Die mechanischen Katzen. Miriam Rieger

Die mechanischen Katzen - Miriam Rieger


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wurden. Aus grauen Augen schien sie Bender hypnotisieren zu wollen. Er kam nicht umhin, sich die Katze näher anzuschauen. Das andere Exemplar hatte er kleiner in Erinnerung, doch dieses schätzte er so, wie es da saß, auf etwa fünfzig Zentimeter Höhe.

      Er hatte sie gefunden! Es war beinahe zu einfach. Doch noch wollte er sich nicht darüber freuen, denn er konnte sich schlecht mit der Katze unter dem Arm bei Martin für den netten Abend bedanken und nonchalant zur Tür hinausspazieren. Auch der Transport mit einer Tasche war dank der Größe kaum möglich, ohne Aufsehen zu erregen ... Verdammt! So nah war er dran, und doch schien die Lösung so weit weg.

      Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich moralisch auf Plan B einzustellen. Dieser war riskant, unsicher und mehr von Glück abhängig, als Bender es normalerweise ertragen hätte. Doch einen anderen Plan, der mit seinem Wunsch nach mehr Kontrolle kompatibler erschien, gab es leider nicht. Aus einer kleinen Metalldose holte Bender die benötigten Utensilien hervor, die Hellthal ihm gegeben hatte. Es galt, keine Zeit zu verlieren und dennoch präzise zu sein. Mit einem Ohr darauf achtend, dass niemand sich dem Raum näherte, machte er sich an die Arbeit.

      Als alles zu seiner Zufriedenheit erledigt war, warf er einen letzten Blick durch den Raum und begab sich zurück in Martins Büro. Er hoffte, dass der Streit weder so eskaliert war, dass es in eine Prügelei ausgeartet war, noch dass der Gastgeber alle zur Raison gebracht und ein ruhiges Gespräch seinen Gang genommen hatte, bei dem das Öffnen der angeblich verschlossenen Tür und das Durchschreiten dieser sofort aufgefallen wäre.

      Es reichte, das Ohr an die Tür zu legen, um die Frage zu beantworten. „Verdammt“, entkam Bender ein Fluch.

      11. Kapitel

      Vor Schreck stand Hartmann wie erstarrt.

      „Sind Sie wahnsinnig? Wollen Sie das ganze Haus versammeln?“, zischte die Person hinter ihm.

      Hartmann brauchte einen Moment um zu realisieren, dass seine Wohnungstür offen stand, und dass das Klicken von den Zahnrädern des Schlosses gekommen war. Er atmete tief durch, betrat seine Wohnung und wäre beinahe über etwas gestolpert. Verdammt, schon wieder der Garderobenständer! Ein windiges Ding war es, das bei Öffnen der Tür oft umfiel und dabei einen infernalischen Krach machte. Er hörte, wie hinter ihm die Tür ins Schloss fiel, und tastete nach der Schnur.

      An der Decke ging die Gaslampe an und tauchte das Zimmer in ein helles Licht, das Hartmann im ersten Moment blinzeln ließ. Mit einem Ruck drehte er sich um. Hinter ihm stand eine Frau, die ihn mit wild entschlossenem Gesichtsausdruck anblickte.

      In der Hand hielt sie ein Stück Kohle.

      Eine Weile sagte niemand etwas. Auch wenn Cornelius Hartmann bewusst war, dass er die Fremde anstarrte, vermochte er es nicht, den Blick abzuwenden. Die Frau war ein wenig kleiner als er und hatte das Kinn energisch vorgestreckt. Sie trug Pluderhosen, die an mehreren Stellen geflickt waren, abgetragenes Schuhwerk und ein Herrenhemd, das ihr am Leib schlotterte und bereits etliche Flecken hatte. Auf dem Kopf trug sie eine Mütze, unter der ihr Haar ungebändigt hervorblitzte. Kaum zu glauben, dass diese zierliche Person ihn vorher angesprungen hatte. Vermutlich hatte sie sich einfach rittlings auf seinen Rücken gesetzt, um ihn zu Boden zu halten.

      Ein zweites Mal würde er sich nicht mehr überrumpeln lassen, doch auch wenn sie nicht mehr den Überraschungseffekt auf ihrer Seite hatte und ihm körperlich unterlegen war – zumindest ging Hartmann aufgrund ihrer Statur davon aus – musste er auf der Hut sein. Immerhin war sie bewaffnet, auch wenn er die Waffe zurzeit nicht sehen konnte, und ihre ganze Mimik und Körpersprache machten ihm klar, dass sie es ernst meinte.

      Zum ersten Mal, seit er Polizist war, bereute er es, seine Waffe nach Dienstschluss in einem Tresor im Revier einzusperren, anstatt sie mitzunehmen. Diskret schaute er sich um, in der Hoffnung, einen Gegenstand zu erblicken, den er zu seiner Verteidigung verwenden konnte und der leicht zu erreichen war.

