Die gelbe Mafia. Will Berthold

Die gelbe Mafia - Will Berthold


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Zeil, der berühmten Einkaufsstraße inmitten der Stadt. Ein unansehnliches Gebäude in einem Hinterhof, im Schatten einer glänzenden Fassade das Büro einer Importfirma für Chinaporzellan und Jadeartikel. Seit Tagen war den Anliegern der üble Geruch, der aus dem eher schmuddeligen Gebäude kam, aufgefallen. Schließlich hatten sie die Polizei alarmiert. Der biedere Revierposten hatte sofort die Mordkommission verständigt, die wiederum, bereits wenige Minuten nach ihrem Eintreffen, weisungsgemäß die Hongkong-Kommission beim Bundeskriminalamt benachrichtigte.

      Vor dem Haus stauten sich die üblichen Gaffer, nur mit Mühe von Uniformierten zurückgedrängt. Die Ankömmlinge mußten sich eine Gasse bahnen, bevor sie das Haus betreten konnten, wo sie vom Hauptkommissar empfangen wurden, der die Mordkommission leitete.

      »Gut gemacht, Müllner«, begrüßte ihn Kudemann und reichte ihm die Hand. »Danke für die sofortige Meldung.«

      »Ich hätte sie Ihnen gern erspart«, antwortete der Beamte und ging zum Tatort voraus. »Es ist noch alles unberührt«, erklärte er. »Nur die Fenster mußten wir Öffnen, sonst wären wir in dem Gestank umgekommen.«

      Es bedurfte keiner weiteren Erklärung. Kudemann preßte sich ein Taschentuch vor das Gesicht. Blaurock folgte seinem Beispiel. Salewsky mußte sich übergeben, bevor er noch die Toilette aufsuchen konnte. Auch die Gesichter der abgehärteten Beamten der Mordkommission waren wie mit Grünspan überzogen.

      Die beiden Opfer lagen gefesselt auf dem Bauch. Die Mörder hatten ihnen um den Nacken einen dünnen Draht gelegt und die Schlinge so an den angewinkelten Beinen angebracht, daß sie sich selbst strangulieren mußten, wenn ihre Körperkräfte nachließen und die Erschöpfung die Beine nach und nach in ihre natürliche Haltung zwang. Es war ein langsamer, unvorstellbar grausamer Tod gewesen, den die beiden Chinesen erlitten hatten.

      Die Gesichter der beiden Toten waren bis zur Unkenntlichkeit aufgequollen, die Augen verdreht, die Lippen aufgerissen wie zu einem letzten Schrei. Die Täter hatten, um die Verwesung zu beschleunigen, ihre Opfer in nasse Tücher gewickelt, die Fenster geschlossen und die Heizkörper bis zur Höchststufe aufgedreht. Die Wohnung war zerwühlt, die Schränke aufgebrochen, die Schubladen herausgerissen; überall lagen Schriftstücke herum.

      Der Gerichtsmediziner richtete sich auf, trat mit angewidertem Gesicht ans Fenster, atmete heftig die frische Luft ein.

      »Wann etwa wurde der Doppelmord verübt?« fragte Müllner.

      »Das kann ich nur schätzen: vor acht, vielleicht auch nur sieben Tagen; möglicherweise liegt die Tat auch weniger lange zurück. Die hohe Temperatur im Raum hat mit Sicherheit den Zersetzungsprozeß beschleunigt. Gedulden Sie sich bis zur Obduktion, meine Herren«, bat der Gerichtsmediziner. »Mit Sicherheit kann ich Ihnen jetzt nur sagen, daß die beiden Opfer erwürgt wurden.«

      »Und zwar, weil sie gesprochen – oder geschwiegen haben«, versetzte Dr. Kudemann sarkastisch. »Mit Sicherheit.« Er sah dem Gerichtsarzt nach, der ging, als würde er fliehen.

      Bereits auf den ersten Blick ließ das abscheuliche Doppelverbrechen auf den chinesischen Triaden-Geheimbund als Täter schließen. Frankfurt und Hamburg waren im Modus operandi nahezu deckungsgleich. Dann allerdings ergab sich ein erheblicher Unterschied: Die Opfer im Hamburger Stadtteil Borstel waren fleißige, strebsame Geschäftsleute ohne Schulden gewesen, ohne Passionen, ohne Drogen und ohne Alkoholmißbrauch, in keinerlei Affären verwickelt. Nach Vermutung der Polizei waren sie ermordet worden, weil sie sich geweigert hatten, Schutzgelder zu bezahlen.

      »Aber hier«, erklärte der Kriminalist Müllner, »haben wir es mit Männern zu tun, die uns unter dem Namen Weng und Khum seit längerem bekannt sind, weil wir sie in Verdacht hatten, über Amsterdam Heroin und exotische Mädchen nach Deutschland einzuschleusen. Wir hatten Indizien, sogar einige Beweise, aber wir wollten keine Einzeltäter festnehmen, sondern den ganzen Ring auffliegen lassen. In der letzten Woche ist unserem Rauschgiftdezernat ein großer Coup gelungen. Es hat über hundert Kilogramm des berüchtigten Heroin 3 abgefangen – das ist diese Mischung von Rauschgift und Kaffee«, erklärte Müllner.

