Die mechanischen Katzen. Miriam Rieger
Seine Hände zitterten merklich, doch um nichts in der Welt hätte er es vor der Person zugegeben, die merklich ungeduldiger wurde. Er spürte ihren Atem am Hals und ihre Präsenz überdeutlich.
„Denken Sie, dass Sie es noch heute schaffen?“ Ein Hauchen an seinem Ohr, gefolgt von einem Klicken. Und einem Knall.
10. Kapitel
Hellthal schüttete den Rest seines Bieres in sich hinein, als müsste er befürchten, dass es all seinen Geschmack in den nächsten zehn Sekunden verlor. Er lockerte den Knoten seiner Krawatte und begab sich zu einer Kellnerin, die auf einem silbernen Tablett mehrere Biergläser trug. Ohne ein Wort des Dankes ergriff er eines davon, nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. „Viel zu warm!“, beklagte er sich.
„Wie meinen, der Herr?“
„Sie haben mich doch verstanden“, belferte Hellthal. „Das Bier! Es schmeckt nicht! Da! Probieren Sie doch selbst!“
Wütend stieß Hellthal das Glas gegen das Tablett, das Bier schwappte über, und um ein Haar hätte die Kellnerin alles fallen gelassen, wenn nicht hilfsbereite Hände reflexartig zugegriffen und ihr das Tablett abgenommen hätten.
„Mein Herr, ich muss doch sehr bitten, sich zu beherrschen! Es gibt keinen Grund, ausfallend zu werden.“
„Den gibt es sehr wohl!“, echauffierte sich Hellthal. „Derartiges kenne ich von Herrn Martin nicht, und ich muss sagen, dass ich sehr empört über die mangelnde Qualität des Bieres bin! Ich werde mich über Sie beschweren!“
„Ich werde Ihnen ein neues Bier bringen.“ Die Kellnerin blieb professionell freundlich, aber bestimmt.
Hellthal warf einen Blick an ihr vorbei. „Nicht nötig. Ich werde mir selbst eines holen. Machen Sie einfach weiter.“
Die Kellnerin nahm das Tablett wieder an sich und bot die Biere an, die die Gäste ergriffen, ohne auf die Frau zu achten, die sie austeilte.
Bender begab sich zu einem Gemälde, das zu studieren er vorgab. Doch tatsächlich galt seine Aufmerksamkeit der Kellnerin, und auch sein soeben gewählter Platz hatte nichts mit seiner Vorliebe für Kunst zu tun. Hoffentlich ging ihr Plan auf! Lange konnte es nicht mehr dauern …
„He, Sie!“, rief ein Mann quer durch die Halle. „Was ist denn das für eine Katzenpisse!“ Demonstrativ schüttete er den Inhalt seines Glases in eine Vase, die exotischen Blumen Platz bot.
„Ganz meine Rede!“, rief nun wieder Hellthal, offenbar froh darüber, einen Mitstreiter gefunden zu haben.
Andere Gäste nahmen einen Schluck von ihrem jeweiligen Glas, einige wirkten erstaunt ob der Wut über das Getränk, andere verzogen das Gesicht zu einer Grimasse des Ekels.
„Pfui Teufel!“, schimpfte eine Frau, „Wollen Sie uns vergiften?“
„Schämen Sie sich!“, pöbelte eine andere, und anders als der Gast, der die Blumen gegossen hatte, machte sie sich nicht die Mühe, eine Vase zu suchen, sondern schüttete das Getränk an Ort und Stelle aus. Die Oberin versuchte, sich Gehör zu verschaffen und zeigte entrüstet auf den vollgesogenen Teppich, doch sie hatte keine Chance. Es dauerte nicht lange, und sie war umringt von schimpfenden Gästen, die ihrer Empörung freien Lauf ließen. Der Detektiv suchte mit den Augen nach Hellthal, doch dieser hatte sich wie erwartet zurückgezogen. Schlechtes Gewissen überkam Bender, als er die Kellnerin beobachtete, die sich mit Mühe Gehör verschaffte und die Gäste in ihrer ruhigen, aber selbstbewussten Art zu beschwichtigen versuchte.
