Ten Mile Bottom. Teodora Kostova

Ten Mile Bottom - Teodora Kostova


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ist ausgestiegen. Du kannst nirgendwo hin. Und wenn ich mir das Auto ansehe, bin ich ziemlich sicher, dass sie es nicht hier reparieren können. Es ist alles elektronisch, nicht wahr?«

      »Was ist alles elektronisch?« Mir war klar, dass ich wie ein Idiot klang, aber der Mann gab mir zu viele Informationen auf einmal. Ausfall der Servolenkung? Abschleppwagen? Einladung zum Tee? Was, wenn ich ein blutrünstiger Krimineller war, der es auf alte Menschen abgesehen hatte, und das hier nur Show war?

      »Das Servolenkungssystem in deinem Auto«, sagte der Mann langsamer und deutlicher als vorher.

      »Ich hab keine Ahnung«, sagte ich ehrlich und lehnte mich zurück. Das war ein verdammter Albtraum.

      »Alles klar«, sagte der Mann und klopfte mit der Handfläche auf die Tür. »Besorgen wir dir eine heiße Tasse Tee und rufen Hilfe. Das wird in Nullkommanichts erledigt sein.« Er lächelte mich an und kurz kam mir der Gedanke, dass er der blutrünstige Kriminelle war, der es auf junge und verletzliche Menschen abgesehen hatte, und sobald ich sein Haus betreten hatte, würde niemand meine Leiche finden.

      An diesem Punkt war es mir egal. Ich stieg aus, schloss unsinnigerweise das Auto ab und folgte dem Mann zu seinem Haus, das meinem gegenüberlag.

      ***

      »Du bist letzte Woche eingezogen, ja?«, fragte Mr. Grayson – oder Steve, wie ich ihn nennen sollte –, während er eine Tasse mit dampfendem Tee vor mir abstellte. Ich nickte und schloss meine Finger um die heiße Tasse, obwohl draußen fast achtunddreißig Grad waren. »Was führt dich nach Ten Mile Bottom?«

      Er sah mich über den Rand seiner Tasse hinweg neugierig an, während er vorsichtig einen Schluck trank.

      Ich zuckte mit den Schultern. »Ich brauchte einen Tapetenwechsel.«

      Ich rutschte auf dem Stuhl herum. Unter seinem suchenden Blick fühlte ich mich unwohl und ich fürchtete, dass er noch mehr Fragen stellen würde. Ich war diese ganze freundliche Nachbarschaftssache nicht gewohnt. Ich hatte in London fünf Jahre in meiner Wohnung gelebt und kannte die Namen meiner Nachbarn nicht, geschweige denn, dass ich ihnen bei einem heißen Getränk meine Lebensgeschichte erzählte. Scheiße, ich würde es als Erfolg betrachten, wenn ich einen von ihnen auf der Straße erkannte.

      Als hätte er mein Unbehagen gespürt, nickte Steve, eher zu sich selbst, und fragte: »Magst du Kuchen?«

      Der plötzliche Themenwechsel ließ mir schwindlig werden. »Sicher«, sagte ich.

      »Gut.« Er stand auf und ging zur Anrichte auf der anderen Seite der Küche, sodass er mir den Rücken zuwandte. »Meine Ruby liebt das Backen. Sie macht jeden Tag etwas, Gott möge sie segnen«, sagte er, als er Teller aus dem Schrank nahm. »Sie ist gerade bei ihrem Buchclub – hat gestern eine Pfirsich-Tarte für sie gebacken – und es wird ihr nicht gefallen, dass sie dich verpasst. Sie wollte rüberkommen und sich vorstellen, als du eingezogen bist, aber ich konnte sie aufhalten. Gib dem Jungen ein oder zwei Tage, um sich einzuleben, Liebling, hab ich ihr gesagt. Ich weiß, dass Stadtmenschen etwas schreckhaft werden, wenn man sie in die Ecke drängt.«

      Ich konnte das Lächeln aus seiner Stimme heraushören, obwohl ich ihn nicht sah. Unwillkürlich musste ich ebenfalls lächeln. »Woher wusstest du, dass ich ein Stadtmensch bin?«, fragte ich und malte Anführungszeichen in die Luft, als er sich mit den beiden Tellern in der Hand zu mir umdrehte.

      Steve antworte nicht, sondern hob nur eine seiner buschigen Augenbrauen. Er stellte die Teller auf den Tisch und ging dann zum Kühlschrank.

      »Vanillesoße?«

      »Ja, bitte«, sagte ich. Vielleicht war es doch gar nicht so schlecht, mit einer heißen Tasse Tee und einem Stück Kirschkuchen mit viel Vanillesoße auf den Abschleppwagen zu warten.

