Unsere Zukunft auf deiner Haut. E.M. Lindsey

Unsere Zukunft auf deiner Haut - E.M. Lindsey


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ein Gespräch zu werden, für das drei Pitcher notwendig sind.«

      Sam lächelte so breit, dass seine Wangen schmerzten, und er fühlte sich wie ein Depp, aber das war ihm egal. »Ja, Mann. Ich kümmere mich darum. Schreib deine Nummer da auf.« Er deutete mit einem Nicken zu einem Stapel Post-its, bevor er nach Tonys erstem Buch griff. »Ich könnte wirklich einen Drink vertragen.«

      »Ich auch«, sagte Tony. Sein Lächeln war ebenso breit.

      »Willst du mich verarschen?«, fragte Tony. Er hatte den Mund voller Pommes, die er sich gerade hineingestopft hatte, und den Blick starr auf Sam gerichtet. »Dein alter Herr hat diesen Mist gesagt? Der Mann war doch immer der Meinung, dass dir die Sonne aus dem Arsch scheint.«

      Sam zuckte mit den Schultern. »Mom auch. Es war… wie auch immer. Ich verstehe es. So ein Kind will niemand haben.«

      »Was? Du verstehst es? Nie im Leben, Mann«, sagte Tony und schüttelte den Kopf, dabei ballte er die Hände neben seinem Pommes-Körbchen zu Fäusten. »Wenn man ein Kind bekommt, dann mit allem, was dazu gehört. Nichts von diesem Damit habe ich aber nicht gerechnet-Bullshit.«

      »Du weißt ja nicht, wie es ist«, versuchte Sam, sie zu verteidigen. Ein Teil von ihm war am Boden zerstört gewesen, weil seine Eltern sich einfach nicht mehr für ihn interessierten, bis er es einfach leid gewesen war, ein halbes Leben zu leben, und abgehauen war. Ein anderer Teil von ihm versuchte, mit ihnen zu fühlen, denn es war nicht leicht, so zu leben. »Es ist nicht wie… Es ist nicht nur, dass man Rampen im Haus braucht und Autos mit Handpedalen. Es ist so viel mehr, Mann. Es ist… Fuck. Es ist ermüdend.«

      »Ich werde nicht so tun, als hätte ich eine Ahnung, Sam«, sagte Tony und schaute ihn mit so weichem Blick an, wie es schon lange niemand mehr getan hatte. »Ich weiß einen Scheiß über Lähmungen und was damit einhergeht.«

      »Mehr, als du wissen willst«, brummte Sam.

      »Ach ja? Denn ich vermute, dass es hier in etwa genauso scheiße ist wie in Alaska und ich vermute, dass es hier niemanden gibt, der dich unterstützt.«

      Sam biss sich auf die Unterlippe, denn Tony hatte nicht unrecht, dennoch würde Sam kein Hilfsangebot annehmen. Er versorgte sich schon seit Jahren praktisch allein, abgesehen von dem wirklich schweren Zeug, um das sich ein Pflegedienst kümmerte. Jemand, der dafür bezahlt wurde, sich all dem ekligen Kram zu widmen, den sein Körper durchmachen musste. Zum Beispiel, als er ein Geschwür am Hintern gehabt hatte, das sich entzündet hatte, und die Ärzte einen Teil seiner Haut entfernen mussten. Er hatte sechs Wochen lang auf dem Bauch gelegen und jemanden gebraucht, der ihm den Hintern abwischte, ihn wusch und dafür sorgte, dass die Wunde nicht eiterte.

      Aber abgesehen davon ‒ wenn die Dinge normal liefen ‒ wollte er lieber nicht, dass sich jemand um ihn kümmerte und erfuhr, was bei ihm alles dazugehörte. Zum Beispiel die Analstimulation, der Katheter oder die Nächte, in denen seine Beine so heftig krampften, dass er stundenlang nur schluchzte, weil der Schmerz nicht aufhören wollte. Oder dass sein Bauch niemals flach wurde, egal, wie viele Sit-ups er machte, und dass seine Beine immer dünn und verkümmert bleiben würden, seine Füße und Fußgelenke hingegen geschwollen.

      Er wollte nur ein normaler Mann sein. Er hatte festgestellt, dass die Leute ihn nicht wegen des Rollstuhls automatisch ausgrenzten. Nein, es hatte mit all dem zu tun, was dazugehörte, wenn sie gezwungen waren, lange genug darüber nachzudenken. Wie Caleb, der auf dem Campus im Tea Leaf gearbeitet hatte. Der Typ war scharf gewesen, und irgendwie ein Hipster, aber er schien trotzdem kein allzu großer Idiot zu sein. Er hatte Sam um ein Date gebeten und ein barrierefreies Restaurant gefunden. Er beschwerte sich nicht, dass es so lange dauerte, bis Sam in sein Auto ein- und ausgestiegen war, und er hatte sogar einen Spaziergang vorgeschlagen, bei dem sie sich auf eine Bank gesetzt und Händchen gehalten und rumgemacht hatten. Es war toll und sie mochten ei-nander. Sam konnte sich vorstellen, dass die Beziehung tatsächlich eine Zukunft haben könnte.

