Die gelbe Mafia. Will Berthold

Die gelbe Mafia - Will Berthold


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er kannte und die sich längst bewährt hatten. Sie brauchten durchaus nicht immer aus dem eigenen Lager zu. stammen. In der Untergrundszene konnte es gelegentlich bei Topspezialisten zwischen den Fronten zu einer Art Kameraderie kommen – auch rivalisierende Journalisten tauschen gelegentlich zu gegenseitigem Nutzen ihre Informationen aus, wenn auch nicht alle.

      Einen rückhaltlosen Nachrichtenfluß zwischen Rivalen sollte es nach dem Willen der Bundesregierung nun erstmals in Deutschland geben. Seit die Gelbe Mafia nicht nur zu einer Gefährdung der Gesellschaft, sondern auch zu einem politischen Problem geworden war, hatte sich Bonn entschlossen, eine Sonderkommission Hongkong (HOKO) mit Spezialisten des Bundeskriminalamtes, des Verfassungsschutzes, des Bundesnachrichtendienstes und in enger Zusammenarbeit mit Interpol zu bilden, um das Feuer auszutreten, bevor es zum Flächenbrand wurde. Den HOKO-Vorsitzenden stellte das Bundeskriminalamt. Vom Staatsschutz und dem Bundesnachrichtendienst wurde je ein Stellvertreter delegiert. Ob die Zusammenarbeit zwischen natürlichen Konkurrenten, die am liebsten ihre eigene Giftsuppe kochten, klappen würde, bezweifelte der Kamikaze aufgrund seiner Erfahrungen.

      Kurz vor Seiner Abreise hatte er noch erfahren, daß der exzellente Kriminalist Kudemann HOKO leiten würde, aber der Spezialist bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens konnte auch nur mit den Zutaten kochen, die ihm gereicht wurden. Und viele Köche sind – wie sich Parker flapsig auszudrükken pflegte – auch viele Ärsche.

      Er verließ sich lieber auf seine glänzenden Querverbindungen. Er würde sie ein letztes Mal nutzen. Er hatte sich unumstößlich vorgenommen, nach Erledigung des Hongkong-Auftrags aus der Branche auszusteigen, so oder so. Er arbeitete wie immer auf eigene Faust, auch wenn er Blaurock versprochen hatte, sich zunächst zurückzuhalten und den albernen Touristen zu spielen, bis die Firma sicher sein konnte, daß er nicht beschattet wurde. Dann sollte er von einem bislang unbekannten Kontaktmann angesprochen werden. Ob er mit diesem Einweiser Weiterarbeiten würde oder nicht, läge dann in seinem Ermessen, und wie weit er HOKO-Weisungen folgen würde, wußte er noch nicht.

      In Hongkong leben ständig über 70000 ›Langnasen‹, Amerikaner und Europäer, dazu landen im Zwei-Minuten-Abstand in Kai Tak Großraumflugzeuge und pumpen Heerscharen von Touristen und Geschäftsleuten in die Stadt, in der Englisch und Chinesisch Amtssprachen sind. Es ist schwierig, gegen Menschen aus dem Reich der Mitte zu ermitteln, aber gegebenenfalls konnte der Untergrundmann auf ein Reservoir von ABC-Chinesen (American born Chineses) zurückgreifen, auf ethnologische Amphibien, die gleichermaßen mit amerikanischen wie chinesischen Verhältnissen vertraut sind. Adressen und die Verdachtsmomente hatte das Spionage-As im Kopf. Und Parker wußte aus Erfahrung nur zu gut, daß man Gegenspieler nicht nur durch Terror zum Schweigen, sondern durch entsprechende Geldangebote auch zum Reden bringt – zumindest die Helfershelfer. Außerdem konnte das HOKO-Team, wenn erst einmal die Anlaufschwierigkeiten überwunden waren, ihm sehr nützlich werden. Im übrigen beschäftigte er – hinter dem Rücken des Camps – seine eigenen Leute.

      Solange die Triaden-Bande ein ausschließlich chinesischer Geheimbund gewesen war, hatte es keine Überläufer oder Geständige gegeben. Zur Zeit aber stand die britische Kronkolonie durch Zeitdruck unter Zugzwang: Am 30. Juni 1997 würde Hongkong in das chinesische Riesenreich heimkehren, und in der geborgten Zeit bereiteten sich Millionäre wie Gangster – ironischerweise jeweils ziemlich genau Hunderttausend an der Zahl – sorgfältig darauf vor. Die Nabobs hatten fast alle schon eine zweite Staatsbürgerschaft erworben – Millionäre sind keine Asylanten – und den größten Teil ihrer Riesenvermögen ins Ausland verschoben, Auch der gelbe Mob war in den Export gegangen und hatte dazu Gweilos als Rechtsanwälte, Manager, Strohmänner und Lotsen benötigt – und diese weißen Komplizen würden mit Sicherheit gegen Folter, Verstümmelung und Bestechung nicht so abgehärtet sein wie echte Triaden.

      »Fasten your seat belts«, rief der Flugkapitän in das Bordmikrofon und forderte die Passagiere auf, das Rauchen einzustellen und die Sessellehnen in senkrechte Lage zu bringen. Die Gespräche verstummten. Vorübergehend kam die Angst als blinder Passagier an Bord.

