Sie zu lieben. Eva Lejonsommar

Sie zu lieben - Eva Lejonsommar


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sagte sie, das hätte ich auch. Erst war ich ein bißchen baff, aber dann fragte ich sie, ob sie meine, es hilft, wenn ich kalt dusche oder Holz hacke, wenn ich den Sog verspüre.«

      »Maggan dachte an den Sog in die Großstadt«, verdeutlichte Siv mit dem Mund voll grünem Salat.

      »Und woran dachte Britta?« fragte Marie und drehte zerstreut eine Haarsträhne um den Finger.

      »Britta dachte an etwas ganz anderes«, sagte Maggan lachend und verdrehte die Augen. »Aber das verstand ich nicht, bis wir noch eine ganze Weile über allerlei Vorurteile geredet hatten, wie sie entstehen und verbreitet werden.«

      »Manchmal bist du ausgesprochen langsam«, sagte Siv trocken.

      »Aber wer kann denn schon den ganzen Tag herumlaufen und an sich selbst als lesbisch denken. Da würde man ja verrückt werden.«

      »Deine Nachbarin muß ziemlich viel an dich als lesbisch gedacht haben. Hat dich das nicht geärgert?«

      »Man kann auf eine Bauersfrau nicht böse sein. Auf jeden Fall nicht auf eine, die sagt, Vorurteile seien wie Wiesenhafer: Er gleicht der echten Saat, hat jedoch keinen Kern.«

      Maggan wippte mit dem Glas, daß der Rotwein von Glasrand zu Glasrand sauste.

      »Ist das nicht das Zeug, das man von Hand sammeln muß?« fragte Marie und schob die Lasagne zu Anna hinüber.

      »Es ist sogar gesetzlich vorgeschrieben«, verkündete Anna und füllte ihren Teller. »Das habe ich meine ganze Kindheit lang im Sommer gemacht. Eine Krone pro Sack. Dann wurde das Ganze verbrannt.«

      Sie dachte daran, daß sie irgendwie auch in ihrem Unterricht Wiesenhafer sammelte. Auch das war eine schreckliche Plackerei, aber das einzige, was gegen Vorurteile half.

      Sie war nur so müde geworden. Bald unterstützten nur noch Barbro und ein paar vergessene Zielvorstellungen im Lehrplan ihre Art des Unterrichtens. Die Schule, so wie sie sie kannte, wurde eingerissen und von Grund auf neu gebaut. Das bedeutete eine unendliche Menge an Mehrarbeit, Verwirrung und Turbulenzen, und sie hatte oft gute Lust, einfach abzuhauen, auf alles zu pfeifen, aufs Land zu ziehen und Mohrrüben anzupflanzen.

      Aber sie tat es nicht, sie blieb und stritt für das Recht der Berufszweige auf einwandfreien Unterricht, für die Anschaffung von Geschichtsbüchern, in der die Menschheit in zwei Geschlechtern vorkam, und für Zusatzunterricht in Schwedisch für Schüler mit fremden Muttersprachen.

      Der Wind würde sich wieder drehen, wie immer, aber wie lange würde es dauern? Der Kurs an der Uni gab ihr Kraft und Wut, um weiterzukämpfen. Aber Lust und Freude, woher nahm sie die?

      Sie sah Marie auf dem Stuhl neben sich aus den Augenwinkeln an. Die Leggings, die sie letzte Woche gekauft hatte, legten sich um ihre langen Beine. Es sah gut aus. Marie konnte immer noch Sachen anziehen, die mehr hervorhoben als verbargen. Auch das Oberteil war neu. Es würde ihre nackten Schultern zeigen, wenn sie das Jackett auszog.

      Sie hatte Nylonstrümpfe an. Das bedeutete Pumps und mindestens zehn Zentimeter Größenunterschied.

      Anna trank einen Schluck Wein. Vielleicht ging sie nicht mit den anderen aus. Sie war eigentlich viel zu müde für das Getriebe in der Stadt. Es war immer so hysterisch. Als ob alle Frustrationen der Woche unbedingt in der Öffentlichkeit abgehandelt werden müßten.

      Beim ersten sich streitenden Paar würde sie ein Taxi nehmen und nach Hause fahren. Mit oder ohne Marie. Ihre Schwelle war nicht mehr sehr hoch. Das kam vom Alter. Sie hatte einfach zu viel gesehen. Zu viel Streit, Intrigen und Betrunkenheit. Und Verrat, so gemein, daß man nur staunte.

      Lesbische Frauen konnten so grausam sein. Vielleicht weil es unter ihnen keine mehr gab, die man treten konnte? Oder kam es von der psychologischen Konstellation zwischen Frauen? Oder war es bei allen Liebenden gleich? Gehörte es zu den Spielregeln der erotischen Liebe?

