Nell Gwyn. Charles Beauclerk

Nell Gwyn - Charles Beauclerk


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bei all seiner Industrie und trotz all seiner Prachtbauten und großen Plätze war London immer noch eine von Feldern umgebene, sehr ländlich geprägte Stadt. Täglich fanden Bauernmärkte statt, wurde Vieh durch die Straßen getrieben, und im Herzen der Stadt feierte man auf ganz traditionelle Weise bäuerliche Feste wie etwa den Maifeiertag. Am 1. Mai 1667 schrieb Pepys in sein Tagebuch: »Nach Westminster gefahren; unterwegs sah ich etliche Milchmägde mit blumenbekränzten Eimern, die zur Musik eines Fiedlers tanzten; und ich sah die hübsche Nelly (d.h. Nell Gwyn), die in Mieder und Hemdsärmeln in der Tür ihres Zimmers in der Drury Lane stand und einen anschaute; sie erschien mir eine äußerst reizende Person.«

      Der Reisende, der das London der Restaurationszeit besuchte und von Westminster aus flussabwärts fuhr, kam schon bald an dem großen, weitläufigen Palast von Whitehall vorbei, seit 1530 Hauptsitz der englischen Könige, der sich über eine Fläche von dreiundzwanzig Hektar erstreckte und circa zweitausend Räume umfasste. In Whitehall, diesem Labyrinth aus Gängen, Privatgemächern, Repräsentationsräumen, Dienstbotenunterkünften, Höfen und Gärten, lebte nicht allein der König, sondern die gesamte königliche Familie sowie die wichtigsten Mätressen des Monarchen, die Minister, die königlichen Kammerfrauen, viele Höflinge und Amtsträger (darunter auch die königlichen Kaplane), Dienstboten jeden Ranges und all jene bunten Paradiesvögel, die den Thron umschwirrten. Der Palast war eigentlich ein Konglomerat aus Gebäuden der unterschiedlichsten Epochen, und ganz nüchtern betrachtet ermangelte es dem Ganzen an Sinn und Logik, und dennoch spiegelte sich in ihm auf ganz eigene Art die politische Ordnung der Nation wider. Ausländische Gesandte äußerten sich oft über die Unbequemlichkeiten dieses architektonischen Monstrums und wunderten sich, wie der König es fertigbrachte, von dort aus wirkungsvoll zu regieren.

      Im Herzen von Whitehall und somit im Herzen der Nation befand sich die Stone Gallery, die den größten Teil der königlichen Gemäldesammlung beherbergte. Obwohl ganz in der Nähe der königlichen Gemächer gelegen, stand sie dem Publikumsverkehr offen, und man traf dort stets auf Bittsteller und Amtsträger, die auf und ab liefen und darauf warteten, dass Charles sich blicken ließe. Es geschah allerdings äußerst selten, dass sie des Königs Aufmerksamkeit erhaschten, aber einen Trost gab es immerhin: Dies war der Ort, an dem man die jüngsten Neuigkeiten und den Tratsch vom Hof aufschnappen und sich darüber austauschen konnte, wer gerade in der Gunst stand und wer nicht. Kurz, hier fühlte man den Puls der Nation. Doch Whitehall lieferte nicht nur den Stoff für die Gerüchteküche, es brachte auch diejenigen hervor, die diese Gerüchte in die Welt setzten. In Wycherleys Stück The Country Wife äußert sich einer der Protagonisten schonungslos kritisch über die »Gerüchteköche von Whitehall«. Jeder Spion oder einfache Intrigant wusste, Whitehall war der richtige Ort für ihn.

      Hinter den mit Vorhängen verhangenen Türen, die aus der Stone Gallery hinausführten, lagen die Privatgemächer des Königs, in denen über die offiziellen und inoffiziellen Staatsangelegenheiten entschieden wurde: das Audienzzimmer, die Privaträume und das Allerheiligste, das Schlafgemach. Eine strenge Hofetikette legte fest, wem es erlaubt war, diese Räumlichkeiten zu betreten, und wie weit er sich vorwagen durfte. Im Schlafzimmer dominierte das gewaltige Himmelbett des Königs. Ein Geländer im französischen höfischen Stil zog sich um das Bett herum, geflügelte Cherubine hielten die Vorhänge, und silberne Adler spähten in den Raum hinab. Die Adler standen für Scharfsichtigkeit und majestätische Würde, und mit den Cherubinen verband man Wachsamkeit. Deshalb waren sie oft mit Augen übersät. Hier, zwischen dem Bett und dem Fenster mit Ausblick auf die Themse, wob der König sein eigenes Netz geheimer Politik, und der Begriff der »Hintertreppenintrige« fand Eingang in den Sprachgebrauch. Viel mehr, als sein Vater oder sein Großvater es je getan hatten, nutzte Charles sein Schlafgemach als politische Bühne: Es passte zu seinem verschlossenen Wesen und gab ihm die Freiheit zu handeln, ohne den Bürokratenapparat davon in Kenntnis zu setzen. In diesem Schlafgemach wurden Karrieren gemacht und Karrieren zerstört.

