Ehrenmord - Schweden-Krimi. Björn Hellberg

Ehrenmord - Schweden-Krimi - Björn Hellberg


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er (sicherheitshalber leicht getarnt) bereits gründlich studiert. Er war einfach ideal, ungestört und ruhig. Viele Rückzugsmöglichkeiten. Er konnte sich nichts Besseres wünschen.

      Wenn er nicht den Kopf verlor, konnte eigentlich nichts schief gehen.

      Und er dachte gar nicht daran, den Kopf zu verlieren.

      Ein wirklich gelungener Scherz.

      Das Opfer – er nannte ihn in Gedanken nie bei seinem Namen, sah ihn nur als seine zukünftige Beute an – hatte er ziemlich lange heimlich beobachtet. Sein Vorhaben wurde ein wenig dadurch erschwert, dass die Beute ziemlich unregelmäßige Gewohnheiten hatte; es wäre natürlich einfacher gewesen, wenn der Betreffende sich tagein, tagaus strikt an die gleichen Regeln gehalten hätte.

      Aber eigentlich beunruhigte ihn das nicht besonders.

      Bald würde es passieren.

      Sehr bald.

      Er fühlte, wie seine Aufregung wuchs, aber er beherrschte sie. Nichts – absolut gar nichts – durfte seine Selbstkontrolle in diesem empfindlichen Stadium stören.

      Einen Augenblick lang dachte er an den anderen, an den, der als Zweiter an der Reihe war.

      Aber sofort schüttelte er diese Störung ab.

      Eins nach dem anderen.

      Der Tod würde schon rechtzeitig zu beiden kommen.

      Jetzt ging es um Nummer eins.

      Der Mann zündete sich eine Zigarette an und lächelte zufrieden.

      Er war wie ein Raubtier, das eine Witterung aufgenommen hatte; ein Raubtier, das wusste, dass ihm der Beutezug gelingen würde.

      Und plötzlich sehnte er sich unbändig nach Aktion.

      Er konnte diese kontrollierte Hochspannung nicht länger ertragen.

       Warte nur noch ein kleines bisschen ab. Bald bekommst du deine Belohnung.

      Bald.

      Sehr, sehr bald.

      Er nahm genussvoll einige tiefe Züge, zerdrückte die halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher und stand auf.

      Und dann machte er sich auf den Weg, dem Sommerabend entgegen.

      Jetzt gab es kein Zurück mehr.

      Vom nächsten Tag an würde nichts mehr sein wie zuvor.

      Bill Elfvegren

      Jedes Mal, wenn Bill Elfvegren aus einem Kino kam, musste er an Olof Palme denken. Und da er ein Cineast war, geschah das ziemlich häufig.

      Der damalige Ministerpräsident war ja zusammen mit seiner Ehefrau Lisbeth auf dem Heimweg gewesen, nachdem er im Kino Grand in Stockholm Suzanne Ostens »Die Brüder Mozart« gesehen hatte, als das Schreckliche passierte. Er wurde auf der Kreuzung Sveavägen und Tunnelgatan von tödlichen Schüssen getroffen. Und nach seinem Ableben wurde er zum Ziel einer noch größeren Aufmerksamkeit, als sie ihm bereits während seiner Zeit als schwedischer Staatschef und international anerkannter Politiker und Friedenskämpfer zuteil geworden war.

      Ach, wenn doch er – der Starstaatsanwalt Bill Elfvegren – die Chance bekommen hätte, die Ermittlungen von Anfang an zu leiten! Dann würden sie nicht länger im Dunkeln tappen, dann wäre das schwedische Mordrätsel des Jahrhunderts schon lange gelöst. Aber er war damals, vor mehr als zwölf Jahren, natürlich noch viel zu grün und unerfahren gewesen: erst gute dreißig Jahre alt und am Anfang seiner Karriere. Widerstrebend musste er einräumen, dass sein Mangel an Erfahrung ein Hindernis für eine derartig gigantische und wichtige Aufgabe gewesen wäre. Außerdem hatte er die entscheidenden hohen Herren zu dieser Zeit, im Spätwinter 1986, noch gar nicht gekannt.

      Bill Elfvegren hatte einen unerschütterlichen Glauben an seine eigenen Fähigkeiten. Selbstvertrauen in Kombination mit einem unbezähmbaren Draufgängertum machte ihn zu einem anerkannten Fachmann, der bereits einige ansehnliche Erfolge vorweisen konnte. Sein Mangel an Beschełdenheit hatte ihm aber gleichzeitig viele Feinde verschafft. Als Diplomat und Lobbyist hatte er immer noch viel zu lernen.

      Viele fürchteten ihn aufgrund seiner Rücksichtslosigkeit und seiner Fähigkeit, sich wie ein Blutegel an einem Opfer oder einer Ermittlung festzusaugen.