      Parker griff lächelnd nach der Hand seiner Begleiterin. »Sei unbesorgt, Babs«, sagte er. »Jeder Hongkong-Pilot benötigt für den Airport Kai Tak eine Sonderlizenz, und die erhält er erst, nachdem er ein Dutzend Landungen ohne Passagiere überstanden hat. Wir haben heute keine Turbulenzen, keinen Monsun, der Smog über kowloon hält sich auch noch in Grenzen. Und Ostasien-Piloten sind die erfahrensten der Welt.«

      Babs nickte ergeben, zwang sich hinauszusehen. Nur noch der Düsenlärm war zu hören. Spätestens über der Ma Tau Chung Road wirkten die Passagiere taubstumm. Die Wolkenkratzer, zwischen denen die DC-10 zur Landung ansetzte, lagen so dicht beieinander wie die Sommersprossen im Gesicht einer Rothaarigen. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würden die Schwingen des Jets die langen Bambusruten durchschneiden, auf denen die Chinesen ihre Wäsche zum Trocknen aus den Fenstern hängen.

      Plötzlich war die Skyline durchbrochen, die Dächer der Wolkenkratzer lagen über der Maschine. Die DC-10 donnerte durch eine schmale Gasse und drohte mit den Flügeln bald links, bald rechts hängenzubleiben. Eine Zehntelsekunde zu früh oder zu spät konnte bei dem Höllentempo eine Katastrophe auslösen. Selbst erfahrene Globetrotter, abonniert auf Nervenkitzel, hatten jetzt starre Gesichter. Sie wußten, daß plötzliche Böen des Südostwinds den Riesenvogel gegen das Häusermeer von Kowloon schmettern könnten.

      Sekunden später endete der Spuk.

      Der Pilot setzte den Jet behutsam auf die einstmals berüchtigte, nunmehr aber in das Meer hinaus verlängerte Landebahn 13 auf und ließ ihn ausrollen-Die Reisegesellschaft fand ihre Sprache wieder und überlegte beim Aussteigen, ob der Abflug ebenso riskant sein würde. Die Reisenden gähnten sich den Druck aus den Ohren und bildeten eine Schlange vor den Schaltern der Royal Hongkong-Police, die auf Kokainschmuggler und auf Touristen mit mandelförmigen Augen dressiert waren, Chinesen in britischen Uniformen. Nach Weisung des Gouverneurs sollten sie gleichzeitig behutsam wie wirksam auftreten. Das Wort Kronkolonie, das für die nächsten Jahre noch immer zutraf, war bereits verpönt, politisch obszön.

      Der Kamikaze hängte sich bei Babs ein, spielte ein wenig zu betont den Mann an ihrer Seite, wiewohl ihr Honeymoon nur Tage dauern würde. Liebespaare bringen ein wenig Abwechslung in das Leben der Uniformierten. Ein kleinwüchsiger Polizist verglich mit geübtem Blick Parkers Paßfoto mit seinem Gesicht, nickte, schob das Dokument zurück, wünschte einen angenehmen Aufenthalt. Seine blonde Begleiterin betrachtete er etwas länger, jedoch nicht aus fahndungstechnischen Gründen.

      Die geschlossene Gesellschaft wurde von einem deutschsprachigen Chinesen empfangen, willkommen geheißen und nach Wunsch und Brieftasche auf die einzelnen Hotels verteilt. Gäste des vornehmen, wenn auch antiquierten ›Peninsula‹ hatten ein Anrecht darauf, von einem livrierten Chauffeur im hoteleigenen Rolls-Royce abgeholt zu werden. Die Nacht in einer Suite kostete an die tausend Dollar. Greenbacks natürlich, keine Hongkong-Dollar; die umgerechnet nicht einmal eine Viertel Deutsche Mark wert sind.

      Die Reisegruppe wohnte fast geschlossen im ›Ambassador‹, gleich hinter dem berühmten Hotel. Bereits in Singapur hatte Parker die ihm vom Zufall geschenkte Reisegefährtin überredet, sich in Hongkong wenigstens vorübergehend von den anderen abzuseilen und das fashionable Quartier ›Mandarin‹ zu beziehen. So mußten sie von Kowloon nach Hongkong Island fahren, auf die Insel, die der ganzen Region den Namen gegeben hatte und Regierungssitz geblieben war.

      Ein Taxi brachte die beiden auf einer untertunnelten Autobahn zur anderen Seite. Der Wagen schoß am Ende der Grofs Road wieder an die Oberfläche und strandete prompt im Verkehrsgewühl, wie ein Schiff auf dem Trockenen. Der Linksverkehr wurde zum Stehverkehr. Geschickt zwängte sich der Taxifahrer an den emporschießenden Betonklötzen vorbei, passierte die teuersten Bauplätze der Welt und Skyscrapers, auf deren Aluminiumhaut sich eitel die Sonne spiegelte und die Passanten blendete.

      Vom ersten Moment an spürten die Ankömmlinge Tempo, Rhythmus, Dynamik und Größenwahn der supervitalen Kronkolonie auf Sterbeetat.

      Fast sechs Millionen Einwohner – die meisten von ihnen ehemalige Flüchtlinge aus Rotchina – leben auf 1045 Quadratkilometer mit ihren 230 meist unwirtschaftlichen Inseln. Hier offenbarte sich die Wehrlosigkeit der Habenichtse im Würgegriff


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