Nell Gwyn. Charles Beauclerk
Nell Gwyn jemals getauft worden sein sollte, dann wahrscheinlich kurz nach der Schlacht von Worcester, als ihr späterer Geliebter gerade seine zweite Taufe erlebte, die Feuertaufe.
Dieser herumvagabundierende, jugendliche König hatte schon Vaterfreuden erlebt, als Nell noch gar nicht das Licht der Welt erblickt hatte. Mit seiner ersten großen Liebe, Lucy Walter, ebenfalls einer Schönen mit walisischen Vorfahren, hatte er einen Sohn gezeugt. Königstreue Höflinge sorgten jedoch rasch dafür, dass sie aus der Umgebung des Königs verdrängt wurde. Den Knaben, den späteren Herzog von Monmouth, trennte man aber erst im Jahr 1658 von seiner Mutter. Später im selben Jahr, in jenem Jahr, in dem auch Cromwell verschied, verstarb Lucy an der Syphilis.
Charles’ Erfahrungen als Verbannter stellten in einem ganz konkreten Sinn eine Lehrzeit für seine Beziehung zu Nell Gwyn dar, denn in dieser Zeit des Umherirrens lernte er, sich mit den Unterdrückten und dem einfachen Volk zu identifizieren. Er hatte von der Wohltätigkeit anderer und in gesellschaftlicher Ungewissheit gelebt, war von den Mächtigen verachtet worden und wusste, was es bedeutet, schmutzige Kleidung zu tragen und von einer Mahlzeit am Tag zu überleben. Not und Elend hatten ihn gelehrt, die gewöhnlichen Freuden des Lebens mit einer geradezu feierlichen Lust zu genießen.
Auf den Plakaten, mit denen das Parlament dazu aufrief, Charles gefangen zu setzen, wird der König als ein »mehr als zwei Yard messender großer, dunkler Mann« beschrieben (seine außergewöhnliche Größe war ebenso wie sein dunkles Äußeres überraschend, waren doch schließlich seine Eltern beide recht zierlich gewesen). Die verwendeten Formulierungen sind aufschlussreich, denn psychologisch gesehen war Charles ja tatsächlich nicht nur der dunkle Schatten eines Oliver Cromwell, sondern der Schatten des gesamten puritanischen Englands. Wir haben es mit einer dunklen Gestalt zu tun, die sich schattengleich durch das Land bewegt, sich wie ein Tier in Bäumen und an finsteren Orten verbirgt, seinen Trieben folgt, sich von den Früchten der Natur ernährt und auf die Loyalität des Volkes angewiesen ist. Als Charles dann schließlich den Thron bestieg, machte er die Eiche, in der er im Wald von Boscobel Schutz gesucht hatte, zum Emblem seiner königlichen Herrschaft.2 Das war etwas ganz anderes als die dogmatische Krone seines Vaters, es war eine lebendige Krone, die mit der Zeit noch wachsen konnte. Der Chronist John Evelyn widmete sein Werk Sylva (1664) König Charles mit den Worten: »Ihr seid unser Gott der Bäume, der König des Waldes, denn einst stand Euer Tempel unter jener heiligen Eiche, die Ihr mit Eurer Gegenwart geweiht, und dort hieltet Ihr Hof ...«
Die vorrangige psychologische Aufgabe im England der Restaurationszeit bestand darin, der Nation das Gefühl für das Geistvolle und auch für die leiblichen Freuden zurückzugeben, mit anderen Worten, das gute alte England (im Spenser’schen Sinn von »fröhlich und unbeschwert«) wieder aufleben zu lassen und eine Gesellschaft zu fördern, in der sich der Genius der Nation entfalten konnte. Einen besseren Katalysator für diese Wiederherstellung als die ihrem Wesen nach so fröhlich unbeschwerte Nell Gwyn hätte es gar nicht geben können!
Drei Städte wurden als Nell Gwyns Geburtsort angeführt – London, Oxford und Hereford –, doch in allen drei Fällen stehen die Beweise auf schwachen Füßen. Außer Zweifel steht, dass die Gwyns walisischer Herkunft sind und dass im siebzehnten Jahrhundert Gwyns oder Gwynnes im Grenzland zwischen England und Wales gelebt haben. Die Familie, die angeblich auf das walisische Fürstengeschlecht zurückgeht, stammte ursprünglich aus Llansanor im Tal von Glamorgan. Und als Nell gegen Ende ihres Lebens noch ein Wappen zuerkannt wurde, hielt man sich bei dem Entwurf mit dem blauen Löwen auf einem goldenen und silbernen Schild tatsächlich eng an die Vorlage des Wappens der Gwyns von Llansanor. Angesichts ihres roten Haares, der grünen Augen und ihres wunderbar singenden Tonfalls fällt es auch nicht schwer zu erkennen, dass in Nells Adern zum großen Teil keltisches Blut floss.
Dennoch spielt die ursprüngliche Herkunft von Nells Familie bei der Bestimmung ihres Geburtsortes nur eine geringe Rolle, und für Hereford fehlen die Beweise aus damaliger Zeit. Es stimmt zwar, dass einer ihrer Enkel, Lord James Beauclerk, Bischof von Hereford wurde und dass Charles II. die Orgel der Kathedrale instand setzen ließ, doch was heißt das schon? Dem Dictionary of Biography zufolge sind sich die Historiker von Hereford stets darin einig gewesen, dass sie in der dortigen Pipe Well Lane zur Welt gekommen ist, die im neunzehnten Jahrhundert in Gwyn Street umbenannt wurde. Das Haus selber wurde 1859 abgerissen, um für die Erweiterung der bischöflichen Palastgärten Platz zu machen. Heute erinnert eine Gedenktafel an der Außenmauer des Parks an die Stelle. Bedauerlicherweise sind die Taufregister der Stadt aus dem siebzehnten Jahrhundert lückenhaft und geben uns keine Auskunft.
