wer soll das tun?“
„Herr Töns aus Essen.“
„Was soll der bescheinigen?“
„Daß er niemals etwas mit mir zu tun hatte.“
Inge glaubte, nicht recht verstanden zu haben, und fragte:
„Warum