Der neue Sonnenwinkel Box 11 – Familienroman. Michaela Dornberg
rechtfertigen, du warst mit deiner Familie glücklich, und von einer Sekunde auf die andere wurde dieses Glück zerstört. So etwas steckt man nicht weg, vielleicht sind wir uns zu früh begegnet, für dich war alles noch zu frisch. Ich liebe dich, an deinen Gefühlen für mich zweifle ich auch nicht. Wir hatten eine wundervolle Zeit miteinander, von der ich nicht einen einzigen Tag missen möchte. Doch wir haben es erlebt, dass wir auseinanderdrifteten. Ich entwickelte ein Helfersyndrom, um dich zu retten, und je inniger es mit uns wurde, umso mehr nahmen deine Schuldgefühle zu, weil du dir nicht gestatten wolltest, glücklich zu sein, weil du es deiner toten Familie nicht antun wolltest.«
Er wollte etwas einwenden, doch sie winkte ab, weil sie aus den vergangenen Gesprächen wusste, dass es nur Rechtfertigungen sein würden. Und dann würden sie anfangen, sich wieder im Kreis zu drehen.
Sie sah ihn an, und ihr wurde ganz warm ums Herz, weil so unendlich viel Liebe für ihn in ihr war. Was hatte sie davon, wenn sie immer wieder an Grenzen stieß? Auch wenn es hart klang, sie musste die Reißleine ziehen, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Das musste sie sich immer wieder vor Augen führen.
»Berthold, wir haben uns die Nächte um die Ohren geschlagen, geredet, geredet. Und was hat es gebracht? Nichts! Wir müssen jetzt nicht wieder alles aufwärmen. Ich hätte dir auch einen Brief schreiben, dich anrufen können. Doch das wäre feige gewesen. Ich möchte dir sagen, dass ich lange darüber nachgedacht, dass ich es mir nicht leicht gemacht habe. Ich kann nicht in der Warteschleife hängen in der Hoffnung, dass sich doch irgendwann mal etwas ändern könnte. Du bist in deine Vergangenheit zu verstrickt, und jeder geht damit anders um. Wenn du sie nicht loslassen kannst, dann lebe mit ihr. Doch dazu brauchst du niemanden an deiner Seite, Berthold. Du wirst immer wieder scheitern, weil keine Frau damit leben kann, nur eine Statistenrolle in deinem Leben zu haben.«
Sie hätte ihm gern eigentlich noch viel mehr gesagt, doch sie hatte keine Kraft mehr. Schon das, was sie gesagt hatte, war eine Überforderung, außerdem wiederholte sie sich. Sie hatten es mehr als nur einmal durchgekaut. Sie bekam Zweifel, vielleicht wäre es besser gewesen, ihm zu schreiben, dann hätte sie nicht diesen großen Schmerz verspüren müssen, der wie scharfe Messerstiche war.
Sie redeten weiter, und wieder einmal drehten sie sich im Kreis. Allerdings hatte sich etwas verändert, Angela war wirklich ganz fest entschlossen, den endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Wie er reagierte, was er sagte, das sprach dafür, dass er lange noch nicht in der Lage war, die Gespenster seiner Vergangenheit zu verbannen.
Und sie hatte nicht mehr die Kraft auf etwas zu hoffen, was in weiter Ferne lag, wenn überhaupt ein solcher Zustand einmal eintreten würde.
Sie konnte ihn nicht mehr ansehen, seine Gegenwart begann sie zu belasten, nicht, weil er unangenehm war, sondern weil sie ihn noch immer liebte und das Wissen sie traurig machte, dass sie ihn niemals für sich allein haben würde.
Ihn zu bitten, jetzt zu gehen, das konnte sie aber auch nicht.
Angela atmete erleichtert auf, als er sich unvermittelt erhob. Sie tat es ihm gleich. Sie standen sich gegenüber, sahen sich an, dann lag sie in seinen Armen.
Das hatte nichts mit Leidenschaft oder Verlangen zu tun, es war eine Umarmung der Zärtlichkeit und, das wussten sie beide, des Abschieds.
Sie waren beide still, und es dauerte eine ganze Weile, ehe sie sich voneinander lösten.
»Angela, danke für alles, was du für mich getan hast. Und es tut mir so unendlich leid, dass ich dir nicht das geben konnte, nicht geben kann, was du verdienst …, es war egoistisch von mir, deine Liebe für mein Wohlbefinden zu gebrauchen …, ich werde das Haus verkaufen, da du es ja nicht willst und ich ganz gewiss nicht in den Sonnenwinkel ziehen werde. Meine Freunde, die Auerbachs, kann ich überall sehen …, und wenn wir uns begegnen sollten, ich werde es mit Liebe im Herzen tun. Ich werde dich niemals vergessen. Ich kann dich verstehen, du hast mehr verdient als das, was ich dir geben kann …, god bless you …«
Er drehte sich abrupt um, rannte förmlich aus dem Haus, Angela blieb wie angewurzelt stehen, dann begann sie zu weinen.
