Fußball, deine Fans. Martin Thein

Fußball, deine Fans - Martin Thein


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und Günter Netzer, die Olympischen Spiele 1972 in München sowie die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land zu den vergemeinschaftenden Medienereignissen zählen“1, höhere Weihen erfahren. Sie leiten Fakultäten, Institute, Lehrstühle und haben in ihrer Jugend oder bei universitären Fußballturnieren selbst gegen den Ball getreten.

      Mit welchen Fragen beschäftigen sich jedoch Wissenschaftler, wenn sie sich mit Fans auseinandersetzen? Eine schwierige Frage, denn bei allen sportlichen Veranstaltungen seit der Antike gibt es zwar Zuschauer, aber ab wann kann man von Fans sprechen, und was unterscheidet den Fan vom Zuschauer?

      Der Begriff „Fan“ als Kurzform des englischen „fanatic“ ist letztlich auf das lateinische „fanaticus“ von lateinisch „fanum“ (ein heiliger, der Gottheit geweihter Ort) zurückzuführen. „Fanaticus“ kann mit „von einer Gottheit in Entzückung geraten, in Raserei versetzt“ oder einfach „begeistert, schwärmerisch, fanatisch“ oder „rasend“ übersetzt werden. Deutlich ist also in der lateinischen Sprache und damit in der römischen Antike der Bezug auf den religiösen Bereich. Im Englischen bezeichnet „Fan“ seit dem 19. Jahrhundert den Anhänger und besonders den Sportanhänger. Aber was ist mit dieser Begriffserklärung gewonnen? Der „Fan“ als Sportanhänger wäre damit eine Schöpfung des späten 19. Jahrhunderts und für den Historiker, der sich mit der Geschichte der Fankultur beschäftigt, auch nur für diesen Zeitraum und die Moderne nutzbar. Doch was beschreibt der Begriff „Fan“ eigentlich? Hier lohnt ein Blick auf die Definition der jüngeren Soziologie: „Fantum“ ist eine längerfristige, leidenschaftliche „Beziehung zu einem externen, öffentlichen Objekt bei Investition von Zeit und Geld“2. Das Objekt der Leidenschaft ist hier bewusst offen gehalten, denn auch wenn dieser Beitrag sich mit dem Sportfan beschäftigt, gibt es eine Vielzahl von möglichen Objekten, z. B. aus dem Bereich der Musik. Die oben vorgenommene Definition, so man sie akzeptiert und den jeweiligen historischen Bedingungen anpasst, erlaubt eine Untersuchung des Phänomens für alle historischen Epochen. Die Geschichte der Fankultur(en) jedoch ist jung und hat erst mit dem Aufschwung der Sportgeschichte das Interesse der Historiker auf sich gezogen. Selbst die Literatur zu den Zuschauern von Sportveranstaltungen, die ja keineswegs Fans sein müssen, ist ausgesprochen begrenzt3 und vor allem auf das 20. Jahrhundert beschränkt. Wenn der Sportzuschauer seit den 1970er Jahren immer wieder in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Betrachtungen rückt, so doch häufig reduziert auf die Themen Gewalt und Aggression, verbunden mit dem Interesse der Soziologie und Psychologie am Massenverhalten4. Von Fankulturen im Plural muss nun aber gesprochen werden, wenn man die ersten Olympischen Spiele 776 v. Chr. als Ausgangspunkt nimmt und somit auf eine fast dreitausendjährige Geschichte des Sports blickt. Dieser Artikel spielt am Beispiel der Wagenrennen der römischen Kaiserzeit Ähnlichkeiten und Unterschiede des Phänomens „Fan“ im Sport durch.

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      Mosaikdarstellung eines Wagenrennens aus der Villa des Herodes Atticus in Griechenland beim heutigen Eva Dolianon. Foto: Christian Winkle

      „Das Publikum ist der eigentliche Nährboden“5 des antiken Wettkampfs und Sports. Die antike Begeisterung für den Sportwettkampf oder dem Sport vergleichbare Wettkämpfe, wie die Gladiatorenspiele der römischen Zeit, sind heute durch Bücher und Kinofilme einer weiten Öffentlichkeit bekannt. Die griechischen Wettkämpfe zu Ehren des Zeus in Olympia waren bei Weitem nicht die einzigen, wenn auch die bedeutendsten. Viele griechische Städte hatten eigene Spiele. Die Entstehung der griechischen Wettkampfkultur und damit des Sports ist eng an die Lebensweise und Kultur der griechischen Aristokratie geknüpft und auch an den jeweiligen Anlass, z. B. Totenfeiern oder Gastmähler. Die Wettkämpfe entstanden aus dem Geist, sich zu messen und den Besten finden zu wollen. Die Gewinner vor allem der panhellenischen Spiele in Olympia, Nemea, Isthmia und Delphi genossen in der griechischen Welt und besonders in ihren Heimatstädten hohes Ansehen, das bis hin zur kultischen Verehrung führen konnte. Während der griechische Wettkampf in seinem Ursprung eine Sache der griechischen Aristokratie war, waren die Stars der römischen Arenen, wie des Circus Maximus oder des Kolosseums, von niedrigem sozialen Stand. Das hinderte das Publikum jedoch nicht, die herausragenden Wagenlenker oder Gladiatoren zu verehren und wie heutige Stars zu feiern.6 Über die Beliebtheit der Spiele legen die vielen Abbildungen von Gladiatoren Zeugnis ab, z. B. auf ganz alltäglichen Gegenständen wie Öllämpchen, den, wenn es nach der Fundhäufigkeit geht, Cola-Dosen der Antike. Wie heute David Beckham mag sich manch ein Gladiator gefühlt haben, wenn man die Graffiti aus Pompeji anführt. Da wird der Gladiator Celadus als „Sehnsuchtsseufzer der Mädchen“ oder „Sehnsucht und Schwarm der Mädchen“ bezeichnet.7

