Ehrenmord - Schweden-Krimi. Björn Hellberg

Ehrenmord - Schweden-Krimi - Björn Hellberg


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wusste genau, wie er seinen schwedischen Freund packen konnte. Die beiden kannten sich inzwischen in- und auswendig. Nach dem Bier (Wall lehnte die Einladung zu einer dritten Flasche dankend ab) richtete er sich in seiner Stammwohnung in dem Eckgebäude zwischen den beiden Gärten des Släktsgårdens ein. Die Wohnung verfügte über zwei kleine Zimmer und ein Bad. Die Küche befand sich direkt davor, was einerseits ganz praktisch und bequem war, andererseits aber auch gewisse Unannehmlichkeiten mit sich brachte. Denn noch andere Gäste hatten Zugang zur Küche, da konnte es schon mal etwas lauter werden. Wall notierte sich, dass er Ohropax kaufen musste. Er wollte schließlich ungestört schlafen können.

      Der Kommissar packte seine Taschen aus und legte seine frisch gewaschenen und gebügelten Kleider in ordentlichen Stapeln in den Schrank und die Kommode. Die Bücher stapelte er in zwei Haufen auf dem Nachttisch, und den Inhalt seiner Kulturtasche verteilte er auf die dafür vorgesehenen Plätze im Bad.

      Dann holte er seinen Urlaubsschnaps – einen Aalborg Jubiläumsaquavit und einen Absolut Wodka – heraus und stellte die Flaschen in den Kühlschrank in der Küche. Das tat er ohne die geringste Sorge.Während all der Jahre war ihm nie auch nur ein Tropfen seiner Vorräte aus dem Kühlschrank, der von allen Gästen in diesem Teil der Pension benutzt wurde, abhanden gekommen.

      Die Sonne brannte mit unveränderter Intensität vom Himmel, und Wall beschloss, es sich auf einem der Liegestühle in dem vor Blicken am besten abgeschirmten Garten gemütlich zu machen.

      Er steckte sein rundes Gesicht durch die Tür und stellte fest, dass es in dem von Hecken umgebenen Garten menschenleer war. Ausgezeichnet. Also ging er zurück in seine Wohnung, zog sich Shorts und T-Shirt an, schnappte sich das oberste Buch von einem der Stapel und begab sich hinaus in den leeren Garten.

      Obwohl er ganz allein war, bewegte er sich nur vorsichtig, wollte seine kreideweißen Beine voller Krampfadern keinen fremden Blicken preisgeben. Zwar war er nicht übertrieben eitel, was sein Äußeres betraf, aber jeder hatte ja so seine Schwachstellen, die er nicht gern in der Öffentlichkeit zeigte.

      Er brauchte wirklich dringend einige Sonnenstrahlen. Sein leichenblasses Hautkostüm konnte kaum als besonders kleidsam bezeichnet werden. Nach einigen Mühen (er hatte noch nie besonders viel praktisches Geschick bewiesen) hatte er den Liegestuhl in Position gebracht. Er warf ängstliche Blicke in alle Richtungen und traf dann eine Entscheidung: das T-Shirt herunter und die Shorts noch ein Stück die dicken Schenkel hoch geschoben.

      Mit einem zufriedenen Seufzer sank er auf den Liegestuhl und nahm sich vor, mindestens drei Kapitel zu lesen. Aber in der brütenden Hitze wurde er schnell von Müdigkeit übermannt. Schon nach kaum fünf Minuten begannen seine Augenlider zu zucken.

      Er schloss die Augen und ließ das Buch ins Gras fallen, schließlich hatte er Ferien und konnte tun und lassen, was er wollte.

      Und so versank er in einen Dämmerzustand irgendwo zwischen wach sein und Schlaf.

      Die Zeit verging

      Plötzlich zuckte er zusammen, von irgendeinem Geräusch aufgeschreckt. Verwirrt suchte er nach etwas, um sich zu bedecken – er wollte nicht, dass eine unschuldige Person von dem Anblick einer fast nackten, albinoweißen Erscheinung, die sich in einem Liegestuhl lümmelte, schockiert wurde.

      Zwar konnte er niemanden entdecken, begriff aber schnell, was ihn geweckt hatte. Durch eines der Fenster aus dem ersten Stock der Pension drangen immer wieder verzückte Laute nach draußen. Wall schielte zu dem Fenster hoch, das geöffnet war und die unmissverständlichen Geräusche eines feurigen Liebesaktes herausließ – und dieser verlief nicht gerade leise.

      Es wurde gestöhnt und gequiekt, gejammert und geknurrt, geseufzt und gekeucht, gewimmert und geschrien.

      Die weibliche Stimme war am besten zu hören. Ab und zu stieg sie in ein schrilles Falsett auf.

