Nell Gwyn. Charles Beauclerk

Nell Gwyn - Charles Beauclerk


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scheint der Dramatiker George Etheredge in einem seiner spöttischen Stücke mit dem Titel »The Lady of Pleasure: a Satyr« den Gedanken aufzugreifen, dass Nell zumindest in einer Garnisonsstadt gezeugt wurde. Schreibt er doch:

      Ihr Vater war nicht eine Mannsperson,

      gezeugt hat sie das ganze Bataillon.

      Und von Wood wissen wir, dass Mrs Gwyn »eine Zeit lang in Oxford gelebt hat«, nämlich in der Pfarrgemeinde von St. Thomas. Es ist also durchaus möglich, dass Nell und ihre Schwester dort geboren wurden. Leider gibt es kein Taufregister von St. Thomas aus dem siebzehnten Jahrhundert mehr.

      Ob sich Nells Vater bei Ausbruch des Krieges schon in Oxford aufhielt oder ob er erst aus Hereford dorthin kam, werden wir wahrscheinlich niemals erfahren. Ebenso wenig werden wir wohl herausbekommen, was Helena Smith bewogen hat, ihr heimisches London zu verlassen und sich in die neue Hauptstadt des Königs aufzumachen. Obwohl ja eigentlich ihre Sympathie für die Royalisten und die Hoffnung, einen flotten Kavalier aufzugabeln, Grund genug gewesen sein mögen. Auf jeden Fall hat der Gedanke etwas Befriedigendes, dass sich Nells Eltern von verschiedenen Seiten des Landes, der eine von Osten, der andere von Westen, ins Zentrum des royalistischen England begeben haben, um dort jenes Kind zu zeugen, das zu gegebener Zeit zum Sinnbild einer neuen, integrierteren Gesellschaft werden sollte.

      Auch darüber, ob Captain Gwyn Nells Mutter tatsächlich geehelicht hat, können wir nur Vermutungen anstellen, desgleichen wissen wir nicht, wie rasch nach dem Krieg er in die Verschuldung geriet und verarmte. Die zeitgenössischen Überlieferungen, denen zufolge er im Gefängnis starb, nachdem er seinen Lebensunterhalt nicht mehr im Dienst des Königs verdienen konnte, scheinen aber ausreichend authentisch zu sein. Der anonym bleibende Autor von A Panegyrick (1681) schrieb:

      In Oxford, wo ihr Vater starb, hat Leben

      und Freiheit vielen sie zurückgegeben,

      aus Kerkern sie befreit; es war ihr Streben,

      fromm seiner zu gedenken, und sie ehrte

      sogar die Kette, die ihn einst beschwerte.

      Außerdem hat Nells ältere Schwester Rose 1663 in einer Bittschrift aus dem Gefängnis, in der sie um ihre Freilassung gegen Zahlung einer Kaution ersuchte, erwähnt, dass ihr Vater »im Dienst für den verstorbenen König alles verloren hatte, was er besaß«. Wenn wir ihr Glauben schenken, ist es unwahrscheinlich, dass Thomas Gwyn jemals mit seiner Frau und den beiden kleinen Töchtern nach London gereist sein soll. Viel wahrscheinlicher ist es, dass sein Tod zu Beginn der 1650er Jahre Mrs Gwyn, wie sie inzwischen hieß, veranlasst hat, mit Rose und Nell im Schlepptau in ihre alten Gefilde nach Covent Garden zurückzukehren. Und es fällt auch nicht schwer sich vorzustellen, wie sie als alleinstehende Mutter, die für zwei kleine Töchter zu sorgen hat, schon sehr bald gezwungen war, das älteste Gewerbe der Welt (wieder) auszuüben: Prostitution.

      Alle Wege scheinen also nach Oxford zu führen. Vielleicht hat Ashmole den Geburtsort auf dem Horoskop ja auch einfach deshalb leer gelassen, weil er es in seiner Heimatstadt Oxford stellte. Wir werden es wohl nie erfahren. Fest steht jedoch, dass Nells ältester Sohn Charles, als er im Jahr 1676 in den Adelsstand erhoben wurde, die Titel von Burford und Headington zuerkannt bekam – und beide liegen in Oxfordshire. Interessant ist auch, dass Nells spätere Schwiegertochter, Lady Diana de Vere, die Erbin des letzten Earl von Oxford war und dass ihr mutmaßlicher Onkel Henry Gwyn bei eben diesem Earl die Stellung eines Sekretärs bekleidete.

      Nell selber hielt sich anscheinend mit Auskünften über ihre Herkunft sehr zurück, vielleicht empfand sie es ja als vorteilhafter, dieses Thema ein wenig in geheimnisvollem Dunkel zu belassen. Manch einer wird sich wohl gefragt haben, woher sie eigentlich stammte, und noch heute ist ihre Identität irgendwie geheimnisumwittert. In einer Liste mit den Namen wohltätiger Spender für die gemeinen Gefangenen im King’s Bench Gefängnis wird sie als »Mrs Margaret Symcott (i.e. Eleanor Gwyn)« geführt. Fairburn wiederum behauptet, sie habe nach dem Tod des Königs als »Lady Simcock« viele barmherzige Schenkungen getätigt.3 In jüngerer Zeit gelangte der Ahnenforscher Arnold Hawker zu dem Schluss, Nell sei eine geborene Elizabeth Fawconer, Tochter eines Gutsherrn aus Wiltshire. Ihr selbstsicheres Auftreten bei Hof und ihr Erfolg auf der Bühne haben ganz sicherlich zu der Vorstellung beigetragen, sie sei vornehmer Herkunft.

