Ten Mile Bottom. Teodora Kostova
das Lächeln der beiden so strahlend und glücklich war.
Bis ich alles ruiniert hatte. Mein bester Freund hatte mit vierundzwanzig einen Herzinfarkt, weil ich ihn mit mir nach unten gezogen und ihn dann zu Tode erschreckt hatte; meine Schwester hatte ihr ungeborenes Kind verloren, weil ich beinahe gestorben war und sie vor Sorge krank gemacht hatte.
Nie hatte ich mich mehr wie ein nutzloses, rückgratloses Stück Scheiße gefühlt.
»Du wolltest immer nur die großen Dinge«, sagte Aiden, nahm meine Hand und sah mich so zärtlich an, dass mir Tränen in die Augen stiegen. »Du dachtest immer, dass es keinen Zweck hat, ein Buch zu schreiben, wenn es nicht auf der ganzen Welt auf den Bestseller-Listen steht. Kein Zweck, vier Jahre an der Uni zu studieren, wenn du nicht mit Auszeichnung bestehst. Du strebst immer nach dem höchstmöglichen Punkt und setzt dich selbst zu sehr unter Druck, um sicherzugehen, dass du ihn erreichst.« Aiden hielt inne, um sich über die Lippen zu lecken, und tätschelte meine Hand. »Aber die Sache ist, sobald du dort angekommen bist, kannst du nicht mehr höher. Du kannst nur noch nach unten stürzen.«
Ich sah Aiden in die Augen, versuchte, meine Stimme wiederzufinden und etwas zu sagen, aber ich konnte nicht. Ich war am Ende meiner Kräfte, hatte keine Worte, keine Wut, keine Schuldgefühle mehr. Ich war leer und zerbrochen und verloren und ich brauchte etwas, irgendetwas, um mich wieder in der Gegenwart zu verankern, bevor ich ohne Rettungsleine davontrieb.
Ich fing an zu weinen.
Es war einer dieser gewaltsamen, hässlichen Ausbrüche; nicht unterdrücktes Schluchzen, das mich innerlich erschütterte und meine Seele schmerzen ließ. Ich war mir vage bewusst, dass Aiden mich hielt, aber ich war nicht sicher. Ich hatte solche Schmerzen, dass alles andere einfach nicht mehr existierte.
Kapitel 5
Es war ein wunderschöner Junimorgen und ich hasste jede Sekunde davon.
Ebenso wie in der vorangegangenen Nacht konnte ich nicht schlafen, also gab ich es um fünf Uhr morgens auf und stand auf. Mein neuer Vermieter hatte das Haus mit den Worten beschrieben, dass es etwas Liebe und Pflege brauchte, aber in Wahrheit war es ein verdammter Albtraum. Aiden hatte mich davon überzeugt, dass ich ein Projekt brauchte, eine mühselige Arbeit, um mich abzulenken und mir dabei zu helfen, meine Gedanken zu entgiften, und voilà, einen Monat später hatte ich ein Haus am Rand von Ten Mile Bottom gemietet – einer malerischen Kleinstadt in Cambridgeshire. Ich hatte eine Mietminderung erhalten, weil ich zugestimmt hatte, die ganze Arbeit allein zu machen.
Ich war nicht sicher, wen ich mehr hasste – Aiden, den Vermieter oder mich selbst.
Wahrscheinlich Aiden. Ich hatte zugestimmt, mein gesamtes Leben in London aufzugeben und der Mistkerl hatte mich die Stadt auswählen lassen, indem ich wahllos auf eine Karte gezeigt und den Namen der Stadt zum damaligen Zeitpunkt urkomisch gefunden hatte.
Ich seufzte schwer, als ich das Wohnzimmer musterte. Am Abend zuvor war es mir gelungen, die Hartholzböden – wahrscheinlich die einzig vernünftige Eigenschaft dieses Hauses – mit einem dicken Tuch abzudecken, um heute die Wände zu streichen.
Die Sache ist, dass ich nicht für solche Arbeiten gemacht war. Ich hatte nicht einmal herausgefunden, wie der Ofen in meiner Londoner Wohnung funktionierte. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch keinen Pinsel in der Hand gehabt und wollte nicht einmal daran denken, irgendetwas mit einem Hammer oder Schraubenzieher zu reparieren, und mit einer Flasche Bleiche in der Hand war ich eine Gefahr für die Umwelt.
Es war wirklich verlockend, jemanden anzurufen, der all die Arbeit machte, während ich einfach im Garten lag und ein Buch las, aber ich wusste, dass Aiden recht hatte. Wenn ich das tun würde, würden meine Gedanken wieder außer Kontrolle geraten und meine Angstzustände in die Höhe treiben. Ich musste die Arbeit selbst erledigen und vielleicht würde ich mich dann eine Weile nicht wie ein nutzloses Stück Scheiße fühlen.