Und ein wenig haderte sie auch mit ihrem Schicksal. Warum schickte Gott ihr einen Mann wie Berthold? Nur um ihr zu zeigen, dass es so etwas auch gab?
Allmählich beruhigte sie sich wieder, gelitten hatte sie genug, denn es war ein Abschied auf Raten gewesen, und sie hatten Schluss gemacht. Es war nur wieder ein winziger Hoffnungsschimmer aufgetaucht, als Berthold das Haus nicht verkauft hatte, um alle Optionen offen zu lassen. In ihrem Fall gab es keine Option, Berthold wollte an seiner Vergangenheit festhalten, und sie zusätzlich haben. Und das ging nicht. Schöne, zärtliche Erinnerungen an seine Familie, die hätte sie mit ihm geteilt, denn man konnte ein Stück seines Lebens nicht einfach abschneiden, als habe es es nie gegeben. Andererseits konnte man für diesen Teil seiner Vergangenheit keinen Altar bauen und ihn anbeten.
Das Leben war kompliziert.
Angela räumte das benutzte Geschirr weg, dann zog sie sich um, schlüpfte in eine Sporthose, ein Shirt, zog darüber eine Sweat-Jacke, an die Füße Sportschuhe, dann verließ sie das Haus in Richtung See. Sie würde ihn umrunden, sich von der Schönheit ringsum gefangen nehmen lassen, und an der Bank, auf der sie mit Berthold diesen magischen Augenblick hatte, würde sie schnell vorüberlaufen.
Und irgendwann, wenn das Chaos in ihr zur Ruhe gekommen war, würde sie sich wieder auf die Bank setzen und sich liebevoll den schönen Erinnerungen hingeben, die sie an Berthold hatte.
Ein wenig waren sie wie die Königskinder, die nicht zueinander kommen konnten. Doch sie trennte nicht das Wasser, nein, es war seine Vergangenheit, die er nicht loslassen konnte …
*
Inge Auerbach und Rosmarie Rückert waren mittlerweile viel zu eng miteinander, um sich als Konkurrentinnen zu sehen. Und wie nicht anders zu erwarten, hatte Inge sich für Rosmarie gefreut, dass es mit Fabian und Familie gemeinsame Urlaube auf besondere Art geben sollte. Das war etwas, was mit ihrem Werner niemals möglich wäre. Es musste auch nicht sein. Ein Urlaub mit Werner, das allein wäre etwas.
Sie tranken gemeinsam Kaffee, das war ein schönes Ritual, wenn er daheim arbeitete und eine kleine Pause machte, aus seinem Arbeitszimmer herauskam.
Gerade hatte Inge ihm von dem erzählt, was die Rückerts junior und Rückerts senior planten. Sie hatte es bereits vor einigen Tagen von Rosmarie erfahren, doch bislang hatte sich keine Gelegenheit ergeben, es Werner zu erzählen, zumal Inge auch wusste, dass das etwas war, was Werner nicht gerade interessierte.
Nachdem Werner genüsslich seinen Kuchen gegessen hatte, sagte er: »Ehrlich mal, Inge, warum wollen Rosmarie und Heinz nun doch wieder diese Nummer mit dem Campingurlaub durchziehen? Sie kamen doch frustriert von ihrer letzten Reise zurück und hatten sich geschworen, Urlaube dieser Art in Zukunft zu lassen, Heinz wollte diesen teuren Wagen verkaufen, egal, zu welchem Preis. Und nun das.«
»Werner, es hat sich etwas verändert, Fabian, Ricky und die Kinder möchten gemeinsam mit Rosmarie und Werner etwas unternehmen, so etwas schweißt zusammen, sie können sich näherkommen, und das freut mich.«
»Meine Liebe, es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein, sie können sich so auf die Nerven gehen, dass sie sich hoffnungslos zerstreiten. Und das Eis, auf dem sie sich bewegen, das ist ja noch ziemlich brüchig, wie du weißt. Wenn man etwas klären will, setzt man sich gemeinsam an den Tisch, nimmt sich die Zeit, über alles zu reden. Dazu braucht man wahrhaftig nicht diese Pfadfinderromantik.«
Das war wieder einmal typisch Werner!
»Sie wollen mit mehr oder weniger komfortablen Wohnmobilen losfahren, das hat nun wirklich nichts mit Pfadfinderromantik zu tun. Und was die Gespräche anbelangt, die bringen am Tisch auch nicht immer die erhofften Resultate, mein lieber Werner. Erinnere dich bitte an uns, wenn wir das versuchen, oder wenn eines der Kinder da ist. Es gibt sehr selten Resultate, und wenn du ehrlich bist, dann musst du zugeben, dass du niemals zu Ende diskutierst, sondern meistens frustriert davonläufst.«
Er sagte nicht sofort etwas, deshalb fuhr Inge fort: »Mit den Wohnmobilen irgendwo im Nirgendwo fährt man nicht davon, es sei denn, man