Fußball, deine Fans. Martin Thein

Fußball, deine Fans - Martin Thein


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als Anhänger einer der vier Circusparteien, deren Wirken durchaus politische Dimensionen hatte und das bis hin zu gewaltsamen, bürgerkriegsähnlichen Unruhen wie im Januar des Jahres 532 in Konstantinopel führen konnte. Trotz der Sympathie und des Fantums mancher Kaiser für die hauptsächlich blaue oder grüne Circuspartei blieb der eigene Auftritt als Wagenlenker für die Angehörigen der Eliten eine Ausnahme. Auftritte der Kaiser als Wagenlenker in der Öffentlichkeit sind auf die in der antiken Geschichtsschreibung häufig als schlechte oder gar „wahnsinnige“ Kaiser beschriebenen Herrscher beschränkt. Für einen römischen Senator, also die Spitze der Gesellschaft, war es völlig unangebracht, selbst in einem der viel umjubelten Wagenrennen anzutreten. Eine ähnliche distanzierte, wenn nicht gar feindliche Haltung gegenüber dem Fußball ist auch bei den europäischen Eliten zu Beginn der Geschichte des Fußballs festzustellen. Diese Haltung hinderte jedoch Teile der römischen Oberschicht nicht daran, sich im täglichen Leben mit Gegenständen und Bildern der Circusparteien zu umgeben. Ein schönes Beispiel aus dem ersten Jahrhundert nach Christus ist das recht große Fußbodenmosaik einer römischen Villa, das alle vier Circusparteien abbildet: jeweils ein Wagenlenker, gekleidet in einer der vier Circusfarben mit einem Pferd12: eine andere und sehr viel kostspieligere Form der Fankultur als etwa die heute gerne gekaufte Bettwäsche des Lieblingsvereins.

      Hinter den Zirkusparteien stehen anfänglich reiche Angehörige der Oberschicht, sogenannte Ritter, deren Aufgabe es war, die jeweiligen Teams für die Spiele zu organisieren und vorzubereiten, also die Pferde zu trainieren, die Wagenlenker auszusuchen und alles Weitere, was ein Rennstall benötigt, zu beschaffen – selbstverständlich mit der Erwartung von reichen Gewinnen. Gegen Mitte des ersten Jahrhunderts nach Christus scheinen diese Circusparteien immer mehr feste Anhänger in der Bevölkerung Roms gewonnen zu haben, die man dann auch als Fans bezeichnen kann. Es entstand eine dauerhafte und leidenschaftliche Bindung von Teilen der römischen Bevölkerung zu einer der vier Circusparteien. Die Äußerung des Plinius ist sogar die erste aus der Antike, welche die vier „factiones“ (lat. für „Parteien“) und ihre Farben sowie das Ausmaß der Begeisterung und die Form der Anhängerschaft deutlich macht. Die vier Circusparteien sind demnach wohl mit Recht als ein augenfälliges Beispiel für Fankultur zu bezeichnen, auch wenn sie in den folgenden Jahrhunderten ihren Charakter änderten.

      Sicherlich bemerkenswert ist auch die Haltung des Plinius, der zumindest noch Verständnis dafür aufbringen könnte, wenn sich die Zuschauer für die „Schnelligkeit der Pferde oder die Kunstfertigkeit der Lenker“ interessieren würden. Eine interessante Äußerung, da sie eine auch heute noch anzutreffende Haltung zu Sportwettkämpfen verkörpert, die diese nicht als ein spannungsgeladenes und emotionales Ereignis sieht, ja sogar die Emotionen der Zuschauer und die Identifikation mit dem Geschehen im Stadion ablehnt und das Ganze wie Plinius mehr unter rationalen Gesichtspunkten betrachtet, etwa die Leistung der Wagenlenker und Pferde bzw. im Fußball die Leistung der Spieler und Mannschaften.

      Die Wagenrennen der römischen und byzantinischen Zeit sind zwar ein recht gut erforschtes Gebiet13, doch bleiben viele Fragen zu den Zuschauern anderer sportlicher Darbietungen offen. Beispielsweise welche vergemeinschaftende, identitätsbildende Wirkung das gemeinsame Betrachten von Sportwettkämpfen hatte, welche Beziehung zwischen Sport und Politik besteht, welches Körperbild und welche Emotionen an sportliche Wettkämpfe geknüpft sind und welche Rolle der Zuschauer spielte und unter diesen die Fans. Fragen über Fragen, denen aber allen eines gemeinsam ist: das neu erwachte Interesse der Geschichts- und Kulturwissenschaften an der Rolle des Zuschauers und Fans im Sport im Bewusstsein der eigenen Faszination für beispielsweise oder vor allem den Fußball.

       Fußnoten

      1 W. Pyta: Geschichtswissenschaft und Sport, in: GWU 61 (2010), 388.

      2 Th. Schmidt-Lux: Geschichte der Fans, in: J. Roose, M. S. Schäfer, T. Schmidt-Lux (Hrsg.): Fans – Soziologische Perspektiven. Wiesbaden 2010, S. 47. Genauer die Definition der Herausgeber in der Einleitung S. 11f.