      Anna nahm noch eine Portion Lasagne und dachte, sie müsse nach den Feiertagen abnehmen.

      Sie fuhren mit dem Taxi zum Sveavägen. Anna bezahlte und ging dann zu den anderen, die sich schon angestellt hatten.

      »Warum lassen sie uns nicht rein«, hörte sie Maggan schimpfen, sie war einen Kopf größer als alle anderen.

      »Sie verzögern den Einlaß absichtlich, damit wir den vollen Eintritt bezahlen müssen«, antwortete ein rothaariges Mädchen in einer Lederjacke.

      »Wieviel Uhr ist es?« fragte jemand.

      »Fünf vor zehn«, antwortete jemand.

      »Verflucht, ich kann es mir nicht leisten, siebzig Kronen nur fürs Reinkommen zu bezahlen. Ich stehe schon seit einer Viertelstunde hier. Ich mach mir gleich in die Hose.«

      Ein Mädchen mit Punkfrisur und Lederrock versuchte, sich an den Türwächtern vorbeizudrängen. Sie argumentierte, bettelte, bat und beleidigte, bis sie endlich drin war.

      Je näher es auf zehn zuging, desto gereizter wurde die Stimmung in der Warteschlange.

      »Laßt uns rein, verdammt!«

      »Wir Frauen haben nicht so viel Geld wie die Schwulen!«

      Anna klappte den Mantelkragen hoch und dachte wie jedesmal in so einer Situation: Wenn jetzt ein Schüler vorbeikommt und mich hier stehen sieht.

      Dann ärgerte sie sich über sich selbst.

      Marie ließ die anderen am Tisch vor ihrem Bier sitzen und verschwand Richtung Diskothek. Sie spürte die Blicke, als sie am Rand der Tanzfläche stand und versuchte, so zu tun, als ob sie jemanden suche.

      Es war noch früh und das Gedränge noch nicht überwältigend. Aber Blicke und Gesten waren voller Spannung.

      Frauenkörper, die sich im Takt der Musik unter blinkenden Lampen bewegten. Manche steif und nur vor und zurück, als ob sie ständig an ihre Grenzen stießen. Andere nahmen die Herausforderung der Musik an, benutzten sie, um den Lebensraum zu erweitern.

      Aber die meisten Frauen standen um die Tanzfläche herum oder bewegten sich genau wie Marie unruhig durchs Lokal. Manche suchten sicher nach jemandem, mit der sie verabredet waren, aber die meisten zirkulierten wie in einem ewigen Kreislauf.

      Marie schaute in ein Paar braune Augen, die ganz nah vorbeikamen. Es war ein junges Mädchen, kaum über zwanzig. Sie drehte sich um, um zu sehen, ob Marie ihr nachschaute. Dann ging sie auf die Tanzfläche und wiegte die Hüften im Takt von Madonna.

      Worüber redet man hinterher mit ihr, dachte Marie. Über die Jugendarbeitslosigkeit? Sie bewegte sich von der Diskothek weg und schaute sich weiter um. Sie kannte ziemlich viele, aber keine, die sie direkt hätte ansprechen können.

      Das fehlte ihr.

      Ihr fehlte eine enge Freundin, mit der sie ihre Gedanken teilen konnte. Eine, die ihr zuhörte, wenn sie ihre Unruhe und ihre Zweifel Anna betreffend formulierte, ohne verletzt zu sein oder es weiterzutragen. Lena fehlte ihr und die alte Gruppe, die sie irgendwie verloren hatte. Und ihr fehlte ... Gott, wie allein gelassen sie sich fühlte. Es brannte in der Brust, als sie die Treppe hochstieg, sie mußte die Luft anhalten, um nicht zu weinen.

      Als sie in den zweiten Stock kam, ging sie zum Geländer und schaute auf das Atrium hinunter. Da unten wurde es allmählich voll. Wie so oft, wenn sie mit Anna ausging, spürte sie, daß sie alt wurde. Überall waren so viele junge Mädchen. Sie konnte auch kaum glauben, daß sie wirklich alle lesbisch waren. Man sah es ihnen nicht an, und doch küßten sie sich und flirteten, als ob sie nie etwas anderes gemacht hätten.

      Anna löste sich aus der Umarmung, schob Marie weg, machte einen Schritt zurück und zog sie im nächsten Takt wieder an sich. Dann drehten sie sich rückwärts, gingen auseinander und wieder in die Umarmung.

      Maries Haare flogen, ihre Wangen waren rot, Arme und Schultern nackt, und Anna dachte, daß Marie sehr schön war und bestimmt viele sie anschauten, wenn sie tanzten.

      Anna fragte sich, ob Marie das wußte und ob sie es wohl genoß. Ob das sie so lüstern aussehen ließ. Als ob das Wissen, beobachtet zu werden,


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