Sie zu lieben. Eva Lejonsommar

Sie zu lieben - Eva Lejonsommar


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      »Schau mal nach der Lasagne. Ich glaube, sie ist bald fertig. Ich versteh gar nicht, warum es immer so viel Geschirr gibt.«

      »Weil ich versprochen habe abzuwaschen«, sagte Marie und prüfte die Lasagneplatte mit einer Gabel.

      »Wie fühlt es sich an?«

      »Bald fertig.«

      Anna stellte sich ans Küchenfenster und hielt auf der Straße nach Maggans altem Opel Ausschau.

      »Wo sie bloß bleiben?« sagte sie und schaute auf die Uhr.

      »Sie sind bestimmt zurückgefahren, weil Siv vergessen hat, Labans Futternapf auf den Boden zu stellen. Oder das Kaninchen hat das Telefonkabel durchgebissen, und sie können nicht anrufen und sagen, daß sie die Katze nicht ins Haus bekommen haben.«

      »Wenn sie die große Töle dabeihaben, verlasse ich die Wohnung nicht«, brummte Anna. »Dann könnt ihr ohne mich ausgehen. Er wird nicht noch mal was aus meinem Schrank anknabbern.«

      Anna korkte den Rotwein auf und ging dann ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen.

      Sie faltete die Jeans und legte sie in den Korb mit der Schmutzwäsche. Dann machte sie den Kleiderschrank auf, holte ein paar schwarze Jeans heraus und warf sie aufs Bett. Sie sah die Blusen durch und entschied, den letzen Spontankauf mit der Aufschrift »We shall overcome« auf dem Rücken einzuweihen.

      Sie zog die neue Bluse an und fragte sich bei jedem Knopf, was zwischen ihr und Marie nicht mehr klappte.

      Es war klar, daß die Beziehung nicht mehr so taufrisch und spannend war wie vor fünf Jahren, als die andere noch ein unerforschter Kontinent war. Jetzt war die Herausforderung nicht so sehr, sich gegenseitig zu verstehen, sondern viel mehr die eigene Persönlichkeit zu entdecken und weiterzuentwickeln. Und da war es wohl schiefgelaufen. Marie wagte sich nicht richtig in das Abenteuer. Sie war es gewohnt, daß andere die Spannung in ihrem Leben lieferten. Sie traute sich nicht, selbst die Expedition anzuführen, obwohl alles darauf hindeutete, daß es höchste Zeit war, Neuland zu betreten. Sie mochte ihre Arbeit nicht, sie war ständig müde und hatte nie Lust zu etwas, sie war oft ärgerlich und kurz angebunden, und Sex wollte sie auch nie. Sie ergriff auch keinerlei Initiativen, was das gemeinsame Leben betraf. Alles, vom Einkaufen über Putzen und Mit-dem-Geld-Auskommen, bis hin zu den Weihnachtskarten, der Urlaubsplanung und den Essenseinladungen überließ sie nur zu gerne ihr.

      Anna setzte sich aufs Bett, zog die Socken aus und schleuderte sie mit Kraft Richtung Wäschekorb. Wie immer, wenn sie ärgerlich war, traf sie nicht und mußte aufstehen und sie aufheben.

      Wenn sie nur an die Geige dachte, die sie Marie zum dreißigsten Geburtstag geschenkt hatte.

      Maries Mutter hatte nie Geld für eine Geige gehabt, außerdem hatte sie behauptet, das Gejaule würde ihre Migräne verschlimmern. Also hatte Marie nicht das machen können, wozu sie offenbar am begabtesten war, und so konnte sie hemmungslos und jederzeit im eigenen Unglück baden.

      Und da war es nur folgerichtig, daß sie die Geige nach einer Woche zerbrach und dann ein Jahr lang die Decke über den Kopf zog und sich in allem suhlte, was in ihrem Leben je kaputtgegangen war.

      Warum, warum, dachte Anna und zog frische Socken an, ging es nur nicht in Maries Kopf, daß man, um dahin zu gelangen, wo man hinwollte, mit dem ersten Schritt beginnen mußte.

      Marie goß sich ein Glas Wein ein und stellte es auf die Abzugshaube. Sie hatte eigentlich keine Lust auf Maggan und Siv. Es waren ursprünglich Annas Freundinnen gewesen, obwohl sie die beiden jetzt auch zu ihren Freunden zählte. Maggan war sehr unterhaltend, und auch Siv hatte ihre komischen Seiten. Aber gerade heute abend hatte Marie den Verdacht, daß es einen Hintergedanken für die Einladung gab.

      Sie hatte das Formular für einen Kreditantrag auf Annas Schreibtisch gefunden, als sie einen Reiseprospekt suchte. Was sie so wütend machte, war, daß die Formulare unter einem Stapel von Papieren von der Uni lagen. Als ob sie sie nicht sehen sollte.

