Thomas Tuchel. Daniel Meuren
dem Platz zugeht.“ Aus der schwachen Rückrunde ziehen Rangnick und der Verein weitreichende Konsequenzen. So verlässt nicht nur der langjährige Spielmacher Perfetto den Klub. Die Ulmer holen zum Teil prominente Profis und unterstreichen so ihren Ehrgeiz, den Aufstieg endlich schaffen zu wollen. In Fritz Walter verpflichtet der SSV einen altgedienten Angreifer, der einst beim VfB Stuttgart Torschützenkönig in der Bundesliga war und gerade Arminia Bielefeld von der Dritten in die Erste Liga geschossen hat. Außerdem wechseln auch zwei renommierte Innenverteidiger nach Ulm, Rainer Stadler von Borussia Mönchengladbach und Rainer Widmayer von der SpVgg. Ludwigsburg. Und es kommt Alois Schwartz vom SV Waldhof Mannheim, Tuchels erster Kapitän im Profifußball bei den Stuttgarter Kickers. Wie innovativ Rangnick seine Mannschaft führt, bemerkt der damals 30 Jahre alte Schwartz sofort. Nach der Vorbereitung verlässt er Ulm und zieht zum FC Homburg weiter. „Ich war nur sechs Wochen da – Ralf Rangnick und ich, das hat nicht so gepasst. Er hat schon besondere Ansichten gehabt damals, das meine ich aber nicht böse. Ich bin da als 30-Jähriger hingekommen und bin wie ein 18-Jähriger behandelt worden. Rangnick wollte alle Spieler gleich behandeln, aber jeder hat eben seine eigene Geschichte“, sagt Schwartz, der als Kollege später ein normales Verhältnis zu Rangnick pflegt.
Für Tuchel verändert sich durch die starke Konkurrenz sein Stellenwert im Team. Er verliert seinen Stammplatz und wird von Rangnick in den ersten zwei Saisonspielen nur eingewechselt. Danach muss Tuchel verletzungsbedingt aussetzen. Dass damit bereits der Anfang vom Ende seiner Spielerlaufbahn eingeläutet wird, ist ihm damals nicht bewusst. Die Diagnose klingt zunächst harmlos: Verletzung am Mittelfuß. Doch irgendwie kommt Tuchel nicht wieder auf die Füße, die Schmerzen bleiben, und er findet nie mehr nachhaltig den Weg zurück ins Mannschaftstraining. Selbst eine fünf Monate lange Aufbauphase im Reha-Zentrum Eden in Donaustauf bringt keine Besserung – obwohl das Eden, dessen Inhaber Klaus Eder der damalige Physiotherapeut der deutschen Fußballnationalmannschaft ist, als eines der besten Rehabilitationszentren für Profisportler im Land gilt. Es ist die Hölle für Tuchel, der den Traum von Bundesligaeinsätzen noch träumt. Tuchel, erzählt Wölki, habe damals sehr niedergeschlagen gewirkt. Trotz der Quälerei wird es nicht besser. Am Ende ist die nach vielen Untersuchungen gestellte, neue Diagnose niederschmetternd: Knorpelschaden unter der Kniescheibe in Kombination mit einer chronisch vernarbten Patellasehne. Das bedeutet das Aus für Tuchels Fußballerkarriere. Nach nur 68 Einsätzen in der Dritten und nur acht in der Zweiten Liga! Mit nur 24 Jahren! Jeder, der erlebt hat, was es bedeutet, eine Leidenschaft nie mehr ausleben zu können, kann nachempfinden, wie sich der junge Fußballer damals fühlt.
Tuchel hatte dem Sport alles untergeordnet, wegen der Belastung als Fußballer ein Englisch- und Sportstudium ebenso wie eine Ausbildung zum Physiotherapeuten abgebrochen. Er wollte als Spieler unbedingt in die Bundesliga. Nun ist der Traum ausgeträumt. Viel Geld hat Tuchel nicht auf der hohen Kante, und von der Berufsgenossenschaft ist nichts zu erwarten. Diese ordnet sein Leiden nicht als Arbeitsunfall ein, sondern als Verschleiß – und zahlt keinen Pfennig. „Für alles war ich versichert, nur für diesen einen miesen Fall nicht“, hadert Tuchel mit dem Ende seiner Karriere als Spieler. Um sich über Wasser zu halten, nimmt er Gelegenheitsjobs an, kellnert in einem Café in Ulm, sortiert Brötchen in einer Bäckerei. Als Tuchel fast 17 Jahre später bei Borussia Dortmund als neuer Cheftrainer vorgestellt wird, titelt die in Ulm ansässige Südwestpresse: „Vom Brötchensortierer zum Millionär“.
Während Tuchel seinen Lebenstraum beerdigen muss, spielt Oliver Wölki beim SV Darmstadt 98. Sie treffen sich nicht mehr so häufig, telefonieren aber regelmäßig miteinander. Wölki sagt: „Thomas war immer einer, der wusste, was er wollte. Nur in diesem Moment, als seine Laufbahn als Spieler zu Ende ging, da war er verzweifelt und wusste nicht, wie es weitergehen sollte.“ Tuchel entscheidet sich für einen kompletten Neuanfang in einer anderen Stadt und weg vom Fußball: Er zieht nach Stuttgart, um BWL zu studieren.
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