      Kudemann nickte. Er wußte, daß es sich beim brown sugar um einen typischen Exportschlager aus Hongkong handelte. »Und die beiden hatten damit zu tun?«

      »Möglich, sogar wahrscheinlich – aber keineswegs bewiesen«, antwortete der Hauptkommissar.

      »Keine Verhaftungen?« fragte Blaurock.

      »Zwei Verdächtige. Chinesen. Beide stumm wie Grabsteine. Ein dritter Mann, der öfter mit den beiden Toten hier zusammen gesehen wurde«, berichtete der Chef der Mordkommission weiter, »wir kennen ihn nur unter dem Namen Dschingis-Khan, ist flüchtig und vorläufig unser Hauptverdächtiger. Ich habe unverzüglich eine Großfahndung nach ihm ausgelöst.«

      »Gut«, erwiderte Kudemann. »Die holländischen Kollegen verständige ich über Interpol.« Er würde offene Türen vorfinden, er war der deutsche Verbindungsmann zu dieser Institution, die seit ihrer Gründung 1923, mit Sitz in Paris, erfolgreich bei allen grenzüberschreitenden Verbrechen – sofern sie nicht politisch motiviert waren – international zusammenarbeitet. »Noch etwas, Müllner«, verabschiedete er sich, »dehnen Sie die Fahndung nach Dschingis-Khan gleich noch auf die Krankenhäuser in Frankfurt und Umgebung aus …«

      »Krankenhäuser …«

      »Und auch auf private Arztpraxen, bei denen ein Mann mit unerklärlichen Verletzungen, zum Beispiel einem abgeschnittenen Ohr, abgeschnittener Nase oder Finger eingeliefert wurde und ziemlich unglaubliche Angaben macht, wie er dazu gekommen ist.«

      Der Hauptkommissar nickte verständnislos.

      »Ich hab’ da so meine Vorahnungen«, erklärte Kudemann sibyllinisch.

      Der Spezialist für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens hatte es nicht leicht gehabt, sich durchzusetzen. Jahrelang war vor der Öffentlichkeit von Polizei, Politikern und Regierungsstellen die Behauptung aufrechterhalten worden, es gäbe in Deutschland keine Verbrecherbanden nach italienischem Mafia-Vorbild. Berichte in Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen seien übertrieben und übliche Geschäftemacherei mit der Panik.

      Als es dann Kudemann und seiner Crew gelungen war, in Frankfurt die berüchtigte Eurogang, einen Ableger der Ehrenwerten Gesellschaft aus Sizilien, zu zerschlagen, ließ sich nicht mehr länger verheimlichen, daß Papas Kripo auf verlorenem Posten stünde, so es ihr nicht gelänge, neue Wege einzuschlagen und sich darauf einzustellen, daß Palermo auch am Main lag, Chicago auch an der Alster und Hongkong vielleicht an der Isar. Für ein Jahr hatte man Felix Kudemann zum FBI nach New York delegiert, um vor Ort die Praktiken der Bandenbekämpfung zu verfolgen. Die dortigen Cosa-Nostra-Familien – einmal 27 Morde in drei Tagen – hatten ihm deutlich vor Augen geführt, daß es den Mafiosi gelingen könnte, Polizei und Justiz in eine Unehrenhafte Gesellschaft zu verwandeln, so man den Anfängen nicht wehrte: Polizisten waren in New York und Chicago – und nicht nur in diesen Riesenstädten – gekauft, Staatsanwälte korrumpiert und Richter bestochen oder, sofern sie nicht mitmachten, auf offener Straße niedergeschossen worden.

      So weit war es in Deutschland noch nicht, aber die Ansätze konnte man nicht länger leugnen. Unter Federführung Kudemanns ging die Fahndung daran, die Kuriere aus dem Süden – Geldwäscher, Befehlsüberbringer oder Auftragskiller – zu überwachen. Nicht immer erfolgreich. Während man mit allen Mitteln versuchte, den Spaghetti-Mob niederzuhalten, war überraschend eine weit tödlichere Gefahr aufgetaucht: die Triaden. Ein chinesisches Gangster-Syndikat. Die Gelbe Mafia.

      »Wir haben zu lange gezögert, diese Leute wirklich ernst zu nehmen«, erklärte Kudemann seinen Mitfahrern auf dem Rückweg zum Bundeskriminalamt. »Wir hielten die Gangster mit dem Dreieck als Symbol für ein exotisches Phantom. Als eine engagierte chinesische Journalistin in Amsterdam einen Bericht über die Untaten der Triade KK geschrieben hatte, wurde sie tot aus einer Gracht gefischt.«

      Salewsky waren die Zusammenhänge ziemlich neu, aber Blaurock kannte sie. Er wußte, daß die fernöstlichen Verbrecher vom Brückenkopf Amsterdam aus in unglaublichem Tempo die Invasion nach Deutschland getragen hatten, zunächst mit drei Spezialitäten: Heroin-Vertrieb, Schutzgeld-Erpressung und Mädchenhandel.


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