Dennoch vergewisserte Bender sich, dass niemand ihn beobachtete, drehte sich zur Seite und stand nun direkt vor der verschlossenen Tür. Erleichtert stellte er fest, dass sie über keinen Zylinder, sondern ein Zimmertürschloss verfügte. Aus der Jackentasche holte Bender den Dietrich hervor, den er in das Schloss steckte. Mit einem Klack öffnete es sich. Ein letztes Mal blickte Bender sich um. Die Kakophonie ebbte nicht ab, Fetzen erreichten Bender. Frechheit und eklig waren dabei noch die harmlosesten Wörter, die er heraushörte. Es wurde Zeit, dass der Gastgeber intervenierte. Bender ballte die Hände zu Fäusten. Am liebsten wäre er in die Meute hinein und hätte diesen undankbaren Haufen daran erinnert, wie man sich als Gast zu verhalten hatte. Doch wenn er das tat, gefährdete er den Plan. Jenen Plan, der funktionierte und den er dennoch, oder eher deswegen, bereits jetzt bereute. Sein Blick blieb an einer Dame hängen, die abseits des Gedrängels stand. Sie wirkte wie versteinert, als könnte auch sie nicht glauben, dass sich angeblich zivilisierte Menschen so benehmen konnten. Ihr Bierglas hatte sie abgestellt, dafür hielt sie sich die behandschuhten Hände vor das Gesicht. In dem Moment streifte ihr Blick den Benders. Er erstarrte. Und hoffte, dass der Dame die angelehnte Tür nicht weiter auffiel. Wenn doch ... nein, Bender mochte es sich nicht ausmalen. Einen Augenblick schien alles still zu stehen, selbst die Beschwerden schienen leiser zu werden. Der Blick der Dame traf den Benders, es waren braune, freundliche Augen, aus denen das Entsetzen sprach ... und etwas anderes, das der Detektiv nicht zu benennen wusste. Dann war der Moment vorbei, und sie wandte sich ab.
„Halt! Aufhören!“, brüllte sie der Meute entgegen, doch die Kakophonie war zu laut, die Gäste zu sehr in ihrer Rage festgefahren, als dass sie gehört worden wäre.
Und mit jeder Sekunde, die Bender an der Tür verharrte, vergrößerte sich das Risiko, doch noch entdeckt zu werden. Er trat in den Nebenraum und schloss sorgfältig die Tür.
Das Zimmer, von dem der Bierbrauer Martin nicht wollte, dass die Gäste es betraten, war dem Mobiliar zufolge ein Büro. Bender erblickte diverse Schränke, einen Schreibtisch, der vermutlich Benders halbe Wohnung in Anspruch genommen hätte, einen bequemen Sessel, der dazu einlud, die Beine hochzulegen und ein Portrait des Hausherrn. Dieses hob Bender leicht an. Tatsächlich war Martin fantasielos genug, um dahinter seinen Tresor zu verbergen. Auf den ersten Blick gab es nicht viele Ansatzmöglichkeiten, um den Tresor gewaltsam zu öffnen, vor allem nicht, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen. Gut vierzig Zentimeter breit wie hoch, war der Tresor genau in die Wand eingelassen. Ein Schlüsselloch zeigte an, dass man ohne den passenden Schlüssel keine Chance hatte, die sich im Tresor befindlichen Zahnräder in Bewegung zu setzen, die für das Öffnen der Tür verantwortlich waren. Wie hoch war die Chance, sie mit dem Dietrich zu öffnen? Bender erachtete sie als so gering, dass er es nicht mal versuchte. Stattdessen unterwarf er die Tür einer besonderen Begutachtung. Stabil schien sie zu sein, und sehr massiv ... zumindest dem Geräusch nach, als Bender probeweise dagegen klopfte.
Fast zu massiv, als befände sich dahinter kein Hohlraum, sondern eine Wand aus festem Stein. Mit dem Finger fuhr Bender über das Material.
Und stellte fest, dass sich zwischen dem Tresorrahmen und der Wand ein Spalt im Mauerwerk befand, der bei Wandtresoren nicht existieren sollte. Erneut nahm Bender den Dietrich zur Hand und setzte ihn an den Übergang zwischen Tresor und Wand an.
Mit ein wenig Kraftanstrengung ließ sich dieser wegheben.
Scharf sog Bender die Luft ein.
Wo die Seitenwand des Tresors sein sollte, befand sich lediglich die Mauer. Dieser scheinbare Tresor war nichts als eine verfluchte Attrappe, gedacht als Ablenkungsmanöver für Möchtegerneinbrecher, die in ihrer eigenen Fantasielosigkeit dem Hausherrn ebendiese unterstellten und nichts anderes zu tun hatten, als an der klassischen Stelle zu suchen.
Um keine Spuren zu hinterlassen, befestigte Bender sorgfältig Tresorattrappe und Bild wieder an der Wand. Mit einem Seufzen wandte er sich ab.
Wie erhofft konnte man durch eine Verbindungstür in den nächstgelegenen Raum gelangen, der vom Flur aus abgesperrt war. Dies musste das private Schlafgemach des Bierbrauers sein. Benders Blick glitt über ein nicht gemachtes Bett, einen Kleiderschrank, ein Nachtkästchen und einen Tisch, auf dem sich ein Glaskasten befand.
Bender zuckte zusammen. Konnte er seinen Augen trauen?
In diesem Ding aus Glas, das so massiv wirkte, als wäre es für die britischen Kronjuwelen kreiert worden, saß eine Katze.
Eine bronzefarbene