Sie zu lieben. Eva Lejonsommar

Sie zu lieben - Eva Lejonsommar


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immer heftigeren und brutaleren Bewegungen. Marie folgte, als ob sie im voraus wüßte, wie der nächste Schritt aussah. Trotz des Eingespieltseins im Tanz wurde Anna den Gedanken nicht los, daß Marie nicht ihretwegen die Jacke ausgezogen hatte, nicht ihretwegen Kleider gekauft hatte, die eng am Körper anlagen und sehr viel Haut zeigten.

      Die schnelle Musik verebbte und ging in eine Schmusenummer über.

      »Setzen wir uns?« gestikulierte Marie und strich sich mit der Hand über die Stirn. Sie sah fröhlich und aufgekratzt aus. Der Pony stand ab, und feuchte Strähnen klebten an Stirn und Hals. Der Brustkorb hob und senkte sich, und die Haut über der Brust glänzte vom Schweiß. Die Hand mit glitzernden Ringen ruhte auf der vorgeschobenen Hüfte, den anderen Arm hatte sie hochgestreckt, so daß der Körper sich allen Blicken frei darbot.

      Für wen? dachte Anna und suchte in der Tasche nach der Garderobenmarke. Sie würde ein Taxi nach Hause nehmen. Es tat zu weh, Maries Sexualität zu sehen und zu wissen, daß nicht mehr sie es war, die sie zum Leben weckte. Sie war zu einem Tanzpartner reduziert, einem Vorwand, sich zu zeigen.

      Marie legte mit fragendem Blick den Kopf auf die Seite.

      Anna versuchte zu lächeln, konnte jedoch die Mundwinkel nicht bewegen und nickte deshalb Richtung Ausgang. Sie würde keine Szene machen. Noch nicht. Und ganz bestimmt nicht vor Publikum.

      5

      »Ich habe um zwölf Uhr eine Verabredung mit Helen Källberg.«

      Die Empfangsdame schaute sofort mit ihrem »Zu-Ihrer-Verfügung-Lächeln« hoch. Exakt so freundlich und so zuvorkommend, wie sie es im Charmekurs gelernt hatten. Es war kaum zu entscheiden, ob es echt war oder nicht. Aber es hatte die beabsichtigte Wirkung. Marie wurde sofort ruhiger.

      »Ich werde Helen sagen, daß sie Besuch hat«, teilte die Empfangsdame mit und lächelte das »Seien-Sie-sicher-daß-wir-uns-um-Sie-kümmern«-Lächeln. Dann nahm sie den Hörer ab, wählte eine Nummer und sagte, daß der Besuch da sei.

      »Helen kommt gleich. Sie können hier warten«, sagte sie und wandte sich dann dem Stapel Papier zu, der vor ihrem Computer lag.

      Marie setzte sich und versuchte, die Nervosität niederzukämpfen, indem sie den Teppichboden studierte. Sie stellte fest, daß er blau war. Blau wie die Farbe des Unternehmens, blau wie Himmel und Meer. Blau wie die Sehnsucht.

      Sie hatte oft über die erste Begegnung mit Helen nachgedacht. Daran, daß sie über ihre Zeit in Griechenland sprechen konnte, ohne Angstzustände zu bekommen. Es war im Gegenteil richtig befreiend gewesen, mit jemandem zu sprechen, der das Land kannte, die Kultur und die Menschen, aber auch die Situation des Fremden und Außenstehenden.

      Sie war nicht mehr nach Griechenland zurückgekehrt, nachdem sie damals mehr oder weniger geflohen war und geglaubt hatte, es nie wieder sehen zu wollen. Aber nach dem ersten Gespräch mit Helen waren die Bilder erneut aufgetaucht, die Bilder, die sie zur ersten Reise dorthin gelockt hatten.

      Endlich tauchte Helen aus einem Zimmer am Ende des Flurs auf. Sie trug schwarze Hosen und eine kurze Bolerojacke. Ohne den engen Rock, den sie beim letzten Zusammentreffen angehabt hatte, war ihr Gang natürlicher. Und sie begrüßte sie mit einem Lächeln, das sie nicht im Charmekurs geübt hatte. Es war ganz echt und schien sowohl Entzücken als auch Erwartung zu enthalten.

      »Willkommen im Allerheiligsten«, sagte Helen und blinzelte sie an, als sie ihr die Hand gab.

      Marie wußte nicht, ob das als Versuch gedacht war, die Statusschranke zwischen der Hauptverwaltung und den einzelnen Büros zu durchbrechen, oder ob es wirklich ein Flirt war, wenn auch hinter Ironie versteckt.

      »Du bist ja schon mal hiergewesen, ich brauche dir also nicht das Haus zu zeigen. Wir gehen erst mal in mein Zimmer. Ich hoffe, du hast noch nicht gegessen.«

      Marie schüttelte nur den Kopf. Sie hatte nicht einmal richtig gefrühstückt. Der verdammte Overdrive heulte in ihrem Körper. Sie hatte am Morgen nur eine halbe Schnitte Brot essen können.