Mit neu erwecktem Enthusiasmus ging ich in die Küche und nahm mein Tablet vom Tisch. Auf YouTube musste es doch Anleitungen zum Streichen geben, oder? Es konnte nicht so schwer sein, etwas Farbe auf einer flachen Oberfläche zu verteilen.
***
Es stellte sich heraus, dass es verdammt schwer war. Es gab so viele Dinge zu beachten, zum Beispiel, dass der erste Anstrich so gleichmäßig wie möglich war; dass die Ränder zur Decke und den Fußleisten mit militärischer Präzision abgeklebt wurden; dass man sich selbst mit der Menge an Farbe zurückhielt, damit man nicht mitten im Projekt mit leeren Händen dastand.
Beim letzten Punkt scheiterte ich kläglich. Mir ging bei der Hälfte der zweiten Schicht die Farbe aus. Eine Menge davon befand sich auf dem Boden, weil es verdammt schwer war, die Rolle vom Gitter zu nehmen, ohne dabei überall Farbe zu verteilen, selbst wenn es bei dem Typen auf YouTube so einfach und sauber ausgesehen hatte. Ich bekam sowieso Hunger, also entschloss ich mich für eine kleine Pause, um Mittag zu essen und bei einem Heimwerkerladen anzuhalten, um mehr Farbe zu holen.
Nach einer dringend nötigen Dusche und einem Klamottenwechsel stieg ich in mein Auto und hatte das Gefühl, wirklich etwas erreicht zu haben. Und diesen Moment suchte sich mein Auto aus, um mir den Mittelfinger zu zeigen.
Ich liebte dieses Auto. Das tat ich wirklich. Ohne sentimentalen Grund hatte ich eine absurde Verbindung zu diesem Auto. Der BMW M6 war das Erste, was ich mir mit der Vorauszahlung für meinen ersten Roman gekauft hatte. Das war vor fünf Jahren gewesen und ich liebte dieses Auto noch immer so sehr wie damals, als ich sie das erste Mal in dem funkelnden Autohaus gesehen hatte. Obwohl sie sehr temperamentvoll war, mich schon mehrere Mal am Straßenrand hatte stranden lassen und ich ihretwegen Unmengen an Geld für Reparaturen ausgegeben hatte, war es mir nie auch nur in den Sinn gekommen, mir ein anderes Auto anzuschaffen.
Bis zu diesem Moment. Der Motor schaltete sich automatisch ab und das rot blinkende Licht in Form eines Reifens auf dem Armaturenbrett fühlte sich an wie der letzte Tropfen Unglück in meiner erbärmlichen Existenz.
»Fuck!«, schrie ich, schlug auf das Lenkrad und traf aus Versehen die Hupe. »Ich hasse dich, du dämliches Scheiß-Auto!« Das dröhnende Geräusch der Hupe offenbarte die Wut in mir auf eine so perfekte Art und Weise, dass ich weiter darauf drückte, immer und immer wieder, während ich mein Auto verfluchte und schließlich körperlich und mental erschöpft war.
Ich ließ den Kopf aufs Lenkrad sinken, atmete tief ein und versuchte, mich zu beruhigen. Ein leises Klopfen am rechten Fenster erschreckte mich und ich zuckte zusammen. Mein Herz schlug wie wild, als ich mich dem Eindringling in meinem persönlichen Zusammenbruch zuwandte.
Ein Mann, wahrscheinlich Ende sechzig, starrte mich an und hatte den Finger gekrümmt, als würde er erneut klopfen wollen. Sorge und vielleicht etwas Vorsicht zeichnete sich auf seinem faltigen Gesicht ab, aber sein Blick war freundlich, als er mich durch die Scheibe hindurch musterte.
»Ja?«, sagte ich, als ich das Fenster runterließ und spürte, wie die Verärgerung in mir köchelte, aber es gelang mir, den alten Mann nicht anzufauchen.
»Alles in Ordnung, Kumpel?«, fragte der Mann, unbeeindruckt von meinem feindseligen Verhalten. Sein Blick glitt durch das Innere des Wagens, als würde er nach Hinweisen auf meinen Geisteszustand suchen.
»Mir geht's gut, danke«, sagte ich und wollte das Fenster schließen, besann mich dann jedoch eines Besseren.
»Sicher? Da blinkt ein rotes Licht an deinem Armaturenbrett«, sagte der Mann und zeigte auf das Licht, als hätte ich es verdammt noch mal nicht gesehen. Ich biss die Zähne zusammen. »Und du hast gehupt, als würdest du Hilfe brauchen.«
Ich funkelte ihn an, aber er lächelte nur und die Freundlichkeit in seinen Augen sorgte dafür, dass meine Verärgerung noch höher kochte.
»Hör mal«, sagte er, bevor ich die Möglichkeit hatte zu antworten. »Warum kommst du nicht auf eine Tasse Tee mit rein und wartest auf den Abschleppwagen? Du weißt, wie sie sind, es könnte eine Stunde dauern, bis sie hier sind und dein Auto aufgeladen haben.«
»Ein Abschleppwagen?«, fragte ich, als hätte ich das Wort noch