      Über eine Privatsphäre verfügte der König nur in sehr beschränktem Maße, selbst sein Schlafzimmer diente den Staatsgeschäften, doch den leutseligen Charles schien das nicht zu stören. Er rühmte sich seines formlosen Regierungsstils und der Tatsache, dass er für sein Volk stets erreichbar sei. Unmittelbar nach seiner Wiedereinsetzung war festzustellen, dass der König Whitehall für alle Besucher öffnete, für Gesandte, Bittsteller und Gratulanten aus dem ganzen Land, aber auch für diejenigen, die nur die reine Neugier trieb. Manche wiederum kamen in der Hoffnung, von ihm berührt zu werden, weil sie an der königlichen Krankheit litten, wie man damals die Skrofulose nannte. »Den ganzen Tag über gleicht Whitehall einem Jahrmarkt«, kommentierte ein Hofangehöriger; und doch wurde jeder vom König mit der üblichen Freundlichkeit und guten Laune empfangen. Nicht einmal in Ruhe zu Abend zu speisen war dem König vergönnt, denn während der Jahre seiner Regentschaft strömten die Menschen in Scharen auf die Galerie des Bankettsaals, um ihm bei Tisch zuzuschauen. Wenn es ihn nach Privatsphäre verlangte, musste er sich schon in sein Kabinett zurückziehen, zu dem niemand ungebeten Zugang erhielt. Hier bewahrte er auch die Dinge auf, an denen sein Herz hing, unter anderem eine Sammlung von über einhundert Chronometern und Uhren, die in »perfektem Nichteinklang« tickten und schlugen.

      Es gab auch im wortwörtlichen Sinn eine Reihe von Hintertreppen. Sie führten vom Fluss aus direkt ins Schlafzimmer des Königs, das für Begegnungen amouröser wie politischer Natur gleichermaßen diente. Die peinliche Kontrolle über diese Treppen oblag William und Barbara Chiffinch, zwei recht schillernden Persönlichkeiten unter den königlichen Bediensteten, die zu gegebener Zeit gut Freund mit Nell Gwyn werden sollten. William war königlicher Kammerherr, Hüter der königlichen Privatgemächer und Wächter über die Hintertreppen seiner Majestät; seine Frau war schlicht und einfach die Madam Ross des Königs, seine Kupplerin, die genau Buch führte über all jene Frauen, die irgendwann einmal sporadisch oder regelmäßig diese berühmten Hintertreppen hinaufgestiegen sind, um dem »allgemein bekannten Feind der Jungfräulichkeit und Keuschheit, dem König von Großbritannien« Abkühlung zu verschaffen. (Leider sind diese Register verloren gegangen.)

      Das Schlafgemach war also die königliche Arena für geheime politische, aber auch für sexuelle Transaktionen, doch Whitehall wäre nicht Whitehall gewesen, wenn sich die Gerüchte über die Ausschweifungen des Königs und in geringerem Maß auch über die Hintertreppenverhandlungen nicht sehr rasch verbreitet hätten. Denn trotz seiner angeborenen Neigung, die Dinge für sich zu behalten, konnte Charles sich oft überraschend und unverhohlen taktlos verhalten, sowohl gegenüber seiner Frau als auch gegenüber seinen Ministern, gerade so, als wolle er die tieferen Geheimnisse unter den eher offensichtlichen verbergen. (Kein Wunder also, dass sich dieser vollkommene Schauspieler leidenschaftlich zu begabten Schauspielerinnen hingezogen fühlte.) Das Schlafgemach war für den König ohne jeden Zweifel ein Ort der sexuellen und politischen Eroberungen, wobei seine Erfolge auf sexuellem Gebiet allerdings dazu angetan waren, seinem politischen Ruf zu schaden.

      Es dauerte nicht lange, und Whitehall stand im Ruf, ein Serail zu sein, wobei diese Art des Königs, seine Macht zu demonstrieren, manch einem als nicht akzeptabel, weil zu orientalisch erschien. In der Literatur jener Zeit mit ihrem Interesse am edlen Wilden ging man mit dem Thema nachsichtiger um, und meiner Ansicht nach war sogar Aphra Behns Oroonoko (der königliche Sklave) als eine verdeckte Anspielung auf Charles zu verstehen. Die Tatsache, dass er sich mit seinen Mätressen in aller Öffentlichkeit vergnügte, erregte einen großen Skandal. Selbst Pepys, seinerseits ebenfalls ein notorischer Frauenheld, äußerte sich beschämt über die Libertinage des Königs. Und wenn die Londoner Lehrlinge wie üblich an ihren freien Tagen über die Bordelle von Moorfields und East Smithfield herfielen, hörte man sie murren, das größte Hurenhaus von allen sei doch Whitehall selber.

      Während also der »Black Boy« in Whitehall den König spielte, fristete das Mädchen, dessen Name »strahlendes Weiß« bedeutete, ihr Leben in den Elendsvierteln rund um die Coal Yard Alley, wo sie vermutlich der Tätigkeit einer Aschenmagd nachging, d.h. sie sammelte die Asche ein und verkaufte sie als billiges Brennmaterial weiter. Das zumindest dachte der Verfasser des 1681 erschienenen Panegyrick, und später in jenem Jahrzehnt schlossen sich noch viele andere Satiriker seiner Meinung an. Andere wiederum sahen sie eher als Serviermädchen in einem Freudenhaus, wahrscheinlich in der Lewkenor’s Lane (der heutigen Macklin Street), Schnaps ausschenken, oder aber


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