      Die Hauptverwaltung war im obersten Stockwerk des Hauses untergebracht, und die Büros lagen in einer Reihe parallel zur Straße, sie hatten alle eine schräge Decke von der Zimmermitte zum Fenster. Helens Zimmer war doppelt so groß wie die anderen, aber es befanden sich noch zwei große Säulen darin, wodurch die Stellfläche sehr klein wurde. Das Zimmer sah auch nicht aus wie das Arbeitszimmer in der Hauptverwaltung eines Reisebürokonzerns. Es vermittelte eher den Eindruck von Chaos als von Arbeitsruhe und Ferienreisen.

      »Entschuldige, daß hier so eine Unordnung ist«, sagte Helen und nahm einen Stapel Kataloge von einem Stuhl, so daß Marie sich setzen konnte. Sie trug die Kataloge zu einem Tischchen und legte sie dort auf einen Packen Papier.

      »Du möchtest natürlich gerne wissen, worüber ich mit dir sprechen möchte. Magst du japanisches Essen?« Es war sicher nicht leicht, mit ihr zu leben, vermutlich war ihr nicht bewußt, welches Chaos sie verursachte, dachte Marie, und ihr Blick fiel auf das Foto auf der Pinnwand. Es war ein Ferienbild aus Griechenland. Sie erkannte Helen auf dem Bild, am ganzen Körper schön braun, den Kopf zurückgeworfen in einem befreiten Lachen. An ihrer Seite ein Mann, auch er braungebrannt, aber mit ganz blonden Haaren. Sie sahen gut zusammen aus, ein schönes Paar. Kinder hatten sie offenbar auch; ein Mädchen und einen Jungen im ersten Schulalter, die konzentriert direkt in die Kamera starrten.

      Marie spürte einen Stich von Neid. Sie hatte nie eine richtige Familie gehabt. Während ihrer Kindheit und Jugendzeit waren immer wieder Männer gekommen und gegangen. Das Leben mit Anna konnte man noch am ehesten Familienleben nennen.

      Sie hatten auch Ferienbilder, aber sie würden nicht einmal versuchen, sie am Arbeitsplatz aufzuhängen. Das würde doch nur für Gerede sorgen oder mit Schweigen übergangen werden.

      »Du mußt entschuldigen, daß ich am Telefon nicht sagen wollte, worum es geht. Ich hoffe wirklich, daß du dir keine Sorgen um deine Anstellung gemacht hast. Was ich mit dir besprechen will, ist ganz im Gegenteil eine Möglichkeit, in der Firma aufzusteigen.«

      Marie faltete die Hände im Schoß, um die Schmetterlinge ruhig zu halten.

      »Wir haben beschlossen, daß in diesem Stadium nur die direkt mit dem Projekt befaßten Personen informiert werden sollen«, fuhr Helen fort. »Aber soviel kann ich sagen, bei dem Projekt handelt es sich darum, die Umweltanforderungen, die Touristen und Umweltorganisationen an uns als Reiseveranstalter stellen, zu erfüllen.«

      Marie nickte schweigend zum Zeichen, daß sie verstanden hatte.

      »Die erste Reise nach Griechenland habe ich für Januar geplant. Und da würden wir etwa einen Monat bleiben. Dieses Projekt erfordert also, neben allem anderen, eine verständnisvolle Familie.« Helen legte den Kopf auf die Seite.

      »Bist du verheiratet?« fragte sie und blinzelte mit den Augen, als ob sie ihre Brille vergessen hätte.

      »Nein«, antwortete Marie etwas zögernd und spürte, wie sie sich in eine Untiefe schieben ließ, wo sie nur noch Wasser treten und weder auf der einen noch auf der anderen Seite Land gewinnen konnte.

      »Und hast du einen Freund?«

      »Nein, habe ich nicht«, sagte Marie. Sehr viel bestimmter.

      »Kinder?«

      »Nein.«

      Helen schien mit der Antwort zufrieden zu sein.

      Marie blinzelte in die Sonne, die sich in den Fenstern auf der anderen Straßenseite spiegelte. Die Luft war klar, aber es begann, kühl zu werden. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der erste Schnee fiel. Und dann würde es bis weit in den April hinein Winter sein. Wenn sie den Job mit Helen machte, wäre sie vielleicht einen Monat in dieser Zeit in Griechenland.

      Helen war auf dem Weg zum Restaurant bei Lindex reingegangen, um blaue Strumpfhosen zu kaufen. Marie kaufte ihre Sparpackungen immer bei H&M, man konnte sie doch nicht als Werbungskosten von der Steuer absetzen. Es war immer das gleiche mit diesen verdammten Strumpfhosen. Manchmal waren sie kaputt, ehe man sie überhaupt anhatte.

      Wenn


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