      Doch können die Zuschauer antiker Wettkämpfe, so z. B. der Olympischen Spiele, trotz der bezeugten emotionalen Reaktionen und der Verehrung siegreicher Sporthelden noch nicht als „Fans“ bezeichnet werden. Dafür wäre eine langfristige und leidenschaftliche Beziehung zu „einem externen, öffentlichen Objekt“8 nachzuweisen, was angesichts der im Verhältnis zur neuen und neuesten Geschichte als eher dürftig zu bezeichnenden Quellenlage zum antiken Zuschauer problematisch erscheint9.

      Ballsportarten wie den Fußball, der heute in Europa 62 Mio. Spieler, 224.000 Fußballklubs, 53 Nationalmannschaften und mehrere hundert Millionen Fans hat10, gab es in der Antike nicht. Die Wagenrennen der römischen Zeit, besonders präsent durch die Darstellung im Kinoklassiker „Ben Hur“, haben im Circus Maximus in Rom, im ägyptischen Alexandria oder im byzantinischen Konstantinopel jedoch ähnliche Massen in ihren Bann gezogen. Enormes Interesse verdienen diese Wagenrennen aber nicht nur wegen der großen Zahl an Zuschauern, sondern auch, weil hier durchaus eine bestimmte Form der Fankultur zu fassen ist. Plinius der Jüngere schreibt zu den Wagenrennen im kaiserzeitlichen Rom des ersten Jahrhunderts nach Christus:

      „Es gab Zirkusspiele, und diese Art der Schaustellung hat für mich nicht den geringsten Reiz. Nichts Neues, keine Abwechslung, nichts, was einmal gesehen zu haben nicht genügte. Umso mehr wundert es mich, dass so viele Tausende so kindisch immer wieder rennende Pferde und auf den Rennwagen stehende Männer zu sehen verlangen. Wenn jedenfalls die Schnelligkeit der Pferde oder die Kunstfertigkeit der Lenker sie interessierte, wollte ich noch nichts sagen; jetzt aber begünstigen sie nur ein Stück Tuch, lieben nur ein Stück Tuch, und ließe man während des Laufs, mitten im Kampf, die Farben ihre Plätze tauschen, dann würde auch ihr Eifer und ihre Gunst den Platz wechseln und sich unversehens abwenden von jenen Lenkern, jenen Pferden, die sie schon von Weitem kennen, die sie beim Namen rufen. Solchen Reiz, solche Wirkung hat ein einziger billiger Rock – ich übergehe sie beim Pöbel, der noch billiger ist als der Rock, aber auch bei manchen ernstzunehmenden Männern. Wenn ich bedenke, dass sie bei einer so seichten, albernen, eintönigen Sache herumsitzen und nicht genug bekommen können, dann macht es mir doch einiges Vergnügen, dass mir das kein Vergnügen macht.“11

      Der selbst wohl kaum als Fan zu bezeichnende Plinius beschreibt aus einer kritischen und teilweise verachtenden Haltung heraus die Anhängerschaft der Wagenrennen. Eine Haltung, die, wie oben erwähnt, bis vor wenigen Jahren noch bei weiten Teilen deutscher Eliten in verschiedenen Abstufungen vertreten wurde. Inzwischen aber geht die Sport- und insbesondere die Fußballbegeisterung quer durch alle Schichten der deutschen Gesellschaft.

      Die Loyalität und Verehrung der von Plinius beschriebenen Zuschauer galt demnach nicht nur einzelnen Fahrern der Pferdegespanne, sondern vor allem dem Team. Genau jenes meint Plinius, wenn er davon spricht, dass die Zuschauer nur ein Stück Tuch lieben. Gemeint sind damit die Farben der vielfach in den antiken Quellen bezeugten Circusparteien, den Roten, Grünen, Blauen und Weißen, die mit dem Trikot oder den traditionellen Farben der heutigen Fußballteams vergleichbar sind. Plinius sieht in den Fans allein die emotionale Bindung zu einer jener Circusparteien oder Teams und nicht zu den Fahrern oder Pferden. Denn auch wenn diese die Farbe und damit das Team wechseln würden, blieben die Anhänger der Farbe, also ihrem Team, treu und würden sich von den vorher heißgeliebten Pferden und Wagenlenkern abwenden.

      Lassen wir die polemische Kritik des Plinius beiseite. Auch wenn die jeweils zeitgenössische Kritik am Fan ein interessantes Thema wäre, können wir eine auffallende Parallele zum heutigen Fußball, bei dem ja der Fußballverein Objekt der Fanbeziehung


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