      „Herr Hartmann“, begann sie. Dass sie ihn mit seinem Namen ansprach, ließ ihn zusammenzucken. Offensichtlich war er nicht nur ein Zufallsopfer und zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Was bedeutete das für ihn? Er blickte auf ihre Hand, die noch immer das Stück Kohle umklammerte. Moment mal! War etwa das die vermeintliche Schusswaffe gewesen, mit der sie ihn bedroht hatte? Ein humorloses Lachen entkam ihm, das ihm aber sofort im Halse stecken blieb. Seine Situation verbesserte sich ein wenig, wenn sie über keine Pistole verfügte, doch ansonsten war seine Lage nach wie vor unangenehm. Er spielte mit dem Gedanken, sie zu packen und gewaltsam aus seiner Wohnung zu ziehen. Und dann? Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie aufgeben und ungetaner Dinge das Haus verlassen würde. Im besten Falle würde sie randalieren, im schlechtesten Falle jemanden als Unterstützung holen, der tatsächlich bewaffnet war. Dass sie bislang darauf verzichtet hatte, hieß nicht, dass sie dies nicht nachholen konnte.

      „Kennen Sie die verlassenen Gleise?“

      Von allen Fragen oder Anmerkungen war dies die letzte, mit der Hartmann gerechnet hätte. Entgeistert starrte er sie an. „Natürlich, wer kennt sie nicht?“ Die verlassenen Gleise befanden sich ein wenig außerhalb der Stadt. Früher waren sie intensiv genutzt worden, doch jetzt lagen sie brach. Die Gründe dafür waren Hartmann unbekannt, und er hatte, wenn er ehrlich war, auch nie darüber nachgedacht. Während die alten Schienen in Vergessenheit gerieten, war das neue Bahnnetz ausgebaut worden. Ein großes Bahnhofsgebäude zierte die Stadtmitte, die Eisenbahn durchquerte auf dem Weg dorthin die halbe Stadt, hüllte Häuser in graue Wolken, kündigte jedes Kommen mit einem durchdringenden Stampfen an und weckte die in der Nähe wohnenden Menschen am frühen Morgen zuverlässiger, als es jeder Hahn hätte tun können.

      Hartmann war seit der Schließung der Strecke nicht mehr bei den verlassenen Gleisen gewesen. Er ging davon aus, dass mit der Zeit das Gras so hoch geworden war, dass es die Gleise überwucherte, dass die Schienen begonnen hatten zu verrosten und das Holz der Bahnschwellen morsch wurde.

      Was die Gleise mit ihm und diesem nächtlichen Überfall zu tun hatten, war ihm schleierhaft.

      Seine desinteressierte Antwort schien die Frau jedenfalls in Rage zu bringen, sie schnaufte theatralisch und warf ihm einen Blick zu, der zwischen Verachtung und ... Hartmann stutzte. Las er in ihren Augen tatsächlich so etwas wie ... Verzweiflung? Wenn ja, musste er sich noch mehr in Acht nehmen. Zu oft hatte er erlebt, zu welchen Taten Menschen imstande waren, die zutiefst verzweifelt waren.

      Ihre Kiefer mahlten. „Haben Sie keine Ahnung, was sich bei den Gleisen abspielt?“

      „Reden Sie nicht so kryptisch!“, herrschte er sie an. Worauf zum Teufel wollte sie anspielen …? Die Rauschgiftabhängigen trafen sich an anderen Orten, für Prostitution war die Gegend zu abgelegen ...

      Die Frau unterbrach seine Grübeleien. „Was bekommt die Polizei überhaupt mit?“, fauchte sie ihn an.

      „Was Sie gerade veranstalten, hat nichts mit Polizeiarbeit zu tun, sondern ist ein schlecht gemachtes Ratespiel“, gab er zurück. „Sagen Sie mir endlich, worauf Sie anspielen und ich kann Ihnen sagen, was ich darüber weiß.“ Oder kann es bewusst verschweigen, fügte er gedanklich hinzu. „Wahlweise kann ich veranlassen, dass Sie sofort eingesperrt werden. Ohne weitere Diskussionen.“ Er legte jede ihm mögliche Autorität in seine Stimme und ließ wohlweislich die Frage offen, wie er dies so schnell bewerkstelligen mochte.

      Die Frau wurde blass, schaute ihn aber mit versteinertem Gesicht an, so dass es ihm nicht möglich war zu sagen, ob er sie eingeschüchtert hatte oder sie lediglich wütend war. Er fürchtete jedoch, dass es letzteres war.

      „Ich war so oft bei der Polizei“, fing sie an, und nun hörte Hartmann das Gefühl der Ohnmacht, der Hilflosigkeit in ihrer Stimme, die sich zu unkontrollierter Wut entwickeln konnte. „Keiner hat etwas gemacht! Sie haben mich nicht ernst genommen!“

      Mit wem die Frau gesprochen hatte, vermochte Hartmann freilich nicht zu sagen, musste aber für sich zugeben, dass sie sicher nicht falsch lag. Zumindest waren keine Informationen weitergegeben worden, von denen er wusste, und keiner aus seinem Kollegium hatte sich mit


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