      Aber dann wurde Sex ein Thema und ab da ging es immer abwärts. Sam war sich sehr wohl bewusst, dass sein Schwanz manchmal kooperierte, meistens jedoch nicht ‒ selbst, wenn er eine Cialis einwarf und einen Cockring benutzte. Nicht, dass er genug Gefühl in seinem Schwanz gehabt hätte, um sich zum Höhepunkt zu bringen, aber er stand auf Penetration. Der Anblick, wenn jemand sich auf seinem Schwanz fickte, reichte ihm als geistige Stimulation. Caleb schien es zu gefallen, bis er Sam die Hose ausgezogen und gesehen hatte, was sich darunter verbarg. Sein Blick hatte auf den Narben an Sams Rückseite verweilt, auf seinen dünnen, kraftlosen Beinen und seinen Füßen und Knöcheln, die geschwollen und ein wenig gerötet waren. Er hatte gezögert und sich geweigert, Sam unterhalb der Taille anzufassen. Er hatte erklärt, dass er sich auf die Stellen konzentrieren wollte, wo es sich für Sam gut anfühlte.

      Es war Sex, nur ein wenig anders als bei den meisten Paaren. Danach war Caleb sehr beschäftigt gewesen. Zuerst hatte er Sams Anrufe noch angenommen und mit einem Lächeln in der Stimme erklärt, dass das Leben ihn einfach auf Trab hielt. Dann waren seine Anrufe auf die Mailbox weitergeleitet worden und Caleb hörte ohne Vorwarnung auf, im Tea Leaf zu arbeiten. Vielleicht dachte er, wenn er Sam ghostete, würde Sam ihn nicht konfrontieren können und er würde nicht zugeben müssen, dass es Sams Körper war, den er abstoßend fand. Sam machte sich nicht die Mühe zu versuchen, mit ihm Kontakt aufzunehmen, als er erkannte, was vor sich ging. Warum auch?

      »Was ich wirklich wissen will«, sagte Tony und holte Sam wieder in die Gegenwart zurück, »ist, was zum Teufel du hier machst. Ich meine, ich weiß, dass deine Mom und dein Dad große Pläne für dich hatten, aber du hast ihnen doch sicher gesagt, was sie dich mal können.«

      »So was in der Art«, sagte Sam mit einem schiefen Grinsen. Er machte sich nicht die Mühe zu erklären, dass seine Eltern ihn aufgegeben hatten, als er fünfzehn war, und die Tatsache, dass er so gut allein zurechtkam, als Ausrede genutzt hatten.

      »Okay, also was hast du vor? Ich meine, was willst du tun, wenn du hier fertig bist?«

      Sam biss sich auf die Lippe, denn er war sich noch nicht sicher. Er war im zweiten Jahr und immer noch unschlüssig. Er hatte alle seine Schlüsselqualifikationen und hatte sich in General Studies eingeschrieben, aber das Einzige, in dem er wirklich gut war, war der nutzlose Kunstkurs, den er bloß belegt hatte, weil ihm jemand gesagt hatte, dort bekäme man mit Leichtigkeit eine Eins. Davor hatte Sam keine Ahnung gehabt, dass er zeichnen konnte. Er hatte auf Tests, Hausaufgaben und hin und wieder auf einem Zettel für einen Freund im Englischunterricht im letzten Jahr gekritzelt, aber nichts mit Substanz.

      An dem Tag, als er in dem kleinen Kunstraum gesessen, ein Stück Zeichenkohle zur Hand genommen und begonnen hatte, auf der leeren Leinwand zu zeichnen, war etwas in ihm explodiert, wie ein brüllendes Feuer, auf das man Benzin gegossen hatte. Damit verbrachte er nun seine gesamte Zeit, erschuf ein Bild nach dem anderen, obwohl er keine Ahnung hatte, was zum Teufel daraus werden sollte.

      »Kunst, schätze ich«, antwortete er schließlich. »Ich denke, ich will etwas mit Kunst machen.«

      Aus irgendeinem Grund strahlte Tony daraufhin wie ein Honigkuchenpferd. »Wirklich? Denn, Mann, ich habe da eine Idee, die du dir echt anhören solltest.«

      Wenn irgendjemand Sam damals erzählt hätte, dass er neunzehn Jahre später zusammen mit einem Mann, von dem er gedacht hatte, er würde ihn nie wiedersehen, ein Tattoostudio leitete und drauf und dran war, ein kleines Mädchen zu adoptieren, das ihn Dada nannte und glaubte, in seinen Armen ginge die Sonne auf und unter, hätte er demjenigen nicht geglaubt. Aber hier war er nun, glücklich und zufrieden, und hatte endlich das Gefühl, dass sein Leben war, wie es sein sollte.

      Wäre das doch bloß von Dauer gewesen.

      Kapitel 2

      »Niko Pagonis. Wie fühlt es sich an, aus einem kleinen Fischerdorf in Griechenland zu kommen und plötzlich eines der am heißesten gehandelten Talente der NHL zu sein?«

      Sein Lachen war leicht und unbeschwert, sein Haar von seinem Helm zerzaust, die Handflächen in den Handschuhen verschwitzt. NHL

      Niko schaltete den Fernseher aus und seine Hand zitterte, als er die Fernbedienung


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