Nell Gwyn. Charles Beauclerk

Nell Gwyn - Charles Beauclerk


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den Verstand verliert, denn zwischen Freude und Erwartung geht das Volk kaum noch schlafen.«

      Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, welche Aufregung in Nells Bande zerlumpter Straßenkinder geherrscht haben muss. Für sie, die zur Zeit des Commonwealth geboren waren, muss schon allein das Wort »König« einen magischen Klang besessen haben. Als sie Zeugen wurden, wie die Kavaliere schon vor dem Tag der Restauration in Scharen aus dem Exil nach London heimkehrten und die neueste französische Mode für ihre Frauen und Töchter mitbrachten, war das für sie ganz sicher Anlass, von einer neuen bunten Welt voller Ritterlichkeit und Abenteuer zu träumen. Ich sehe Nell direkt vor mir, wie sie ihre Mutter löchert, ihr zu erzählen, wie der junge Prinz von Wales war, bevor er ins Exil ging. Und so mag sie wohl auch erfahren haben, dass sein dunkles Äußere ihm den Spitznamen »Black Boy« eingetragen hatte, und das wiederum hat ganz gewiss ihre Fantasie beflügelt, war sie selber doch die Königin der Coal Yard Alley. Und vielleicht hat ihr Mrs Gwyn den eher ernsten jungen Mann mit den schulterlangen schwarzen Locken und den dunklen Augen auch ganz genau geschildert, der im Alter von elf Jahren von seinem Vater ins Oberhaus geschickt wurde und um das Leben von »Black Tom« bitten sollte, des unglücklichen Earls von Strafford; und möglicherweise hat sie ihr auch erzählt, dass überall in der Stadt Gerüchte darüber kursierten, welchen Mut und welche Selbstbeherrschung der Junge an jenem Tag bewiesen hatte.

      Und so wie sich das ganze Land in einem Zustand nervöser Erwartung befand, gleich einer Braut am Vorabend der Hochzeit, die an nichts anderes mehr denken kann als an den geheimnisvollen Bräutigam, so hat ganz gewiss auch die kleine Nell, das Aschenputtel der Londoner Elendsviertel, stundenlang vor dem gesprungenen und blinden Spiegel ihrer Mutter gestanden und sich den Staub und die Asche aus den Haaren gebürstet, um für die Rückkehr des Königs gerüstet zu sein. Jetzt war der richtige Augenblick gekommen, die Strümpfe von Poor Dick anzuziehen und die alte, abgestoßene Brosche, die sie neulich auf der Straße gefunden hatte, an ihren besten Arbeitskittel zu heften. Jetzt war der richtige Augenblick da, ihre wilde und treue Meute um sich zu scharen und ihre Träume von ihrem zukünftigen Ruhm zu verkünden. Staunend und mit offenen Mündern haben sie ihr wohl zugehört, als sie bekannt gab, eines Tages werde sie den König heiraten und sie dann alle zu einem zünftigen Abendessen in den Palast einladen.

      Am 23. Mai stachen der König und sein Gefolge auf der Naseby in See, die in aller Eile in Royal Charles umgetauft worden war, und es war durchaus nachvollziehbar, dass der König an seine gefährliche Flucht nach der Schlacht von Worcester zurückdenken musste. Das war das letzte Mal gewesen, dass er den Fuß auf heimatlichen Boden gesetzt hatte. Samuel Pepys, der siebenundzwanzigjährige Marinesekretär, befand sich mit an Bord und lauschte, den Tränen nahe, den Erzählungen des Königs über seine Leidenszeit. Im Gegensatz zu dem, was Pepys bisher über den König gehört hatte, beeindruckte der ihn durch seine Tatkraft, sein geistreiches Wesen und seine Gewohnheit, früh aufzustehen. Die hatte ihm den Spitznamen »Chanticleer«, d.h. »Gockel« eingebracht. Außerdem teilten die beiden Männer die Liebe zur Musik, und Samuel erhielt die Verantwortung für die königliche Gitarre übertragen.

      Bei Sonnenaufgang des 25. Mai ging die königliche Gesellschaft in Dover vor Anker. Schon zu dieser frühen Stunde hatte sich auf den Dünen und Klippen eine Menge von ungefähr fünfzigtausend Menschen versammelt, um die Ankunft des Königs mit eigenen Augen mitzuerleben. Sie jubelten sich heiser, als Charles an Land ging und auf die Knie sank, um für seine sichere Heimkehr zu danken. Als er sich wieder erhob, wurde er von General Monk und dem Bürgermeister von Dover begrüßt. Sie machten ihm eine Bibel zum Geschenk, die Charles, wie er erklärte, »über alles in der Welt liebte«. Nach kurzen Aufenthalten in Canterbury und Rochester traf Charles, der überall auf seinem Weg begeistert willkommen geheißen worden war, am 29. Mai in London ein. Es war sein dreißigster Geburtstag. Der Umstand, dass es sein Geburtstag war, ist höchst bedeutsam, fiel doch so der Tag, an dem die Nation wiedererstand, mit dem Tag seiner Wiedergeburt zusammen.