      Wir wissen nichts über das Leben von Mrs Gwyn, bevor sie nach London kam (oder zurückkam). Die meisten Biographen Nell Gwyns haben angenommen, ihre Mutter sei niederer Herkunft gewesen, aber das ist reine Vermutung und beruht auf späteren Berichten über ihre erbärmlichen Lebensumstände und das erniedrigende Gewerbe, das sie ausübte, als Nell noch ein Kind oder junges Mädchen war. Angesichts der Tatsache, dass ihr Ehemann in einem Schuldturm starb, ist es zumindest ebenso wahrscheinlich, dass die Ursachen für ihr Absinken in die verruchte Londoner Unterwelt in Unglück und Armut zu suchen sind und nicht in ihrer niederen Herkunft und ihrer Verderbtheit. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass sie früher nicht einmal ihrem Ehemann gesellschaftlich gleichgestellt war, und der war, wenn schon kein echter Gentleman, doch immerhin so etwas Ähnliches.

      Auf dem Denkmal, das Nell für ihre Mutter in St. Martin-in-the-Fields errichten ließ, ist als Geburtsjahr das Jahr 1624 angegeben, das letzte Jahr der Herrschaft von König James I. Wenn das stimmt, dann hätte Madam Gwyn genau bei Ausbruch des Bürgerkriegs ihre Volljährigkeit erlangt. Selbst wenn wir die Übertreibungen der Satiriker berücksichtigen, lassen zeitgenössische Berichte keinen Zweifel daran, dass Nells Mutter eine Falstaff’sche Persönlichkeit war, die sich einen ebenso legendären Ruf erwarb wie ihre Mitheldinnen der Unterwelt, die als Kupplerinnen berühmten Damen Ross, Bennett und Cresswell, wie Mother Mosely und Orange Moll.4

      Das Bild, das die Satiren von Nells Mutter zeichnen, ist das einer derb drallen, Schnaps kippenden und Pfeife rauchenden Puffmutter, die infolge einer allzu ausufernden Sauferei schließlich in einem Fluss oder Abwasserkanal ertrank. Bedauerlicherweise verfügen wir nicht über eine Beschreibung ihres Wesens, doch einige Bilder, die von den Satirikern immer wieder gern benutzt werden, werfen unabsichtlich ein Licht auf einen wesentlichen Zug ihres Charakters – auf ihre unterschwellig schwelende Wut. Als junge Frau mag sie durchaus viel von der Schönheit, dem Mutterwitz und dem Glanz ihrer jüngeren Tochter besessen haben, genug zumindest, um die Liebe eines Captains zu gewinnen. Doch dann kam der Krieg dazwischen, und nach einigen schwierigen Jahren fand sie sich schließlich in London wieder, als alleinstehende Mutter mit zwei kleinen Töchtern. Die Theater waren geschlossen, und es gab keine Möglichkeit für sie, ihre Talente zu entfalten. Die unweigerliche Folge war ein Leben als Prostituierte. Es dauerte nicht lang, und sie betrieb ihr eigenes Freudenhaus. Man kann sich leicht vorstellen, welchen Groll diese lebhafte Frau gehegt haben muss.

      Aber man spürt, dass sie sich von den Enttäuschungen über ihr nicht gelebtes Leben keineswegs übermannen ließ. In einem Spottgedicht über »die unvergessene Matrone, Old Maddam Gwinn« wird Nells Mutter mit jenem monströsen Drachen Typhon verglichen, den Zeus tötete, indem er den Berg Ätna auf ihn schleuderte, und dessen Zorn sich selbst noch nach seinem Tod in den Ausbrüchen des Vulkans ein Ventil verschaffte. Das ist eine gute Metapher für Mrs Gwyns schäumende Wut, die durch den Alkohol noch angeheizt wurde und die höchstwahrscheinlich das Gefühlsleben ihrer Töchter stark beeinflusst hat.

      Der fehlende Vater und die alles verschlingende Mutter sind also Schlüsselarchetypen in Nells frühem Leben, dieselben übrigens wie bei ihrem späteren Geliebten, dem jungen Charles Stuart. Ihre Suche nach dem verlorenen, ritterlichen Vater sollte schließlich bei Charles höchstpersönlich enden (er war immerhin zwanzig Jahre älter als sie), und der von der Mutter ererbte Zorn fand seinen kreativen Ausdruck in ihrem beißenden Humor sowohl auf der Bühne als auch bei Hofe, wo sie die Rolle des bittersüßen Narren übernahm.

      Wie auch immer Nell es geschafft haben mag, aus diesen widrigen Umständen letztendlich zu Glanz und Ruhm aufzusteigen, es kann nicht einfach gewesen sein, im Schatten eines Vulkans heranzuwachsen. Sowohl sie als auch ihre Schwester waren völlig ungebildet – Nell hat nie gelernt, auch nur ihren Namen zu schreiben – und wurden schon in sehr jungen Jahren zur Mitarbeit im Etablissement ihrer Mutter herangezogen. Samuel Pepys zufolge hat Nell ihrer Schauspielerkollegin Beck Marshall einmal erzählt, sie sei »in einem Freudenhaus groß geworden,


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