      Wall fühlte sich wie ein Eindringling. Es war, als läge er absichtlich gerade hier, um zu lauschen und zu spionieren. Das erzeugte in ihm ganz gegen jede Logik ein Schuldgefühl und das Empfinden, etwas Unanständiges zu tun. Gleichzeitig ließ ihn dieser Hochgenuss, der sich so schamlos und offen direkt in seiner Nähe zutrug, auch nicht ganz kalt. Er begann sogar darüber nachzudenken, ob er nicht selbst einen Vorstoß in dieser Richtung unternehmen sollte. Unmöglich war das schließlich nicht. Nur weil er Junggeselle war, musste er sich doch ein wenig körperliche Nähe und Wärme als Abwechslung in seinem einsamen Dasein nicht versagen. Während seiner früheren Bornholmbesuche hatte er das eine oder andere Techtelmechtel mit geneigten Damen gehabt, war jedoch immer sorgsam darauf bedacht gewesen, sich nicht zu binden. Die Vergnügungen waren rein temporärer Art gewesen, mehr nicht. Bei diesen Kontakten war er in einem Punkt standhaft geblieben: Er hatte niemals eine Affäre mit einer Frau begonnen, die bereits gebunden war. Niemand sollte ihn beschuldigen können, sich zwischen zwei Menschen zu drängen.

      Nun war es natürlich schon eine ganze Weile her, seit er das letzte Mal in den Genüssen einer körperlichen Begegnung geschwelgt hatte, aber es war ja dennoch denkbar, dass er ganz zufällig auf eine freie, Kontakt suchende Dame im entsprechenden Alter stoßen würde. Und dann ...

      Das Keuchen aus dem ersten Stock inspirierte ihn, gleichzeitig hatte es aber auch einen abschreckenden Effekt. Tatsächlich fürchtete Wall sich vor der Leistung, die eine viel versprechende (und im schlimmsten Fall fordernde) Partnerin von ihm erwarten würde, weshalb es wohl am sichersten war, gleich einen Rückzieher zu machen.

      Jemand schrie schrill und erregt auf Schwedisch:

      »Bleib drin, bleib drin, geh nicht raus.«

      Die rauere Stimme eines Mannes, dänisch, informierte die Umwelt darüber, dass er gleich kommen würde, und kurz darauf drangen an Walls Ohren Geräusche, die nur das Eine bedeuten konnten.

      »Wie schön, dass mein bescheidenes Haus so nette Unterhaltung bieten kann.«

      Arvid Iversen trat verschmitzt lächelnd aus der Küchentür, und Sten Wall streckte sich automatisch nach seinem T-Shirt. Der Pensionswirt hatte Harke und Spaten in den Händen, er war offenbar auf dem Weg zu dem gartenhausähnlichen Schuppen an der Mauer zur Straße hin.

      Er nickte zum ersten Stock hoch, wo das Fenster jetzt geschlossen wurde. Kurz war ein weißer Arm zu sehen, der gleich wieder verschwand.

      »Die Vorstellung ist offensichtlich zu Ende«, sagte Wall und versuchte seine überbordenden Schenkel, so gut es ging, mit Hilfe des Buchs und der Hände zu bedecken.

      Iversen legte seine Gartengeräte auf den Boden, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.Wall wäre am liebsten hineingegangen, um sich anständig anzuziehen. Es kam ihm vor, als hätten seine Schenkel während des Sonnenbads einen leichten Rosaton angenommen, und das Schweinchenhafte der Farbe verstärkte noch das Pathetische seiner Erscheinung. Er drehte sich zur Seite, damit der größte Teil seiner Krampfadern den Blicken des anderen verborgen blieb. Der Pensionswirt war in Redelaune. Er beklagte sich über den Bevölkerungsschwund auf seiner Heimatinsel. Wenn der Fortzug nicht gestoppt wurde, konnte das ernsthafte Konsequenzen haben.

      »Wir haben seit Jahrzehnten knapp 50000 Einwohner gehabt«, erzählte er. »Aber in den letzten Jahren sind wir immer weniger geworden. Bis jetzt ist das noch keine Katastrophe, aber es muss etwas dafür getan werden, dass die Bornholmer bleiben. Es gibt nicht genügend Jobs, die Ausbildungsmöglichkeiten sind unzureichend. Die Fischerei ist in beunruhigendem Maße zurückgegangen, und leider scheint auch der Tourismus abzunehmen.«

      »Na, ich tue jedenfalls, was ich kann«, meinte Wall und wurde mit einem breiten Grinsen belohnt.

      »Wenn alle so vernünftig wären wie du, dann gäbe es keinen Grund zur Klage«, sagte Iversen. »Aber da die Sommersaison ja nur so kurz ist, nur ein paar Monate lang, müssen die Pensionen und Hotels sehen, dass sie dann möglichst voll belegt sind. Ich habe immer noch ausreichend Gäste, vor allem im August, wenn die Deutschen kommen, aber sonst ist es weniger geworden. Wir haben Juni und noch vor zwei Jahren hatte ich zu dieser Jahreszeit fast alles belegt. Und guck nur, wie es jetzt aussieht! Dreißig von meinen fünfzig Betten stehen leer!«

      Wall warf aufmunternde und tröstende Worte ein, während sein Freund


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