      Marie trank einen großen Schluck Wein und steckte die Hände ins Spülwasser, daß es auf den Boden spritzte. Sie dachte, Anna sei eigentlich eine miserable Pädagogin. Eine von der Sorte, die ständig etwas übernahmen und anderer Leute Initiative abtöteten. Hoffentlich hatte sie mit ihren Schülern mehr Geduld. Sonst sollte sie aufhören, Lehrerin zu sein. Sie sollte vielleicht Geld damit verdienen, anderer Leute Leben zu verwalten, anstatt das in ihrer Freizeit zu machen. Dieser Kurs an der Uni hatte sie auch nicht runtergeschraubt. Es schien so, als ob sie sich um so mehr um andere Menschen kümmerte, je mehr sie zu tun hatte.

      Anna war so verflucht kompetent in allem, was sie tat, dachte Marie und zog den Stöpsel aus dem Spülbecken. Das einzige Gebiet, auf dem Anna keine Chance zum Brillieren hatte, war die Musik. Sie konnte nicht mal einen normalen Vierertakt halten. Außerdem hatte sie einen banalen Musikgeschmack.

      Marie nahm noch einen Schluck Wein und spürte, daß es sie überall am Körper juckte. Sie war schon die ganze Woche unruhig gewesen, seit dem Zusammentreffen mit Helen Källgren. Es saß wie ein Juckreiz direkt unter der Haut, und sie sehnte sich danach, sich zu bewegen, zu tanzen und sich zu betrinken.

      Anna stellte die Lasagne wieder in den Ofen. Sie war froh, daß die Gäste endlich aufgetaucht waren. Sie und Marie waren den ganzen Abend kurz vor einem Krach umeinandergeschlichen. Es brodelte unter der Oberfläche, viel hätte nicht gefehlt, und es hätte sich entzündet und gebrannt.

      Aber in Maggans Gegenwart legte sich die Wut. Man konnte nicht gleichzeitig wütend sein und lachen. Maggan erinnerte an einen Reporter in einer Lifesendung, der das Publikum bis zum nächsten Werbespot bei der Stange halten mußte. Und Siv folgte mit einem halben Schritt Abstand und hob auf, was Maggan übersprungen hatte, oder sortierte aus, was nicht zur Geschichte gehörte.

      Sie saßen nebeneinander auf der Küchenbank. Maggan, groß und breit, mit silbergrauen Haaren, die ihr lang über den Rücken fielen. Ein Überbleibsel aus den siebziger Jahren, mit Breitcordjeans, Gesundheitsschuhen und selbstgestrickter Wolljacke.

      Siv hingegen war klein und sehnig wie eine Bergbirke. Sie hatte helle, fast weiße Haare und kornblumenblaue Augen. Sie arbeitete in einer Baumschule, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Die übrige Zeit war sie unterwegs in ihren inneren Welten.

      Sie waren so verschieden, dachte Anna und goß ihnen Wein ein. War das das Geheimnis? Hatten sie sich deshalb gegenseitig behalten, ohne sich selbst zu verlieren?

      Anna schaute Marie aus dem Augenwinkel an. Sie stand an der Spüle und rieb Parmesan. Sie wollte Maggan und Siv nach dem Rezept fragen. Wie wurde man glücklich? Wie hielt man die Liebe am Leben?

      »Ich möchte einen Toast ausbringen«, sagte Maggan und erhob ihr Glas.

      »Du kannst vielleicht warten, bis alle sitzen«, wandte Siv ein.

      »Laß das Reibeisen, Marie, komm und setz dich!«

      Marie legte den Käse weg und spülte die Hände ab.

      »Worauf stoßen wir an?«

      »Wir stoßen auf dich und Anna an. Prost auf Anna und Marie! Und viel Glück für euer neues Haus.«

      »Auf dem Land wohnen ist sehr interessant, das habe ich oft gedacht, seit wir umgezogen sind«, stellte Maggan fest und wiegte sich so sehr mit dem Körper, daß der Wein im Glas rotierte.

      »Woran denkst du dabei?«

      »Ich denke zum Beispiel an die Nachbarin, die ich zu fragen pflege, wenn ich was nicht verstehe.«

      »Oder wenn du dir etwas borgen mußt«, fügte Siv hinzu und griff nach der Salatschüssel.

      »Ja, Britta hat immer eine Antwort oder einen Schraubenschlüssel für einen in Not geratenen Stockholmer. Außerdem backt sie wunderbare Mandeltörtchen.«

      Siv nickte zustimmend und schob eine Tomate in den Mund.

      »Ich hatte auf jeden Fall eine Menge Vorurteile gegen Leute, die auf dem Land wohnen«, fuhr Maggan fort. »Als ich neulich


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