Es mag durchaus sein, dass Nells Vater in Hereford geboren wurde und dort aufwuchs, aber wir wissen es einfach nicht. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass sich Helena Smith (die spätere Mrs Gwyn), die in der Gemeinde von St. Martin-in-the-Fields in London auf die Welt gekommen war und anscheinend die meiste Zeit ihres Lebens dort verbracht hat, im Jahr 1650 in dieser Stadt aufgehalten haben soll. Londons Ansprüche stützen sich nämlich weitgehend darauf, dass Nells Mutter von dort stammte und dass Nell und ihre Schwester Rose mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in einer der Seitengassen der Drury Lane aufwuchsen. In seinem Werk Lives of the Court Beauties (1715) gibt Captain Alexander Smith die Coal Yard Alley als ihren Geburtsort an, und die nachfolgenden Biographen neigten dazu, sich dieser Auffassung anzuschließen. Professor John Harold Wilson beginnt seine Biographie aus dem Jahr 1952 jedenfalls überzeugt mit einem Kapitel, das überschrieben ist »The Gwyns of Covent Garden« und stellt ohne jedes Bedenken fest, dass »Nell Gwyn irgendwo in oder in der Nähe des Covent-Garden-Viertels geboren wurde«. Das ist aber nur eine Vermutung.
Der Grund, warum Londons Ansprüche trotz der schwachen Beweislage weiterhin so zwingend bleiben, hat viel mit dem romantischen Bedürfnis der Öffentlichkeit zu tun, die sich anscheinend nicht beirren lassen will, sich Nell Gwyn als das quirlige kleine Mädchen aus dem Londoner East End vorzustellen, das zur Mätresse eines Königs aufgestiegen ist. Denken wir jedoch daran, dass sie dann zwangsläufig den Cockney-Dialekt gesprochen haben müsste, dann ist es praktisch unvorstellbar, dass Nell Gwyn mit diesem Dialekt am Hof Charles’ II. überlebt und Karriere gemacht haben soll, denn zu der Zeit galt der Cockney-Akzent als die Mundart der Händler und Krämer par excellence. H.C. Wyld schreibt in A Short History of English: »Sprach ein Gentleman den Dialekt einer ländlichen Region, so tat das seinem Wesen und seinem Ansehen selbst bei Hofe keinen Abbruch – nicht geduldet allerdings war die Sprechweise der Händler ...« Als Professor Higgins in Shaws Pygmalion zum ersten Mal den Cockney-Akzent von Eliza Doolittle vernimmt, spricht er von ihr nur als von »diesem Geschöpf mit seinem Gassenjargon, einer Sprache, die sie lebenslänglich in der Gosse festhalten wird«. Und das war 1916. Trotz ihrer Ausbildung zur Schauspielerin wäre der Cockney-Dialekt ein zu großes Hindernis für Nell Gwyn gewesen, denn man hätte sie schlichtweg nicht verstanden. Es gibt übrigens auch keine zeitgenössischen Berichte, in denen hochnäsige Höflinge sich über eine derartige Behinderung lustig machen.
Oxford, das üblicherweise von den drei Geburtsorten am wenigsten in Betracht gezogen wird, scheint mir jedoch die berechtigtsten Ansprüche erheben zu dürfen. Ob nun Nells Vater, den meisten Berichten zufolge ein gewisser Captain Thomas Gwyn, in Hereford geboren wurde oder nicht, ist unwichtig. Fest steht, dass er ganz gewiss in Oxford gelebt und dort möglicherweise auch seine Tage in einem Schuldgefängnis beschlossen hat. Und wenn, wie unter anderem der Oxforder Antiquar Anthony à Wood behauptete, Dr. Edward Gwyn, seines Zeichens Kanonikus an der Christ Church von Oxford, der Vater eben dieses Thomas war, dann haben wir eine sehr überzeugende Verbindung.
Nach seinem unbedeutenden Sieg in Edgehill vom Oktober 1642 hatte Charles I. Oxford zu seinem militärischen und politischen Hauptquartier gemacht, was es bis zum Sommer 1646 auch blieb. Platz war knapp, weil aus allen Ecken des Landes die Königstreuen in die Stadt strömten und die Kranken und Verwundeten von Edgehill ebenfalls dorthin gebracht wurden. Auch an Vorräten mangelte es, und schon bald erhitzten sich die Gemüter. Obwohl der König selber besonnen blieb und sich darum bemühte, einen würdevollen Hofstaat aufrechtzuerhalten, war Oxford während des Bürgerkrieges doch wie die meisten Garnisonsstädte in Kriegszeiten ein Ort des ungezügelten Lebens und sehr lockerer Sitten, wo man tanzte, sich duellierte, sich betrank und über die Stränge schlug. In diesen schnelllebigen Tagen im Schatten des Krieges vereinigten sich Männer und Frauen ganz spontan, und dabei machten sie