Sie zu lieben. Eva Lejonsommar
erschlug die Katzenjungen, sobald er sie fand, und es half nichts, wie sehr sie auch für ihr Leben bat und bettelte.
Im Stall war das Melken in vollem Gang. Die Vakuumpumpe gab wie ein Metronom den Takt an. Die Milch gluckste weiß in den Schläuchen, die in die Milchkammer und von da in den Tank liefen. Die Kühe waren angebunden, die großen Köpfe bewegten sich über den Futtertrögen, die großen Hinterteile über der Urinrinne. Die mächtigen Körper dampften vor Wärme. Es roch nach Ammoniak und Silage. Marie schaute gerne die Kühe an. Sie hatte ein bißchen Angst vor ihnen, auch wenn sie angebunden waren, sie hielt deshalb Abstand und beobachtete sie nur. Sie fand, daß sie so eine eigenartige Ruhe ausstrahlten. Als ob sie sich in der Mitte einer Achse befänden, ruhig und unberührt, wie sehr es auch an der Peripherie schaukeln mochte.
Die Schiefertafeln, die über jeder Kuh hingen, waren eine Art Personalausweis mit Namen, Nummer, Geburtsdatum, Milchleistung, Fettgehalt der Milch, Inseminationsdatum, Datum des Kalbens und anderen Informationen, die aufgezeichnet werden mußten. Bengtsson taufte die Kühe. Es gab keine Blenda oder Blondie oder Stern. Aber es gab eine Kuh, die Anna, und eine, die Marie hieß.
Bengtssons Frau Signe lief zwischen drei Melkmaschinen hin und her und prüfte, ob eine Kuh fertiggemolken war. Sie strich über ein Euter, das schlaff und mit leeren Zitzen herabhing. Sie wog es in der Hand und drückte dann mit einer raschen Bewegung auf einen Knopf an der Unterseite der Melkmaschine, wodurch die Vakuumleitung gefüllt wurde und die vier Melkbecher wie eine welke Blume in ihre Hand fielen. Dann machte sie die Schläuche von den Leitungen an der Decke ab und ging zur nächsten Kuh.
Anna ging zu ihr und sprach ein paar Worte mit ihr. Nach einer Weile streckte sie ihren Kopf hinter einer Kuh hervor, und ein paar blinzelnde Augen lächelten Marie freundlich zu.
Marie lächelte zurück und vermutete, daß Anna gefragt hatte, ob sie die Kälber füttern durften.
Sie gingen in die Milchkammer und holten zwei grüne Eimer und einen großen Schneebesen von der Spüle und rührten die Milchersatznahrung an. Dann gingen sie mit den Eimern zu den Kälberboxen.
»Nein, ist das süß!« Das Kalb, das noch keinen Namen hatte, schaute Marie mit runden, braunen Augen unter langen Wimpern an. Es hatte einen weißen Stern auf der Stirn.
»Da mußt du reingehen und ihm ein bißchen helfen«, sagte Anna und stellte die Eimer in die Halterung der Kälberbox.
Marie kletterte über die Boxenwand zu dem Kalb, das gefüttert werden sollte. Erst bekam es Angst, wich aus und stieß mit dem Hinterteil gegen die Wand. Marie ging in die Knie und streckte die Hand aus. Sie sah, wie die Augen größer wurden und die Nasenlöcher sich weiteten. Es dauerte nicht lange, und das Kalb nukkelte an zwei Fingern und drückte sie gegen den Gaumen. Es saugte und schmatzte, aber es kam keine Milch. Marie versuchte, den Kopf in den Eimer zu lenken, es bekam auch ein paar Schlucke in den Mund, dann machte es eine zuckende Bewegung. Es schaute Marie an und muhte jämmerlich, und die Milch tropfte ihm vom Maul.
»Am Anfang ist es immer schwer, später geht es leichter«, versuchte Marie zu trösten. »Du mußt lernen, von unten statt von oben zu trinken und die Milch nicht durch die Nase einzusaugen und den Eimer nicht umzuwerfen, weil die Milch sonst ausläuft.«
»Ich möcht mal wissen, ob Bengtsson wohl noch auftaucht oder ob er die ganze Nacht auf seinem Traktor sitzen will.«
Anna hatte kaum ihren Satz zu Ende gesprochen, da hörten sie, wie Bengtsson seine Stiefel auf dem Zementboden vor der Milchkammer sauberstampfte.
Er war ein großgewachsener Mann um die Sechzig in einem grünen Overall. Er nahm die Schirmmütze mit Werbeaufdruck vom Kopf und strich sich über die Haare, mit einer Faust, so groß wie ein Vorschlaghammer.
»Feiner Besuch aus Stockholm!« grinste er, und jede Falte in seinem wettergegerbten Gesicht war zu sehen. Er kam zu ihnen und begrüßte zuerst Marie. Ihre Hand verschwand in der seinen wie in einem Baseballhandschuh, und es sah aus, als würde er einen dünnen Zweig schütteln, als er ihr die Hand gab.