      Kapitel 6

      Der Pannendienst tauchte ungefähr eine Stunde später auf, genau wie Steve es vorhergesagt hatte. Der Typ warf einen Blick unter die Motorhaube, während Steve und ich zusahen, und verkündete, dass er hier draußen nichts machen konnte und das Auto in die Werkstatt bringen musste.

      »Ich vermisse es, wie sie früher gemacht wurden«, sagte er, knallte die Motorhaube zu und ließ mich zusammenzucken. »Man konnte fast jedes Problem lösen, indem man an das, was auch immer kaputt war, einen Draht gebunden hat. Jetzt braucht man Computer und Apps und was sonst noch.«

      Ich konnte mich nur mit Mühe davon abhalten, die Augen zu verdrehen. Mit Mühe.

      »Also…«, sagte ich gedehnt und deutete zwischen uns und dem Auto hin und her. Der Typ sah mich ausdruckslos an. »Gibt es in der Nähe eine Werkstatt?«

      »Bring ihn zu Bob«, sagte Steve zu dem Kerl. Er sah mich an, dann das Auto und nickte schließlich.

      »Scheint die beste Option zu sein.«

      Wer auch immer dieser Bob war, ich wollte so schnell wie möglich dorthin und mein Auto reparieren lassen. Nachdem ich so viel Zeit damit verschwendet hatte, auf den Abschleppdienst zu warten, mussten die Leute jetzt etwas Initiative zeigen und aufhören, so zu tun, als würde die Zeit in Ten Mile Bottom langsamer vergehen. Es war nicht überraschend, dass Steve den Abschlepper kannte – Howard? Harrison? – und während ich immer frustrierter wurde, unterhielten sie sich weiter am Straßenrand, als wären wir auf einem Familiengrillfest.

      Ich räusperte mich. Die beiden sahen mich an, als wäre ich ein Kind, das nach Aufmerksamkeit sucht.

      »Hätten Sie was dagegen, wenn wir fahren?«, fragte ich und deutete auf das Auto.

      Widerwillig seufzend verabschiedete sich Howard/Harrison von Steve und lud mein Auto auf seinen Anhänger. Bei dem Anblick, wie sie sich nicht allein bewegen konnte, an ein Seil gespannt und hilflos auf einen Truck gezogen wurde, hätte ich weinen können. Stattdessen schob ich das Gefühl beiseite und wandte mich an Steve.

      »Danke für den Kuchen und alles.«

      »Du wirst noch mal vorbeikommen müssen«, sagte er und sein träges Lächeln brachte seine Augen zum Leuchten. »Ruby wird dich auch kennenlernen wollen.«

      Ich verzog das Gesicht, sodass sich Steves Lächeln in ein breites Grinsen verwandelte. Der Mistkerl wusste, dass ich mich seinetwegen unwohl fühlte und es war ihm egal.

      »Sicher«, sagte ich hoffentlich unverbindlich.

      Die Fahrt zu Bobs Werkstatt war auf mehr als nur eine Art unangenehm. Howard/Harrison zwang mich, vorne in seinem Truck zu sitzen, wo wahrscheinlich nicht mehr sauber gemacht wurde, seit er das Ding gekauft hatte, und ich verbrachte die fünfzehnminütige Fahrt damit, allen Fragen auszuweichen, die er mir zuwarf. Ich war nie glücklicher gewesen, als ich keine hundert Meter entfernt das große blaue Schild mit der Aufschrift Robert Goodwin & Sons sah. Ich konnte nicht schnell genug aussteigen und überließ es Howard/Harrison, mein Auto abzuladen, damit ich zur Rezeption gehen konnte.

      Ein Typ, etwa so alt wie meine Eltern, saß hinter einem Tisch, klickte mit der Maus und starrte auf einen riesigen Bildschirm. Er trug eine dicke Brille, durch die seine grünen Augen riesig wirkten.

      »Alles klar?«, fragte er, als ich auf ihn zuging.

      »Ging mir schon besser.«

      Bob – vermutlich – lächelte mich an, nahm die Brille ab und deutete mit dem Kinn auf mein Auto, das gerade vor seinem Büro abgeladen wurde.

      »Ihres?«

      Ich nickte.

      »Was ist passiert?«

      Ich erklärte, was das Problem zu sein schien, während Bob mir einen Stuhl und Tee anbot. Ich setzte mich, lehnte aber den Tee ab. Als ich fertig war, griff er nach seinem Walkie-Talkie und bat jemanden namens Ben, hereinzukommen.

      »Mein Sohn sieht sich Ihr Auto in einer Minute an«, sagte er und musterte mich unauffällig. Ich konnte die Neugier in seinen Augen sehen, aber obwohl das Schicksal meines Autos in den Händen dieses Mannes lag, runzelte ich die Stirn und hoffte somit sein Bedürfnis, in meinem Leben herumzuschnüffeln,


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