      3 Einen kurzen Überblick bietet M. Krüger: Eine kurze Kulturgeschichte der Sportzuschauer, in: B. Strauß (Hrsg.): Sportzuschauer. Göttingen u. a. 2012, 19-39. Weiterhin ein Standardwerk ist A. Guttmann: Sports Spectators. New York 1986; für die Altertumswissenschaften seien hier nur zwei Aufsätze genannt: I. Weiler: Zum Verhalten der Zuschauer bei Wettkämpfen in der Alten Welt, in: E. Kornexl (Hrsg.): Spektrum der Sportwissenschaften. Wien 1987, 43-59; I. F. Gold: Das Publikum bei Wettkämpfen in der Alten Welt, in: M. Messing u. a. (Hrsg.): Olympischer Dreiklang. Werte – Geschichte – Zeitgeist. Mainz 2004, 207-226.

      4 Ein neueres Beispiel für die zunehmend erkannten Potenziale, die der Fußball der Forschung bietet, das sich eben nicht nur mit den negativen Seiten des Fußballs beschäftigt, vielmehr mit der europäischen Dimension, ist das von der EU geförderte Projekt „Football Research in an Enlarged Europe“ (FREE) – Identity dynamics, perception patterns and cultural change in Europe’s most prominent form of popular culture. Das Projekt „basiert auf der Überzeugung, dass Fußball ein bis dato nicht ausgeschöpftes Potential besitzt, europäische Wahrnehmungsmuster und Identitätsdynamiken des 21. Jahrhunderts auszudrücken. Es untersucht auf innovative Weise, inwiefern die Frage nach der Wahrnehmung und Akzeptanz der Anderen innerhalb Europas beantwortet werden kann“ (http://www.free-project.eu).

      5 S. Laser: Sport und Spiel. Göttingen 1987, 83.

      6 Zu den Gladiatoren siehe u. a. Th. Weidemann: Kaiser und Gladiatoren. Die Macht der Spiele im antiken Rom. Darmstadt 2001.

      7 Bei den genannten Inschriften handelt es sich um CIL CIL IV 4397 und 4356, zu den Gladiatorenspielen in Pompeji s. L. Jacobelli: Gladiators at Pompeii. Los Angeles 2003.

      8 Siehe Fußnote 4.

      9 Die Quellen zum Zuschauerwesen in der Antike sind auf vorbildliche Weise in einer Datenbank der Universität Graz gesammelt: http://www-gewi.uni-graz.at/spectatores/.

      10 Quelle: http://www.uni-stuttgart.de/hing/forschung/schwerpunkte/FREE.html.

      11 Plin. min. epist. 9, 6,1-3; Plinius der Jüngere war römischer Politiker und Redner.

      12 Das Mosaik aus der Villa di Baccano ist heute im Museo Nazionale Romano all Terme in Rom ausgestellt.

      13 A. Cameron: Circus Factions. Blues and Greens at Rome and Byzantium. Oxford 1976.

      Prof. Jo Groebel

       Fans. Eine kleine Motivpsychologie

      Auf den allerersten Blick verbindet man mit dem Begriff „Fan“ hysterisch kreischende Teenager vorwiegend weiblichen Geschlechts. Dieses Phänomen ist so alt wie die Popgeschichte des 20. Jahrhunderts und reicht zurück bis zu Frank Sinatra und Johnny Ray, den Beatles und den Rolling Stones, den Monkees, später Boygroups wie Take That und aktueller Justin Bieber. „Fan“, abgeleitet von „Fanatic“ (deutsch: der beziehungsweise die Fanatische), steht für völlige Hingabe an das Idol, für jemanden, der einen großen Teil der täglichen Gedanken und Energien dem Idol widmet und jedwede Regung des Bewunderungsobjekts kultisch verehrt. Vermutlich spielen gerade bei jüngeren Mädchen erste erotische Regungen eine Rolle, die daher harmlos bleiben, weil es so gut wie nie zu einer realen, damit potenziell verschreckenden Begegnung kommt.

      Doch auch die Männer haben ihre Fandomäne, hier ist es vor allem der Sport, in Deutschland und vielen weiteren Ländern besonders der Fußball, der weitreichende Emotionen weckt. Erotik dürfte hier selten eine Rolle spielen, höchstens indirekt. Neben dem Können und der Identifikation mit dem Verein sind es die Trophäen und Symbole, die den Ballstar auszeichnen und ihn zu einem nachahmenswerten Menschen machen: Stärke, Geld, Autos, „Bräute“, also nach wie vor von vielen anerkannte gesellschaftliche (männliche) Werte.

      Inzwischen wird das Fan-Sein nicht mehr primär kritisch oder lächelnd-abschätzig bewertet, man akzeptiert, dass der Enthusiasmus gegenüber einem Idol viele positive Aspekte beinhaltet: Ablenkung von einem manchmal


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