»Du warst lange nicht da. Ich dachte schon, ich würde dich hier überhaupt nie mehr sehen, aber da habe ich mich geirrt.«
Er sprach in kurzen Sätzen. Als ob er Anlauf nähme, um eine schwere Tonne einen Abhang hinaufzurollen und über den Rand, wo sie dann mit einem schweren Poltern hinunterfiele. Bei Anna verschwand seine Unbeholfenheit ein wenig. Zwar strömten die Worte nicht gerade aus ihm heraus, aber sie kamen leichter und landeten weicher.
Auch Anna veränderte sich in Bengtssons Gegenwart. Sie verwandelte sich von einer sechsunddreißigjährigen Frau in eine viel jüngere und wechselte außerdem irgendwo im Teenageralter das Geschlecht. Wenn sie mit Bengtsson zusammen war, wurde sie ein zehnjähriger Junge. Sie steckte die Hände in die Gesäßtaschen und schaute ihn unter dem Pony hervor an, stieß mit der Stiefelspitze ins Stroh und erzählte von dem Haus, das sie angeschaut hatten, und fragte ihn vorsichtig, was er dazu meinte.
»Es ist viel Geld«, sagte er und kratzte sich im Nacken. »Aber wenn ihr es euch leisten könnt und das Haus euch gefällt, dann müßt ihr zuschlagen. Ihr müßt es als Investition in die Zukunft sehen.«
2
Marie zog das Fahrstuhlgitter zu und drückte auf den Knopf. Der Fahrstuhl brachte sie mit quietschenden Seilen ins Erdgeschoß. Sobald sie draußen war, füllte sie die Lungen mit Luft. Es war unerwartet kühl, und sie schlug den Mantelkragen hoch und ging mit großen, schnellen Schritten Richtung Stadt.
Gelbe und rote Blätter wurden über den Fußpfad unten am Wasser gewirbelt, als ob jemand sie an einer Schnur befestigt hätte, um mit ihnen zu spielen. Sie dachte an die Laubhaufen, die sie unter den Apfelbäumen bei Annas Eltern zusammengekehrt hatten, und fragte sich, ob Karin sie wohl weggeräumt hatte, nachdem sie gefahren waren, oder ob der Wind schneller gewesen war.
Marie machte einen Schritt zur Seite und zog die Füße nach wie ein Schlittschuhfahrer. Sie pflügte durch Berge von Laub, die aufgewirbelt wurden und über das Wasser davonflatterten. Sie lachte laut über ihr Benehmen und war beinahe glücklich.
Als sie zur St. Eriksgatan mit dem morgendlichen Berufsverkehr kam, war auch das Unbehagen wieder da. Helen Källberg würde im Lauf des Tages vorbeikommen und ein persönliches Gespräch mit allen Angestellten im Reisebüro führen. Offiziell hieß es, sie wolle ihre Mitarbeiter kennenlernen und umgekehrt. Aber es bestand der Verdacht, es sei nur ein Scheinmanöver, ein pfiffiger Schachzug aus dem Hauptquartier.
Der Branche ging es insgesamt nicht gut, und viele machten sich Sorgen um ihren Job, auch die freiesten Vögel, weil die unbesetzten Zweige, auf die man sich flüchten konnte, knapp wurden. Wenn es gelang, die Solidarität unter den Angestellten aufzubrechen, sie glauben zu machen, daß sie die eigene Haut retten konnten, wenn sie der neuen Chefin nach dem Mund redeten, würde es am Ende leichter sein, einzelne Leute herauszupicken. Wenn man die Gewerkschaft draußen halten konnte, versteht sich. Aber der Organisierungsgrad war schlecht. Sie selbst war auch nicht Mitglied, weil sie sich nicht mit ihrem Beruf identifizierte. Es war als vorübergehende Lösung gedacht gewesen, die jetzt permanent geworden war.
Obwohl sie von Anfang an mit dem Gedanken gespielt hatte zu kündigen, spürte sie jetzt doch, wie sich alles in ihrem Bauch zusammenzog, wenn sie daran dachte, daß sie vielleicht eine von denen war, die gehen mußten. Sie ließ sich oft krankschreiben. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrem Job – weder mit den Kollegen noch mit den Aufgaben. Sie ließ gerne andere zuerst das Telefon abnehmen und die Kunden oft wieder gehen, anstatt sie festzunageln, um zu einem schnellen Abschluß zu kommen.
Sie war eigentlich eine miserable Verkäuferin, und das wußte sie auch. Manchmal riß sie sich zusammen, wenn sie eine höhere Provision brauchte und es nicht über sich brachte, am Monatsende Anna um Geld anzubetteln. Aber sie schaffte es nie, sich über einen längeren Zeitraum zu motivieren. Sie konnte, wenn sie wollte. Aber sie wollte meistens nicht.
Irgendwie sehnte sie sich danach, daß jemand zu ihr sagte: »Dieser Job liegt dir nicht. Er hat dir noch nie gelegen und wird dir nie liegen. Es ist also am besten, du hörst gleich auf damit.«
Sie