      Es grenzte schier an ein Wunder und war im Grunde unvorstellbar, dass der König in sein Reich heimgekehrt war, und manch einem muss es wie eine wundersame Vorsehung des Schicksals vorgekommen sein. Alle Kirchenglocken läuteten, die Straßen waren über und über mit Blumen besät, die Häuser mit Flaggen und Gobelins geschmückt, in den Brunnen floss Wein. Wie Pepys sagt, übertrafen das Geschrei und die Freudenbekundungen »jede Vorstellung«, und Evelyn, der zweite große Chronist jener Zeit, schrieb:

      Ich stand in der Strand, sah es und pries Gott. Und all das war geschehen, ohne dass auch nur ein einziger Tropfen Blutes vergossen ward, und mit Hilfe eben derselben Armee, die sich einst gegen ihn erhoben hatte; aber es war das Werk des Herrn, denn eine solche Restauration hat es weder in der alten noch in der neueren Geschichte nicht mehr gegeben seit der Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft. Auch hat diese Nation einen so freudigen und strahlenden Tag noch niemals erlebt, und dies zu einem Zeitpunkt, da ein solches Ereignis jenseits aller menschlichen Erwartungen und Möglichkeiten schien.

      Nell muss sich in ihrem Element gefühlt haben, als sich ganz London in ein riesiges Straßenfest verwandelte. Ihr roter Haarschopf und ihr vorwitziges Mundwerk waren vielen Bewohnern von Covent Garden und auch jenen, die nur um des Vergnügens willen in diese Gegend kamen, wohlvertraut, arbeitete sie doch schließlich entweder im Freudenhaus ihrer Mutter oder aber im Etablissement von Madam Ross. In der Umgebung trieben sich stets jede Menge Quacksalber und Straßenkünstler herum, und wenn Nell den Wunsch gehabt haben sollte, sich aus der Menge herauszuheben und die Aufmerksamkeit des Königs auf sich zu lenken, wäre es ihr gewiss ein Leichtes gewesen, sich ein Paar Stelzen zu besorgen. Auf denen wäre sie dann zur Strand hinuntergeschwankt, wo sie sich unter die Clowns und Hanswurste mischen und nach ihren weniger beherzten Kameraden Ausschau halten konnte.

      Vermutlich hat sie das von allen Seiten ertönende »Gott schütze den König!« schon längst vernommen, bevor sie Charles überhaupt zu sehen bekam, der sich inmitten seines Gefolges prunkvoll ausstaffierter Adliger und Ratsherren mit ihren vergoldeten Piken näherte. Der König selbst saß auf einem prächtigen weißen Ross, und ihm zu Füßen drängten sich seine Anhänger. Immer wieder zog er seinen mit goldenen Federn verzierten hohen, spitzen schwarzen Hut, um der jubelnden Menge für den Empfang zu danken. Der Duft der auf seinen Weg gestreuten, zerpflückten Blumen mischte sich mit dem des Weines, der in den Brunnen sprudelte, und berauschte selbst das allerpuritanischste Gemüt. Und das kleine Mädchen auf ihren Stelzen freute sich, auf gleicher Augenhöhe mit dem Mann zu stehen, mit dem sie später einmal die Geheimnisse ihrer Seele teilen sollte.

      Ganze sieben Stunden lang wälzte sich der Triumphzug des Königs durch die Straßen Londons, bevor er gegen Abend in Whitehall eintraf, wo beide Häuser des Parlaments den Monarchen ihrer Treue versicherten. Müde, wie er war, mag Charles von einer Welle der Melancholie erfasst worden sein, denn mit Whitehall verbanden ihn ja nicht nur einige seiner schönsten Kindheitserinnerungen, es war dies schließlich auch der Ort, an dem man seinen Vater hingerichtet hatte. In vielerlei Hinsicht fühlte er sich dem Land seiner Geburt entfremdet, etwa so wie ein Mann, der in sein ausgeraubtes Haus zurückkehrt. Und ihm war auch durchaus bewusst, dass viele der Menschen, die er von nun an beschützen und regieren sollte, an der Ermordung seines Vaters beteiligt gewesen waren. Vielleicht hat er ja den Blick gesenkt und auf seine Hand geschaut, dann muss er jenen Ring betrachtet haben, den sein Vater kurz vor seiner Hinrichtung Bischof Juxon anvertraut hatte. Dieser Ring war ihm nach Frankreich nachgesandt worden mit der einzigen Ermahnung: »Vergiss nicht!« In den blutroten Stein war kunstvoll das Abbild des Kaisers – welch Ironie – in der Gestalt eines römischen Imperators geschnitzt, den Lorbeerkranz auf dem Haupt. Die Blätter der stacheligen Akanthuspflanze auf der Rückseite standen symbolhaft sowohl für sein eigenes Leiden als auch für das Ödland, in das der Krieg das Reich verwandelt hatte. Fünfundzwanzig Jahre später hat Charles eben diesen Ring an den ersten Herzog von St. Albans weitergegeben, seinen gemeinsamen Sohn mit Nell Gwyn. Ein Erbstück, das sich bis ins einundzwanzigste Jahrhundert hinein im Besitz der Herzöge von St. Albans befand.

      Es muss hier vor dem großen Bankettsaal gewesen sein, wo Charles gelobte, niemals wieder das Land zu verlassen; wenn er auf dem Thron blieb, war das die beste Art, das Andenken seines ermordeten Vaters in Ehren zu bewahren. Als er so in die Runde schaute und der ungeteilten Verehrung seiner Untertanen gewahr wurde, soll dieser raffinierteste aller Politiker


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