      Das wusste er und darauf war er stolz. Es gab ihm ein ungeheures Gefühl der Macht.

      Dagegen hatte er keinerlei Ahnung davon, dass ihn sowohl seine Anhänger als auch seine Widersacher für ziemlich phantasielos hielten.

      Ja, ihm fehlte einfach die Phantasie, sich so etwas vorzustellen.

      In seiner Eitelkeit glaubte er, von seiner Umwelt verehrt zu werden. Die meisten Menschen in seiner Nähe waren doch nur Staffage, Marionetten, die er, davon war er überzeugt, nach eigenem Gutdünken lenken konnte.

      Und bis zu einem gewissen Grad war seine Arroganz auch berechtigt. Seine Meritenliste war schon recht imposant, seine Siege in den Gerichtssälen des Landes sprachen eine deutliche Sprache. Niederlagen gab es verhältnismäßig wenige zu verzeichnen, und außerdem besaß er die Fähigkeit, sie schnell zu vergessen, obwohl er ansonsten über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügte (er konnte die gesamten Darstellerlisten bekannter Filme herunterbeten ohne einen einzigen wesentlichen Namen zu vergessen). Dieses Gedächtnis konnte sich je nach Bedarf natürlich auch sehr trüb und kurz zeigen, in der Regel war es jedoch scharf und ausdauernd – ihm geschehenes Unrecht wurde beispielsweise lebenslang gespeichert, das vergaß er nie. Seine Philosophie besagte, dass nur die Erfolge zählten, nicht die Niederlagen. Natürlich hätte er eigentlich – wie er selbstsicher betonte – schon lange Oberstaatsanwalt sein müssen, aber es war sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ernennung erfolgen würde. Man konnte seine unbestreitbaren Fähigkeiten ja wohl nicht bis in alle Ewigkeit übersehen?

      Der hoch gewachsene, gut gekleidete Jurist hatte an diesem Montagabend einen ausländischen Actionfilm im Filmhuset am Sergels torg gesehen und schlenderte nun durch das Abendgewimmel zum Bahnhof, um von dort den Vorortzug nach Hause zu nehmen. Er wohnte seit drei Jahren in einem prachtvollen alten Holzhaus in Norrviken und bediente sich fast immer der öffentlichen Verkehrsmittel, wenn er Stockholm zum Vergnügen besuchte, es konnte ja sein, dass er noch Lust auf ein paar Biere bekam. Nur für das letzte Stück vom Bahnhof nach Hause nahm er ab und zu ein Taxi, obwohl seine Villa auch zu Fuß oder mit dem Rad gut zu erreichen war.

      Elfvegren war ein häufiger Gast in der Opernbar, und wenn alle Stricke rissen, gönnte er sich auch ohne Skrupel den kurzen Abstecher ins Café Opera eine Treppe tiefer. Er hatte nichts dagegen, sich unter die Leute zu mischen, die normalerweise hier verkehrten.

      Wenn es aber um die Arbeit ging, fuhr er meistens lieber mit dem Wagen, trotz der ewigen Parkplatzprobleme. Er war Besitzer zweier Autos: eines blutroten Chrysler Voyager 95 und eines Oldtimers, ein Audi aus den späten Sechzigern. Letzterer stand den größten Teil des Jahres in Sollentuna in der Garage, er war sein liebster Besitz. Nur zu besonderen Anlässen holte er seine Kostbarkeit heraus und ließ sie bewundern.

      Er war begeistert von Oldtimern und behandelte sie fast ebenso liebevoll wie seine vielen Frauen (um bei der Wahrheit zu bleiben: seine Geduld mit Motoren war größer als die mit Menschen). Früher hatte er einen Mercedes von 1957 besessen, aber den hatte er sich leider nicht länger leisten können. Mit blutendem Herzen hatte er ihn im vergangenen Herbst verkaufen müssen. Sicher, er stand finanziell gut da (er stammte aus einem verhältnismäßig wohlhabenden Haus und hatte ein gutes Einkommen), aber Zahlungen verschiedener Art forderten ihren Tribut.

      Bill Elfvegren verabscheute Sport, hasste die Fitnesswelle, hatte ein neutrales Verhältnis zu Computern, ihm fehlte das musikalische Ohr, und er war nur mäßig am Kartenspiel interessiert. Er war kein Gourmet, und es interessierte ihn nicht besonders, ob der Rotwein nun Raumtemperatur hatte oder eher kalt war. Er zog Belletristik allen Sachbüchern vor, ausgenommen, sie handelten von Autos, Film, Verbrechen oder der Rechtswissenschaft. Und allein die Erwähnung des Wortes »Gartenarbeit« ließ ihn frösteln. Deshalb hatte er einen alten Fischereibeamten engagiert,


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